Islamischer Religionsunterricht

Zwischen Modellprojekt und Schulfach: Islamunterricht in Deutschland

Mehr als 70.000 Schülerinnen und Schüler besuchen den islamischen Religionsunterricht in Deutschland. Doch vielerorts wird der Unterricht noch als Modellprojekt angeboten. Eine Recherche.

03
08
2024
Islamunterricht, Islamischer Religionsunterricht
Symbolbild: Lehrerin unterrichtet Schüler im Islamunterricht © shutterstock, bearbeitet by iQ.

In Deutschland leben knapp sechs Millionen Muslime, und etwa eine Million muslimische Schüler sind schulpflichtig. Die Nachfrage nach einem Islamunterricht ist groß. Gemäß Art. 7 Abs. 3 GG steht der Religionsunterricht unter staatlicher Schulaufsicht, in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften und in Übereinstimmung mit der jeweiligen Lehre und den Grundsätzen.

Einige Bundesländer haben „Islamische Religion“ oder „Islamischen Religionsunterricht“ als Schulfach eingeführt, während in anderen Modellprojekte laufen. In einigen Bundesländern wird jedoch noch kein Islamunterricht angeboten.

Doch wie wird der islamische Religionsunterricht in den verschiedenen Bundesländern umgesetzt? Welche Rolle spielen islamische Religionsgemeinschaften dabei? Wie viele Schüler nehmen daran teil, und in welchen Schulformen und Jahrgangsstufen wird der Unterricht angeboten? Wie erfolgt die Auswahl der Lehrkräfte, und wer ist für die Entwicklung und Genehmigung des Curriculums verantwortlich? Gibt es geplante Änderungen hinsichtlich der Struktur, Inhalte oder Organisation des Unterrichts?

Islamischer Religionsunterricht mit Muslimen

In Niedersachsen wird islamischer Religionsunterricht gemäß dem niedersächsischen Schulgesetz angeboten. Dieser Unterricht folgt den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften und wird als Übergangsmodell analog zum konfessionellen Religionsunterricht durchgeführt. Ein Beirat, bestehend aus Vertretern von DITIB und Schura, überwacht die Übereinstimmung des Unterrichts mit religiösen Grundsätzen und genehmigt Lehrpläne und Lehrwerke.

Wie das Kultusministerium auf Anfrage von IslamiQ mitteilte, nahmen im Schuljahr 2023/2024 nahmen 3362 Schüler am islamischen Religionsunterricht teil, der an 47 öffentlichen Schulen (darunter 32 Grundschulen und drei Gymnasien) und 17 freien allgemeinbildenden Schulen angeboten wurde. Aktuell wird das Fach nicht an berufsbildenden Schulen angeboten. Die Lehrkräfte sind staatlich qualifiziert und durchlaufen ein umfassendes Studium sowie einen Vorbereitungsdienst.

Das Curriculum werde von einer vom Land berufenen Kommission erstellt, wobei der Beirat beratend tätig sei und die endgültige Zustimmung erteilt. Weiterhin begutachtet der Beirat auch die zugelassenen Lehrwerke und erteilt die religiöse Lehrerlaubnis an die Lehrkräfte. Laut dem Kultusministerium seien derzeit keine Änderungen der Struktur, Inhalte oder Organisation des Unterrichts geplant.

Stiftungsmodell in Baden-Württemberg

Im Gegensatz zu Niedersachsen wird der islamische Religionsunterricht in Baden-Württemberg von einem umstrittenen Stiftungsmodell unter staatlicher Aufsicht geregelt. Hierzu wurde ein sunnitischer Schulrat, bestehend aus Vertretern der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken und dem Landesverband islamischer Kulturzentren gegründet. Das Stiftungsmodell ist laut Vertrag zunächst bis 2025. Wie es danach weitergehen soll, stehe bislang nicht fest. Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) und die Islamische Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg (IGBW) kritisierten das Modell als „verfassungswidrig“ und hatten eine Teilnahme an der Stiftung abgelehnt. „Dieses Modell hebelt die Neutralitätspflicht des Staates aus und greift massiv in die Religionsfreiheit und in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ein“, erklärt die Religionsgemeinschaften ihre Absage.

Aktuell besuchen 10.060 Schülerinnen und Schüler den islamischen Religionsunterricht. „Aufgrund der begrenzten Zahl an ausgebildeten IRU-Lehrkräften konzentriert sich das Angebot derzeit auf den allgemeinbildenden Bereich. Ein Angebot besteht derzeit an 138 Schulen“, heißt es auf Anfrage aus dem Bildungsministerium. Einer der Aufgaben des sunnitischen Schulrats liege auch bei der Entwicklung des Curriculums. „Die aktuell geltenden Bildungspläne stammen jedoch aus der Zeit vor Errichtung des Sunnitischen Schulrats“, erklärt das Bildungsministerium abschließend.

Vom Beirat zur Kommission – Islamunterricht in NRW

Nordrhein-Westfalen gehört mit Baden-Württemberg zu den Bundesländern, die hinsichtlich der Organisation des islamischen Religionsunterrichts von einem Modellprojekt zum nächsten übergehen. Aktuell wird der islamische Religionsunterricht in NRW in einem Kommissionsmodell organisiert. Zuvor war es ein Beiratsmodell. Die Zusammenarbeit mit islamischen Organisationen in der IRU-Kommission beruht auf einem Vertrag, den das Land mit den Organisationen abschließt. Voraussetzung für den Vertragsabschluss ist, dass die jeweilige Organisation bei der Zusammenarbeit Voraussetzungen wie die Eigenständigkeit, staatliche Unabhängigkeit, Verfassungstreue und eine verlässliche Organisationsstruktur erfüllt. „Dabei entsendet jede islamische Organisation eine einen Vertreter mit theologischen oder religionspädagogischen Kenntnissen in die Kommission für den IRU. Die Kommission vertritt gegenüber dem Schulministerium die Anliegen und die Interessen der islamischen Organisationen“, hieß es aus dem nordrhein-westfälischen Schulministerium.

Im Schuljahr 2023/24 erhielten landesweit 28.860 Schülerinnen und Schüler an 246 Schulen Islamischen Religionsunterricht, der von insgesamt 271 Lehrkräften erteilt wurde. „In Nordrhein-Westfalen wird der Islamische Religionsunterricht (IRU) an den Schulen unterrichtet, an denen die sächlichen und personellen Voraussetzungen vorliegen. Die Schulen benötigen also beispielsweise genügend Räume und Lehrerinnen und Lehrer, die IRU unterrichten dürfen“, so das nordrhein-westfälische Schulministerium. Derzeit werde der islamische Religionsunterricht wissenschaftlich evaluiert. Der Fragebogen für die Evaluation sorgte für viel Kritik. Muslimische Lehrer, Schüler und Eltern zeigten sich besorgte über die Zukunft des Unterrichts. Doch das Schulministerium hatte betont, dass es den IRU für unverzichtbar hält.

DITIB vs. Land Hessen – ein langer Rechtsstreit endet

Seit dem Schuljahr 2013/2014 wird der islamische Religionsunterricht in Hessen in Kooperation mit dem DITIB-Landesverband in Hessen erteilt. Allerdings wurde dieser Unterricht zwischen den Schuljahren 2019/2020 bis 2022/2023 ausgesetzt. Während dieser Zeit hat das Land als staatliche Alternative einen „Islamunterricht“ in alleiniger staatlicher Verantwortung angeboten. Hintergrund waren Zweifel, ob DITIB ausreichend unabhängig von der Religionsbehörde des türkischen Staates und somit als Kooperationspartner geeignet war. 2022 entschied der hessische Verwaltungsgerichtshof jedoch, das Land Hessen sei nicht befugt gewesen, den 2013 begonnenen islamischen Religionsunterricht landesweit einzustellen. Seit dem Schuljahr 2022/2023 wird der islamische Religionsunterricht mit der DITIB wieder angeboten. Der staatliche Schulversuch „Islamunterricht“ wird laut Angaben des Kultusministeriums bis zum 31. Juli 2026 fortgesetzt.

Im aktuellen Schuljahr waren insgesamt 3.713 Schülerinnen und Schüler für den islamischen Religionsunterricht in Kooperation mit DITIB Hessen (IRU DITIB Hessen) und Islamunterricht als Schulversuch (ISU) angemeldet. Diese werden an insgesamt 48 Schulen angeboten. „An 28 Schulen (23 Grundschulen und 5 weiterführende Schulen) wird IRU-DITIB Hessen angeboten. ISU wird an 20 Schulen (15 Grundschulen und 5 weiterführenden Schulen)“, heißt es auf Anfrage. Die islamischen Religionsgemeinschaften, in diesem Fall die DITIB, sei in die Auswahl der Lehrkräfte und die Entwicklung des Curriculums eingebunden. Geplante Änderungen hinsichtlich der Struktur, Inhalte oder Organisation des islamischen Religionsunterrichts gebe es derzeit keine.

Unterricht unter staatlicher Verantwortung

In Bayern gibt es keinen islamischen Religionsunterricht im verfassungsrechtlichen Sinn. Stattdessen wurde 2021 der Islamische Unterricht als neues Wahlpflichtfach eingeführt, alternativ zu Ethik. Dieses Fach wird ausschließlich vom Staat verantwortet, da keine islamische Organisation in Deutschland die rechtlichen Merkmale einer Religionsgemeinschaft vollständig erfüllt, erklärt das bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus auf Anfrage von IslamiQ. Der Islamische Unterricht beruhe dabei auf einem entkonfessionalisierten Konzept, das islamkundliche Inhalte und Wertebildung im Sinne des Grundgesetzes verbinde.

Im Schuljahr 2023/2024 nahmen rund 21.000 Schüler an dem islamischen Unterricht teil, verteilt auf etwa 410 allgemeinbildende Schulen, darunter 260 Grundschulen, 130 Mittelschulen, 10 Realschulen, 10 Gymnasien und einige Berufsschulen. Die Lehrkräfte für den Islamischen Unterricht müssen die Befähigung zum Lehramt oder eine vergleichbare pädagogische Qualifikation haben, der Einsatz von Imamen sei laut dem Ministerium ausgeschlossen.

In Schleswig-Holstein wird ebenfalls kein islamischer Religionsunterricht gemäß Art. 7 3 GG angeboten, jedoch gibt es seit über zehn Jahren an mehreren Grundschulen islamkundlichen Unterricht. Die Teilnahme an diesem Unterricht ist freiwillig und ohne Benotung. Im Schuljahr 2023/24 besuchten 1.084 Schüler an 11 Schulen dieses Angebot. Lehrkräfte sind muslimischen Glaubens, bereits im Landesdienst und erhalten eine zweijährige Weiterbildung. Der Lehrplan wurde unter beratender Einbeziehung muslimischer Teilnehmer entwickelt. Es gibt laufende Dialoge mit islamischen Verbänden zur Einführung eines zukünftigen islamischen Religionsunterrichts.

Islamunterricht in Saarland und Rheinland-Pfalz

Ein weiterer Modellversuch wird seit dem Schuljahr 2015/16 an Grundschulen in Saarland erprobt. Dieser konfessionell orientierte Unterricht findet in deutscher Sprache statt und fördert den interreligiösen Dialog sowie die interkulturelle Kompetenz. Der Unterricht steht unter staatlicher Aufsicht und ist für angemeldete Schüler verpflichtend. Im Schuljahr 2023/24 nahmen 414 Schüler daran teil, und die Zahl der Teilnehmer steigt. Der IRU wird an vier Grundschulen für die Klassenstufen 1–4 angeboten. Die Lehrkräfte sind muslimischen Glaubens und im saarländischen Schuldienst tätig, wobei die islamischen Organisationen auch Lehrkräfte vorschlagen können. Die Entwicklung des Curriculums erfolgt in Zusammenarbeit mit sechs islamischen Organisationen innerhalb der IRIS-Arbeitsgruppe. Geplante Änderungen gibt es derzeit nicht, jedoch wurde der Modellversuch 2023 um vier Jahre verlängert, und eine Fachkonferenzgruppe wurde zur Weiterentwicklung des Unterrichts gebildet.

Auch in Rheinland-Pfalz wird der islamische Religionsunterricht ohne die Beteiligung von muslimischen Vertretern gerade erprobt. Im aktuellen Schuljahr haben 2.638 Schülerinnen und Schüler an 31 Schulen (25 Grundschulen, eine Realschule, drei Gymnasien und zwei Gesamtschulen) am Modellprojekt des islamischen Religionsunterrichts teilgenommen. Um in die langfristige Ausbildung von Lehrkräften zu investieren, plane das Land eine Professur für islamische Theologie an der Universität Koblenz zu errichten, erklärte das Bildungsministerium auf Anfrage von IslamiQ. Der Lehrplan für das aktuelle Modellprojekt wurde ohne Zusammenarbeit mit den islamischen Religionsgemeinschaften erstellt. Zukünftige Lehrpläne und rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen werden nach der Vereinbarung eines Staatsvertrags zwischen dem Land und den Muslimen angepasst.

Wie sieht es in den restlichen Bundesländer aus?

In Berlin existiert seit 2001 islamischer Religionsunterricht. Er wird von der Islamischen Föderation Berlin (IFB) in eigener Verantwortung für mehr als 5.000 Schüler übernommen. Während in Hamburg und Bremen ein „Religionsunterricht für Alle“ angeboten wird, findet in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern kein islamischer Religionsunterricht. Änderungen seien in diesen Bereichen derzeit auch nicht geplant.

Leserkommentare

Evergreen sagt:
Interessanter Überblick ! Doch warum fehlt nur das Bundesland Brandenburg mit dem Unterrichtsfach " Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde " ?
03.08.24
17:58