Muslimische Akademiker

„Die Perspektive der negativ Betroffenen ist kaum abgebildet“

Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen unserer Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute mit Rümeysa Şenel über die Wahrnehmung von antimuslimischem Rassismus.

24
08
2024
Rümeysa Şenel © Privat, bearbeitet by iQ.
Rümeysa Şenel über die Wahrnehmung von antimuslimischem Rassismus © Privat, bearbeitet by iQ.

IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?

Rümeysa Şenel: Mein Name ist Rümeysa Şenel. Ich bin Doktorandin der Sozialwissenschaft, Empowerment-Trainerin und Mutter. Ich habe Politikwissenschaften und Soziologie studiert und beschäftige mich bereits seit meinem Masterstudium auch akademisch mit antimuslimischem Rassismus. Durch meine Haltung des lebenslangen Lernens und meine Leidenschaft für das wissenschaftliche Forschen habe ich relativ früh entschieden, zu promovieren.

IslamiQ: Können Sie uns Ihre Dissertation kurz vorstellen?

Şenel: In meiner Dissertation beschäftige ich mich mit der Frage, wie negativ Betroffene (das heißt, Muslim:innen und als solche Wahrgenommene) antimuslimischen Rassismus wahrnehmen und damit umgehen. Da Rassismus sozial geächtet ist und vor allem latent auftritt, liegt mein Fokus auf subtilen Formen des Alltagsrassismus. Hierbei ist insbesondere die Perspektive von negativ Betroffenen wichtig, da ihr (situiertes) Wissen, das heißt ihr Erfahrungswissen, auch in der wissenschaftlichen Forschung bisher nur marginalisiert analysiert wurde. Dabei ist gerade dieses Wissen für die Entwicklung von angemessenen Beratungs-, Betreuungs- und Unterstützungsstrukturen zentral.

IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?

Şenel: Es ist nicht einfach, sich akademisch mit einem Thema auseinanderzusetzen, das einen selbst direkt betrifft. Jedoch brenne ich für gesellschaftlich höchst relevante Themen rund um soziale Ungleichheit, Diskriminierung und antimuslimischen Rassismus und habe bereits im Studium entsprechende Seminare belegt. In der Zeit, in der ich meine Masterarbeit schrieb, wurde deutlich, dass die Forschung zu antimuslimischem Rassismus noch in Kinderschuhen steckte und es viele offene Fragen gab. Mein damaliger Betreuer hat mich ermutigt, mich mit meiner Masterarbeit an potenzielle Betreuer:innen für eine Doktorarbeit zu wenden und genau dies habe ich getan.

IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht?

Şenel: Meine positivsten Erfahrungen verdanke ich der exzellenten Betreuung durch meinen Doktorvater Prof. Dr. Constantin Wagner und meine Doktormutter Prof. Dr. Iman Attia. Sie unterstützen mich in allen Fragen rund um die Doktorarbeit. Aber nicht nur das: sie unterstützen mich auch allgemein in meiner Karriere als Akademikerin. Da ich ein Arbeiterkind bin und in meiner Familie die Erste bin, die einer akademischen Karriere nachgeht, habe ich niemanden, die/der mir in dieser Hinsicht über die Schulter blicken und mit wichtigen Ratschlägen zur Seite stehen kann. Daher bin ich unendlich dankbar, sie als Doktoreltern zu haben.

Prof. Dr. Constantin Wagner war auch derjenige, der mich dazu motiviert hat, mich beim Avicenna-Studienwerk für ein Promotionsstipendium zu bewerben. Dort habe ich andere muslimische Akademiker:innen kennengelernt, die nicht nur zu wichtigen Kolleg:innen, sondern auch zu Freund:innen geworden sind. Der Austausch mit Personen mit ähnlichen Hintergründen und ähnlichen Erfahrungen ist von unmessbarem Wert.

Negativ fällt mir immer wieder auf, dass Universitäten noch zumeist weiße Räume sind und People of Color vor allem in den höheren Arbeitsbereichen wenig vertreten sind. Das bringt viele Schwierigkeiten mit sich.

IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?

Şenel: Wie bereits erwähnt, ist die Perspektive von negativ Betroffenen bisher kaum abgebildet. Dabei können keine angemessenen Schutz- und Beratungsstrukturen etabliert werden, wenn nicht deutlich ist, was negativ Betroffene alltäglich erleben und was sie brauchen. Meine Doktorarbeit bietet eine Basis dafür. Sie wird aber keineswegs nur der muslimischen Gemeinschaft nützlich sein, sondern allgemein uns allen als deutsche Gesellschaft im Sinne eines demokratischen Miteinanders.

Leserkommentare

Marco Polo sagt:
Über die Wahrnehmung von antiwestlichem Rassismus würde ich auch gerne mehr erfahren, speziell von akademisch gebildeten Personen. Auch wenn sie sich strengen islamischen Schariagesetzen devot unterwerfen.
26.08.24
2:10