Mit Amina Luise Becker verlieren Muslime in Deutschland eine Pionierin, die sich für die Verwurzelung des Islams und die Entfaltung muslimischer Organisationen eingesetzt hat. Ein Nachruf von Dr. Abdurrahman Reidegeld.
Amina Luise Becker, geb. 1939 in Köln, studierte Jura und Islamwissenschaften und war Religionspädagogen, Buchautorin. Die religiöse Bildung der muslimischen Jugendlichen war ihr ein besonderes Anliegen. Die zweifache Mutter gehörte zu den Personen der ersten Stunde. Zusammen mit ihrem Ehemann Akgün Erbakan hatten sie viele islamische Gemeinden mitbegründet. Dadurch hatte sie die Umma Deutschlands mitgeprägt und den Weg für viele junge MuslimInnen geebnet.
Wenn sich jemand in der deutschsprachigen muslimischen Community für die muslimischen Menschen und ihre Bildung, ihre Heranführung an den Islam auf freundliche und intellektuelle Weise, zugleich menschlich wie auch sachlich, verdient gemacht hat, dann war das sicherlich unsere liebe Schwester Amina Becker, die ich seit ca. 1989 in vielen Gelegenheiten und Treffen kennenlernen durfte. Sie war altersmäßig etwa in der Generation meiner mittlerweile auch schon verstorbenen Mutter, aber sie hatte sich in ihrer Auffassungsgabe und Hingabe an islamische Bildung sehr jung gehalten.
Unser erster Austausch – so wie ich mich erinnere – ging genau darum, dass es zu wenig Lernmöglichkeiten und Begegnungsorte für die Aus- und Weiterbildung muslimischer Mädchen gäbe. Tatsächlich hatte sie unter Schwierigkeiten Räume und einfaches Equipment besorgt und fragte mich – damals junger Student der islamischen Fachwissenschaften –, ob ich denn bereit wäre, ihr und einer ersten Lerngruppe Fachunterricht zu geben. Nachdem wir die Zustimmung auch der Eltern dazu hatten, organisierten wir gemeinsam diese Unterrichte und lernten dabei auch sehr genau die Denkweise des anderen kennen.
Sie trat kompromisslos und zugleich mit höchstem Anstand für einen neuen Ansatz in der islamischen Bildung und Denkweise ein, brauchte aber auch fähige Berater. So saßen wir oft zusammen, und trotz des Altersunterschiedes hatte ich oft den Eindruck, mit einer jungen und ganz und gar engagierten Seele zu sprechen, der kaum etwas so viel Kummer bereitete wie vergeudete Gelegenheiten, Gutes und Sinnvolles zu erfüllen. Sie hatte den typisch rheinländischen Humor, und scheute sich nicht vor klaren Worten zu Problemen und Herausforderungen. Sie passte nicht in das Schema der „emanzipierten“ und in der Regel religionsfernen Frauen, ließ sich aber auch nicht zur Seite drücken, wenn sie sich im Recht sah. Da sie aus ihrem persönlichen Leben her auch Türkisch sprach, konnte sie – das sah ich etliche Male – auch mit recht konservativen männlichen Entscheidungsträgern in aller Höflichkeit und Anstand und dennoch auch Härte und Entschiedenheit diskutieren, zumal sie aus Klugheit Diskussionen da vermied, wo sie sich selbst nicht ausreichend sicher in der Materie war.
Viele Male half sie mir persönlich weiter, erklärte mir die Denkweise mancher gesellschaftlichen Gruppen und Gemeinden, was ich – als ein junger Muslim mit 20+ Jahren – noch nicht durchschauen konnte. Aber sie erkannte in vielen Menschen Potential und hat dieses auch – soweit sie konnte – gefördert und sie auf dem Wissensweg in ihrer Ausbildung bestärkt.
Die vielfältigen Krisen in Identität und Entwicklung unter Muslimen in Deutschland hat sie mir gegenüber gern so beschrieben: „Die Fachleute und Gelehrten in Deutschland reden davon, dass die Zugangstreppe zu heiß wird, dabei brennt es schon an mehreren Stellen im Raum dahinter.“ Erst in ihren späteren Lebensjahren, in denen ich sie doch noch des Öfteren bei Veranstaltungen und Treffen sah und sprach, zeichnete sich ab, dass ihre Haltung langsam mehr Anhänger fand, dass nun der Zugang zu Bildung und Begegnung nicht mehr einseitig betrachtet wurde, dass es Studenten- und Bildungseinrichtungen auch in den muslimischen Gemeinschaften gab. Immer waren wir uns aber auch einig, dass es ein genuin islamischer Weg sein sollte, einer, bei dem der Mensch sich immer bewusst ist, ein Gottesdiener zu sein und letztlich um Allahs willen alle Anstrengungen zu unternehmen.
Als ich gestern – noch im Ausland auf Reisen – die Nachricht erhielt, dass Amina Becker gestorben sei, wurde mit schlagartig bewusst, wie nah der Verlust mir eigentlich geht und auf welch seltsame Weise sich Hoffnung und Gewissheit damit vermischen: Noch zwei Tage vorher hatte ich an sie gedacht und wollte mich nach ihr erkundigen – nun kam die Kunde zu mir. Und die Hoffnung ist sehr groß, dass das, was sie als gutes Werk hinterlassen hat, in Diesseits und Jenseits die besten Wirkungen zeigen wird. Und die Gewissheit bleibt, dass sie bei Allah eine bessere Welt vorfinden wird als die, die sie gerade verlassen hat.
Möge Allah ihr die besten Wohnorte der Aufrichtigen gewähren, ihr am Tag der Auferstehung den Platz in der Nähe der Propheten und Gottesgesandten bereitstellen, all ihre Handlungen zu Sâlihât machen, ihr Ehrenplätze im Paradies schenken und uns alle – sie, ihre Familie, Verwandten und Freunde – trösten, wenn wir uns an sie erinnern und ihr unsere Duâs und Gedanken widmen.