Srebrenica im Juli 1995: Binnen weniger Tage ermorden serbische Soldaten mehr als 8.000 muslimische Bosniaken. Die Drahtzieher des Völkermords sollen nun offiziell als „Helden“ in den Schulunterricht einziehen.
In drei Wochen wählen die Menschen in Bosnien und Herzegowina neue Lokalregierungen. Jetzt überschatten abermals ethnische Spannungen den Wahlkampf. Es geht um verurteilte Kriegsverbrecher, die über Nacht offiziell zu „Helden“ wurden.
Nach dem Krieg in der Region Bosnien (1992-1995) bleibt das Balkanland in zwei Teilrepubliken gespalten: eine bosnisch-kroatische Föderation und die serbische Republika Srpska. In letzterer sorgen die Bildungsbehörden jetzt für Schlagzeilen. Der neue Lehrplan für die neunte Schulstufe bezeichnet den Bosnienkrieg demnach als „patriotischen Verteidigungskrieg“. Höchst problematisch, meint Hanan-Lamia Skopljak, Projektkoordinatorin der Youth Initiative for Human Rights in Sarajevo: „Mit diesem Begriff eine Aggression zu bezeichnen, relativiert den Konflikt – vor allem, wenn der Unterrichtsstoff in keiner Weise die Gräuel anspricht, die die Armee der Republika Srpska verübt hat.“
Sorge herrscht vor allem darüber, dass Schüler in der serbischen Region künftig verurteilte Kriegsverbrecher als „Helden“ kennenlernen könnten. Etwa den bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic oder dessen Armeechef Ratko Mladic. Sie gelten als Drahtzieher des Massakers von Srebrenica, bei dem bosnisch-serbische Truppen im Juli 1995 mehr als 8.000 muslimische Bosniaken ermordeten. Vergangenen Mai wurde abermals an diesen Völkermord erinnert, als die Vereinten Nationen einen internationalen Gedenktag für die Opfer ins Leben riefen. Aus der Republika Srpska und Serbien kam massiver Protest dagegen.
Noch seien die Geschichtsbücher nicht umgeschrieben, sagt Menschenrechtsaktivistin Skopljak. Doch die Erklärung der zuständigen Bildungsbehörde gebe wenig Hoffnung. Demnach trugen Karadzic und Mladic – beide zu lebenslanger Haft verurteilt und im Gefängnis – entscheidend zur Entwicklung der Republika Srpska bei und haben einen ehrenhaften Platz in der Geschichte verdient. Laut Skopljak macht der neue Lehrplan die Versöhnung in Bosnien-Herzegowina unmöglich. Mehr noch: „Er gewährleistet die Indoktrinierung der jungen Generationen, der empfindsamsten Gruppe in der Bevölkerung, und verbreitet Hass, Intoleranz und Missverständnis unter ihnen.“
Viele Augen in dem Streit sind jetzt auf einen Deutschen gerichtet: Christian Schmidt, Hoher Repräsentant der Vereinten Nationen in Bosnien-Herzegowina, ist Wächter über das Dayton-Abkommen, das den Krieg 1995 beendete und die Grenzen in dem zerrissenen Land festlegte. Die Srebrenica-Überlebenden sehen die Verherrlichung von Kriegsverbrechern als direkte Verletzung des Friedensvertrags. Wird Schmidt von seinen Befugnissen Gebrauch machen und den neuen Lehrplan kippen? Fest steht: Das würde ihn abermals auf Konfrontationskurs mit Milorad Dodik bringen, dem einflussreichen Präsidenten der Republika Srpska.
„Am Rande des Zerfalls“ – so lautet das Kurzfazit der Konfliktforscher der International Crisis Group Bosnien-Herzegowina in einem Bericht von vergangenem Mai. Maßgeblich verantwortlich seien Dodiks fortwährende Drohungen, sich mit seiner Teilrepublik vom Rest des Landes abzuspalten. „Das ist weder typische Balkan-Rhetorik, wie manche behaupten, noch eine bloße Strategie von Dodik“, sagte Schmidt bereits im April besorgt.
Wiederholt setzte der UN-Diplomat über das vergangene Jahr seine „Bonner Befugnisse“ ein, um umstrittene Vorstöße der Srpska-Regierung zu annullieren, darunter ein eigenes Wahlgesetz und Weisungen gegen Bosniens Verfassungsgericht. Hitzkopf Dodik sieht in dem deutschen Diplomaten einen „ausländischen Diktator“. Dieser wiederum bezichtigte Dodik in der Vergangenheit eines „beispiellosen Angriffs“ auf das Friedensabkommen. Bezüglich des neuen Lehrplans hielt Schmidt fest: „Bildung muss die Wahrheit erzählen, es gibt keinen Raum für die Glorifizierung von Kriegsverbrechern.“
Auch die Aktivisten der Youth Initiative for Human Rights, Gewinner des diesjährigen Aachener Friedenspreises, wollen eine Verzerrung der Geschichte nicht einfach hinnehmen. Sie erstatteten Anzeige gegen die führenden Köpfe des Bildungssektors der Republika Srpska.
Unterdessen beobachtet die Europäische Union die Situation in dem Beitrittskandidatenland genau. Dazu Menschenrechtlerin Skopljak: „Die internationalen Organisationen haben ihre Bedenken hinsichtlich der Annahme des Lehrplans zum Ausdruck gebracht. Weitere Schritte stehen jedoch noch aus.“ (KNA, iQ)