Der Gaza-Krieg fordert klare Positionen. Wie kann Deutschland zum Frieden beitragen? Dr. Hakan Aydın über die Notwendigkeit von Besonnenheit und Dialog.
Die Ereignisse im Nahen Osten beherrschen seit geraumer Zeit die Schlagzeilen und sorgen weltweit für große Besorgnis. Angesichts der sich verschärfenden Spannungen und der drohenden Eskalation hin zu einem umfassenden Krieg in der Region stellt sich auch in Deutschland die Frage, wie sich die Bundesrepublik in diesem komplexen Konflikt positionieren sollte.
Diese Frage stellt sich in einer Zeit, in der Besonnenheit und Friedensbemühungen von größter Bedeutung sind.
Ein Wendepunkt, aber kein Beginn
Es steht außer Frage, dass der 7. Oktober 2023 ein gravierender Angriff war. Doch die Ereignisse auf diesen Tag zu reduzieren greift zu kurz. Die Wurzeln dieses Konflikts reichen weiter zurück und haben tieferliegende Ursachen, die nicht übersehen werden dürfen. Es ist unerlässlich, die historische und politische Komplexität zu erkennen, um die Geschehnisse in ihrem vollen Umfang zu verstehen.
Das Auslöschen unschuldigen Lebens, der an diesem Tag zu beklagen war, muss auf das Schärfste verurteilt werden. Die islamischen Gemeinschaften in Deutschland haben das vielfach getan und damit ein wichtiges Zeichen gesetzt. Die deutliche Verurteilung von Gewalt gegen Zivilisten ist ein wesentlicher Schritt, um die humanitäre Dimension dieses Konflikts hervorzuheben und die Wahrung von Menschenrechten zu betonen.
Im Koran wird die Heiligkeit des menschlichen Lebens hervorgehoben: „Wer einen Menschen tötet – es sei denn, er habe einen anderen Menschen getötet oder Unheil auf der Erde gestiftet –, so ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet.“ (Sure Mâida, 5:32). Diese Koranverse betonen die immense Verantwortung, die mit dem Schutz des Lebens verbunden ist, und zeigen wie schwer das Vergehen der Gewalt gegen Unschuldige wiegt.
Die Gewalt am 7. Oktober provozierte die bis heute anhaltenden Angriffe gegen unschuldige Zivilisten. Die Eskalation hat eine besorgniserregende Stufe erreicht, die die Region weiter destabilisiert. Diese grenzenlose Gewalt darf unter keinen Umständen als „normal“ hingenommen werden. Auch hier haben die islamischen Gemeinschaften in Deutschland ihre Stimme erhoben und wiederholt zu Frieden aufgerufen. Ihre Forderung einer friedlichen Lösung verdient Anerkennung und Unterstützung.
Im Islam wird Frieden als ein zentrales Ziel angesehen. Der Prophet Muhammad (s) sagte: „Der Muslim ist derjenige, vor dessen Zunge und Hand die Menschen sicher sind.“ (Hadith, Buhârî). Dieser Hadith unterstreicht die Wichtigkeit, sich für den Schutz und das Wohlergehen anderer einzusetzen und Konflikte friedlich zu lösen. Die internationale Gemeinschaft, einschließlich der Vereinten Nationen, beobachtet die Situation. Erklärungen und Untersuchungen durch offizielle Gremien legen die Geschehnisse in all ihren Facetten offen. Diese Berichte sind ein wichtiger Beitrag zum globalen Verständnis der Krise und sollten als Grundlage für eine umfassende und gerechte Lösung des Konflikts dienen.
In einer Welt, die bereits von zahlreichen Konflikten und Krisen geplagt ist, sollte Deutschland die klare Position des Friedens einnehmen, sich entschieden für eine friedliche Lösung einsetzen und jede Form der Eskalation vermeiden. Muslime in Deutschland, die einen wesentlichen Bestandteil der Gesellschaft bilden, haben eine wichtige Rolle in diesem Prozess. Ihre wiederholten Aufrufe zum Frieden zeigen, dass sie entschlossen sind, zur Förderung eines harmonischen Miteinanders beizutragen. Dieser Einsatz sollte nicht nur anerkannt, sondern auch gefördert werden.
Der Koran betont die Wichtigkeit von Gerechtigkeit und Frieden: „O ihr, die ihr glaubt, tretet ein in den Frieden, allesamt, und folgt nicht den Schritten des Teufels; gewiss, er ist euch ein offenkundiger Feind.“ (Koran, Sure Bakara, 2:208). Diese Verse erinnern abermals daran, dass Frieden das Ziel aller Gläubigen sein sollte und dass Gerechtigkeit die Grundlage für einen dauerhaften Frieden ist.
In den aktuellen Debatten ist es von entscheidender Bedeutung, dass Antisemitismus und die Staatsräson Deutschlands nicht als Hindernisse für friedliche Bewegungen missverstanden oder miteinander vermischt werden. Antisemitismus richtet sich gegen eine ganze Gemeinschaft und hat seinen Ursprung nicht im Islam. Jeglicher Antisemitismus ist inakzeptabel und abzulehnen. Er ist eine verwerfliche Ideologie, die in keiner Form geduldet werden darf. Dem Koran sind Werte zu entnehmen, die zu Respekt und Gerechtigkeit gegenüber allen Menschen, unabhängig von ihrer Religion oder ethnischen Zugehörigkeit mahnen: „Und wir haben die Kinder Adams geehrt.“ (Koran, Sure Isrâ, 17:70)
So wie tote israelische Zivilisten nicht zu verharmlosen sind, so sind im Namen der Menschlichkeit auch die Angriffe auf die palästinensische Bevölkerung nicht zu verharmlosen. Die Verharmlosung von Leid und Unrecht führt nur zu einer weiteren Eskalation und behindert den Weg zu einer gerechten und dauerhaften Lösung. Gerechtigkeit muss allen Beteiligten gleichermaßen zukommen, und das bedeutet, dass das Leiden und die Rechte der Palästinenser ebenso ernst genommen werden müssen wie die aller anderen Betroffenen.
Die gegenwärtigen Vorfälle im Nahen Osten dürfen nicht zu einer Spaltung der in Deutschland lebenden Bevölkerungsgruppen führen. Es ist von größter Bedeutung, dass diese Konflikte nicht in unsere Gesellschaft getragen werden und keine Spannungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen verursachen. Deutschland ist eine vielfältige und multikulturelle Nation, in der Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religionen und Kulturen in Frieden zusammenleben. Dieses friedliche Zusammenleben darf nicht durch externe Konflikte gefährdet werden.
Der Koran erinnert uns daran: „Er hat euch als Religion anbefohlen, was er Noah vorschrieb und was wir dir offenbarten und Abraham und Moses und Jesus auftrugen: am Glauben festzuhalten und ihn nicht zu spalten.“ (Koran, Sure Schûrâ, 42:13). Dieser Vers betont die Wichtigkeit von Einheit und Zusammenhalt in der Gesellschaft. Es liegt in der Verantwortung aller Bürger, unabhängig von ihrem Hintergrund, den sozialen Frieden in Deutschland zu bewahren und aktiv daran zu arbeiten, Spannungen zu verhindern.
Deutschland kann und sollte als Vermittler im Nahostkonflikt agieren, indem es seine diplomatischen Beziehungen nutzt, um Dialog und Verhandlungen zu fördern. Nur durch Gespräche und Kompromisse kann eine nachhaltige Lösung gefunden werden, die den Frieden sichert und das Leid der Menschen in der Region lindert. In diesen schwierigen Zeiten ist es von größter Bedeutung, dass Deutschland eine klare Botschaft aussendet: Wir stehen für Frieden, Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Nur so kann ein Beitrag zur Stabilisierung der Region und zur Schaffung einer besseren Zukunft für alle Beteiligten geleistet werden.