FRA-Studie

„Antimuslimische Rhetorik des öffentlichen Diskurses hat Einfluss auf muslimisches Leben“

Die neue FRA-Studie zeigt: Antimuslimische Diskriminierung nimmt in Europa, besonders auf dem Arbeitsmarkt und im Alltag zu. Was kann getan werden, um Muslime besser zu schützen? Ein Interview.

08
11
2024
Muslime Europa Kopftuch FRA-Studie
Muslime in Europa © Shutterstock, bearbeitet by iQ.

IslamiQ: Frau Romain, Sie sind Sprecherin EU-Agentur für Grundrechte (FRA). Vor kurzem hat die FRA eine Studie zur Diskriminierung von Muslimen in Europa veröffentlicht.Was waren die Ziele der Studie und welche Ergebnisse haben Sie besonders überrascht?

Nicole Romain: Der Bericht liefert den politischen Entscheidungsträgern der EU und der Mitgliedstaaten zuverlässige und vergleichbare Daten über die Erfahrungen muslimischer Einwanderer und ihrer Kinder in der EU. Außerdem zeigt er, dass die antimuslimische Diskriminierung seit unserem letzten Bericht, der auf Daten aus dem Jahr 2016 basiert, stark zugenommen hat.

Besonders besorgniserregend ist, wie viele Muslime inzwischen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt diskriminiert werden. So gaben 39 % der befragten Muslime an, dass sie sich in den fünf Jahren vor der Erhebung bei der Arbeitssuche diskriminiert fühlten, 2016 waren es noch 31 %.

Junge Muslime, die in Europa geboren wurden, und insbesondere junge Frauen, die religiöse Kleidung tragen, sind einem höheren Risiko von Diskriminierung und Missbrauch ausgesetzt. So fühlten sich beispielsweise 55 % der in der EU geborenen jungen Muslime bei der Arbeitssuche in den fünf Jahren vor der Umfrage aufgrund ihrer Religion, Hautfarbe oder Herkunft diskriminiert.

IslamiQ: Jeder zweite Muslim (47 Prozent) fühlt sich im Alltag diskriminiert. Was glauben Sie, sind die Hauptursachen für diesen Anstieg im Vergleich zu 2016?

Romain: Unsere Umfragen zeigen, dass Intoleranz und Diskriminierung in den letzten Jahren zugenommen haben, obwohl die Nichtdiskriminierung in den EU-Verträgen und im EU-Gleichstellungsrecht verankert ist. Muslime, Menschen afrikanischer Abstammung, Juden, Roma und andere Gruppen sind davon betroffen.

Die Phänomene sind allgegenwärtig, und mehrere Faktoren können eine Rolle spielen – zum Beispiel:

  • Öffentlicher Diskurs: aus unserer Forschung wissen wir, dass wenn der öffentliche Diskurs gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen negativ ist, diese tendenziell mehr Diskriminierung erfahren. Daher könnte die zunehmende antimigrantische und antimuslimische Rhetorik einen echten Einfluss auf das Leben der Menschen haben.
  • Mehr Diskriminierungserfahrungen und stärkeres Bewusstsein: unsere Umfrage zeigt, dass junge Muslime, die in Europa geboren sind, mehr Diskriminierung erfahren als andere Altersgruppen. Dies deutet darauf hin, dass junge Muslime sich ihrer Rechte sehr wohl bewusst sind, doch wenn sie versuchen, diese in der Realität wahrzunehmen, werden sie nicht so behandelt wie die allgemeine Bevölkerung.

IslamiQ: Wie erklären Sie die besonders hohen Diskriminierungsraten in Deutschland (68 Prozent) und Österreich (71 Prozent), und welche Maßnahmen sollten in diesen Ländern ergriffen werden, um das Vertrauen von Muslimen zu stärken und Diskriminierung abzubauen?

Romain: Wie bereits erwähnt, spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Der Ton des öffentlichen Diskurses in diesen Ländern kann jedoch die täglichen Erfahrungen der Menschen auf subtile, aber wirkungsvolle Weise beeinflussen.

Um dagegen anzugehen, müssen alle EU-Länder den antimuslimischen Rassismus und die Diskriminierung ernst nehmen: Sie müssen die bestehenden Antidiskriminierungsgesetze durchsetzen, Hassverbrechen ordnungsgemäß identifizieren, erfassen und untersuchen und gegen die Diskriminierung von Muslimen in allen Lebensbereichen vorgehen, von der Wohnungssuche über die Beschäftigung bis hin zu Bildung und Gesundheitsversorgung.

IslamiQ: Die Studie dokumentiert Diskriminierung in verschiedenen Lebensbereichen. Welcher Bereich muss Ihrer Meinung nach, die dringendste Aufmerksamkeit erhalten und warum?

Romain: Am häufigsten werden Muslime auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert: Mehr als jeder Dritte gab an, bei der Arbeitssuche oder am Arbeitsplatz diskriminiert worden zu sein. In der Praxis ist die Wahrscheinlichkeit, dass Muslime in der EU in Berufen arbeiten, die ihrem Bildungs- und Qualifikationsniveau entsprechen, geringer als in der Allgemeinbevölkerung. Dies wirkt sich auch auf andere Bereiche ihres Lebens aus, z. B. auf den Zugang zu Wohnraum, die Gesundheit, die wirtschaftliche Lage oder die Zukunftsaussichten. Daher sollten die EU-Länder gezielte Maßnahmen ergreifen, um Diskriminierung in der Beschäftigung zu bekämpfen.

IslamiQ: Die Studie hebt hervor, dass junge Frauen mit Kopftuch überdurchschnittlich von Diskriminierung betroffen sind. Welche Maßnahmen könnten ergriffen werden, um diese spezifische Gruppe zu unterstützen? Angesichts der Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt durch das EuGH-Urteil zum Kopftuchverbot: Wie kann die EU sicherstellen, dass solche Urteile nicht zu einer weiteren Diskriminierung von Muslimen führen?

Romain: Der Umgang mit der Situation von Muslimen, die in der Öffentlichkeit religiöse Kleidung tragen, fällt in die nationale Zuständigkeit. Die Mitgliedstaaten der EU werden ermutigt, gezielte Maßnahmen zur Unterstützung der Arbeitsmarktbeteiligung von Muslimen, die in der Öffentlichkeit religiöse Kleidung tragen, insbesondere von jungen muslimischen Frauen, durchzuführen, um dazu beizutragen, die spezifischen Hindernisse, mit denen sie konfrontiert sind, zu beseitigen und unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung am Arbeitsplatz zu verhindern.

IslamiQ: Was halten Sie von den derzeitigen Antidiskriminierungsmaßnahmen in der EU? In welchen Bereichen sehen Sie den größten Verbesserungsbedarf und welche politischen Maßnahmen wären Ihrer Meinung nach besonders wirksam?

Romain: Um wirksam gegen antimuslimischen Rassismus und Diskriminierung vorzugehen, fordert die FRA die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten auf, die bestehenden Antidiskriminierungsgesetze ordnungsgemäß durchzusetzen und härtere Sanktionen für Diskriminierung und Hassverbrechen zu verhängen. Hierbei sind gezielte Anstrengungen erforderlich, um Rassismus in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Wohnen und Gesundheit zu bekämpfen. So sollten sich die EU-Länder beispielsweise darauf konzentrieren, das Überqualifikationsgefälle zwischen Nicht-EU-Bürgern und der Allgemeinbevölkerung zu verringern, und mehr muslimische Schüler zu einem Schulabschluss zu ermutigen.

Auch sollten die EU-Länder dafür sorgen, dass ihre Gleichstellungsstellen über die notwendigen Mandate und ausreichenden Ressourcen verfügen, um wirksam und unabhängig gegen Diskriminierung vorzugehen. Die wirksame Umsetzung bestehender Gleichstellungsgesetze hängt von soliden nationalen Strukturen und Mechanismen ab, für die sich die EU kürzlich mit der Verabschiedung der beiden Richtlinien (Richtlinie (EU) 2024/1500 und Richtlinie (EU) 2024/1499) eingesetzt hat, um die Kapazitäten und Aufgaben der Gleichstellungsstellen in allen EU-Mitgliedstaaten zu stärken. Diese Richtlinien stärken gemeinsam das legislative Rückgrat der EU-Gleichstellungsagenda und gewährleisten, dass der Grundsatz der Nichtdiskriminierung in der gesamten EU wirksamer durchgesetzt wird.

Schließlich sollte jeder künftige EU-Aktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus spezifische Maßnahmen zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus und Diskriminierung enthalten.

Das Interview führte Muhammed Suiçmez.

Leserkommentare

Marco Polo sagt:
Beim Thema "Muslimisches Leben" sollte der Fokus keineswegs nur auf Europa gerichtet werden. Denn schlimmste Diskriminierung findet doch ganz besonders in islamischen Ländern statt, angeordnet durch höchste muslimische Autoritäten gegenüber dem Fussvolk. Dies zeigt auch der gerade in deutschen Kinos laufende Film "Critical Zone" von Ali Ahmadzadeh über den Widerstand in Zeiten der Hoffnungslosigkeit, der den Geist einer jungen iranischen Generation einfängt und selbst zum Ausdruck des Protests wird. Heimlich gedreht und von den iranischen Staatsorganen verboten, zeigt der Film nie gesehene Bilder aus der Unterwelt Teherans, wo Verzweiflung und Rebellion Hand in Hand gehen. Wo sich Menschen auflehnen gegen islamisch begründete Bevormundung, Unterdrückung, Drangsalierung und Unfreiheit. Der Deutschlandfunk Kultur nannte diesen progressiv-emanzipatorischen Film ein "Manifest der Freiheit und Widerstandskraft des iranischen Volkes." EU-Länder zeigen diesen Film zur Aufklärung und auf Festivals. Er wurde 2023 mit dem Goldenen Leopoarden des Locarno Film Festvals ausgezeichnet. Der öffentliche Diskurs in Sachen Islam und Machtverhältnisse ist wichtiger und sinnvoller denn je. Man darf ihn keinesfalls irgendwelchen strammen Islamverbänden und deren Machtstrukturen überlassen.
09.11.24
0:24
Grege sagt:
Islamrassistische Hetze hat die Enthauptung von Samuel Party geführt sowie zur Verbannung von juden und jüdischem Leben in Stadtvierteln mit hohem muslimischer Migranten
10.11.24
9:27