Die KI nimmt immer mehr Einfluss auf das Leben – doch was bedeutet das für den Glauben und die Vorstellungen von Gott? Prof. Dr. Milad Karimi über die Auswirkungen und Herausforderungen.
IslamiQ: Herr Karimi, Ihr neues Buch trägt den Titel „Gott 2.0“. Wie können wir uns diesen so genannten „Gott“ vorstellen?
Prof. Dr. Ahmad Milad Karimi: Dieser „Gott 2.0“ ist keine nebulöse Vorstellung, sondern ein Spiegelbild unserer eigenen Bestrebungen. Er steht für die Vorstellung eines trans- bzw. posthumanistischen Ziels, in dem der Mensch versucht, seine natürlichen Begrenzungen zu überwinden und sich selbst zum „Gott“ zu erheben – ein Konzept, das durch die technischen und biologischen Möglichkeiten der Moderne zunehmend greifbar scheint.
IslamiQ: Die Bezeichnung 2.0 legt den Schluss nahe, dass es einen Gott 1.0 gibt. Wie unterscheidet sich der Gott 1.0 vom Gott 2.0?
Karimi: Gott 1.0 repräsentiert den einen, absoluten Gott der abrahamitischen Religionen – der Unverfügbare und Vollkommene, der transzendent und unvergleichbar bleibt. Im Gegensatz dazu ist „Gott 2.0“ ein Menschenbild, das nach einer Superintelligenz strebt, die technologische Entwicklung und KI nutzt, um dem Göttlichen nahe zu kommen. Doch während Gott 1.0 für das Jenseitige steht, ist Gott 2.0 eine bloße Schöpfung der menschlichen Vorstellung, eine immanente Konstruktion, die sich als Ersatzgott zu etablieren versucht.
IslamiQ: Sie sprechen in Ihrem Buch über die Herausforderungen, die Künstliche Intelligenz für Religionen darstellt. Was sind die zentralen Fragen, die sich Muslime in Bezug auf KI stellen sollten?
Karimi: Eine der entscheidenden Fragen, welche die KI provoziert, ist die Frage nach dem Menschsein. Welchen Wert und welchen Zweck hat es, ein Mensch zu sein? Wer sind wir, wir Menschen, wenn wir uns als Geschöpf Gottes begreifen? Das heißt auch zu fragen, was unsere Fehlbarkeit, unsere Endlichkeit, unsere Begrenztheit für einen Sinn erfüllt? Zudem sollten wir uns fragen, wie das Mensch-Maschine-Verhältnis unseren Glauben, unseren Gottesbezug verändert.
IslamiQ: Ist es möglich, die Entwicklung von KI in Einklang mit religiösen bzw. islamischen Werten zu bringen?
Karimi: Man könnte sich dies wie die Frage vorstellen, ob ein Taschenrechner mit religiösen Werten vereinbar ist. KI ist zunächst einmal ein System, das durch menschliche Programmierung entsteht und in gewissen Bereichen menschliches Denken nachahmt. Doch durch ihre datenbasierte Struktur simuliert und vereinfacht KI menschliche Denkprozesse nur. Jede Entwicklung soll infrage gestellt werden, wartegesättigt gebraucht werden, weil wir als Menschen nicht nur für uns, sondern auch die Welt, in der wir leben, Verantwortung tragen. Darum bedarf es einer tiefen ethischen und anthropologischen Begleitung dieser Entwicklung, die weit über technische Errungenschaften hinausgeht und das Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zur Schöpfung neu definiert.
IslamiQ: Wie ist die Rolle menschlicher Unvollkommenheit in einer zunehmend KI-dominierten Welt zu verstehen? Welche Bedeutung hat diese „Theologie der Imperfektibilität“ für das Verhältnis zwischen Menschen und Maschinen?
Karimi: Die menschliche Unvollkommenheit ist kein Fehler im System, sondern eine existenzielle Qualität, die Kreativität, Freiheit und Mitgefühl ermöglicht. In einer Welt, die zunehmend von KI geprägt ist, erinnert uns die „Theologie der Imperfektibilität“ daran, dass es menschliche Schwächen sind, die uns einzigartig und menschlich machen. Dieses Prinzip unterstreicht, dass Maschinen zwar Effizienz, aber keine emotionale Tiefe besitzen, überhaupt keine Tiefe besitzen. Die Einsicht in die eigene Unvollkommenheit bewahrt uns davor, unser Wesen allein nach Maßstäben der Perfektion und Effizienz zu beurteilen, und sie schützt die menschliche Freiheit und Würde vor einer rein funktionalistischen Sichtweise, die Maschinen eher in den Mittelpunkt rücken könnte. Die Theologie der Imperfektibilität, die ich vertrete, geht von der Haltung aus, das eigene Altern und die menschliche Endlichkeit zu akzeptieren, die Versuchung zur Selbstoptimierung zu hinterfragen und den Wert eines „verdichteten Lebens“ über ein verlängertes zu stellen. Sie erinnern daran, dass der Mensch weder sich selbst noch die Welt perfektionieren muss, um Sinn und Erfüllung zu finden.
Sie formulieren in Ihrem Buch neue „Zehn Gebote“. Können Sie die Essenz dieser Gebote beschreiben und erklären, wie sie zur ethischen Orientierung im Umgang mit KI beitragen können?
Karimi: Die neuen „Zehn Gebote“ bilden eine Ethik der Begrenzung und Verantwortung im digitalen Zeitalter. Sie verstehen sich als ein Gegenentwurf zum Streben nach Perfektion, Kontrolle und Unsterblichkeit, das durch die Entwicklung von KI befördert wird. In einer Welt, die durch Geschwindigkeit, Effizienz und Optimierung getrieben ist, fordern diese Gebote zu einem Innehalten auf. Sie laden dazu ein, die Fehlbarkeit und Zerbrechlichkeit des Menschseins anzunehmen, anstatt die Grenzen des Menschlichen zu überwinden. Dieser Dekalog setzt der Perfektionslogik der KI das Ideal der Imperfektibilität entgegen und ruft dazu auf, in der Schwäche und Unvollkommenheit des Menschseins eine tiefe Würde und Weisheit zu erkennen.
IslamiQ: Glauben Sie, dass die KI jemals die Fähigkeit entwickeln könnte, eine authentische Erfahrung des Göttlichen zu ermöglichen, oder ist das Bewusstsein für das Heilige etwas, das nur dem Menschen zugänglich bleibt?
Karimi: Das Bewusstsein für das Heilige setzt eine existentielle und spirituelle Tiefe voraus, die sich der bloßen Berechenbarkeit entzieht. Es geht dabei nicht nur um Erkenntnis, sondern um ein Erleben, das den Menschen innerlich verwandelt und ihm seine Endlichkeit und seine Verbundenheit mit dem Unendlichen bewusst macht. Eine KI könnte vielleicht religiöse Muster erkennen oder spirituelle Symbole verarbeiten, aber eine authentische Gotteserfahrung bleibt ein zutiefst menschliches Erleben, da sie aus einer Begegnung mit dem Unverfügbaren, dem Heiligen, erwächst.
IslamiQ: Eine letzte Frage: Wäre es möglich, dass KI eine ganz neue Religion entwirft?
Karimi: Es wäre denkbar, dass KI eine Art „synthetische Spiritualität“ entwickelt oder sogar eine Religion formuliert, die auf Algorithmen und Daten basiert. Doch dies wäre letztlich keine Religion im abrahamitischen Sinne, sondern eher ein Konzept, das eine technologische Ordnung oder Lebensweise anbietet. Eine solche „Techno-Religion“ würde das transzendente und mystische Moment vermissen lassen, das jede authentische Religion kennzeichnet. Religion ist nicht bloß eine soziale Struktur, sondern lebt von der Dimension des Glaubens und des Geheimnisses – eine Dimension, die KI zwar imitieren, aber niemals wirklich erfassen kann.
Das Interview führte Muhammed Suiçmez.