Strassburg

Fall Oury Jalloh: Dokumentation eines unaufgeklärten Todes

Oury Jalloh stirbt in Obhut der Polizei. Fragen nach dem wie und warum sind auch 20 Jahre später nicht aufgeklärt. Der Tod von Oury Jalloh wird nun in einer aufwendigen Dokumentation beleuchtet.

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Oury Jalloh @ Flickr, bearbeitet by iQ.
Oury Jalloh @ Flickr, bearbeitet by iQ.

Knapp 20 Jahre nach dem Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle beleuchtet eine sechsteilige Dokumentation den Fall. Die Serie im Auftrag von WDR, SWR, BR und MDR für die ARD Mediathek stellt die Frage „Warum verbrannte Oury Jalloh?“ und versucht, in gut drei Stunden Antworten zu finden. Die Serie ist ab 27. November in der Mediathek und ab 6. Januar 2025 im Ersten zu sehen. Die Folgen tragen Titel wie „Letzte Stunden“, „Dritte Hand“ und „Code of Silence“ – und gehen dabei inhaltlich gewollt über den Tod des jungen Mannes am 7. Januar 2005 hinaus. Die Dokumentation erzählt chronologisch und spart dabei auch das Privatleben des aus Sierra Leone geflüchteten Jalloh nicht aus, etwa im Dialog mit ebenfalls aus Afrika stammenden Freunden und der Mutter seines zur Adoption freigegebenen Sohnes.

Fall Oury Jalloh machte Schlagzeilen

Der Fall Jalloh machte national und international Schlagzeilen. Auch deshalb, weil unter anderem der Verdacht bestand, der Asylbewerber könnte in einem rassistisch geprägten Umfeld angezündet worden sein. Wie genau es zum Feuertod Jallohs in der gefliesten Zelle im Keller des Dessauer Reviers kommen konnte, ist auch nach zwei Landgerichtsprozessen in Dessau-Roßlau und Magdeburg nicht geklärt. Die Justiz kam zu dem Schluss, dass er sich selbst mit einem Feuerzeug anzündete. Der gefesselte und zuvor gründlich durchsuchte Jalloh lag auf einer feuerfesten Matratze. Die Autoren Anna Herbst und Bence Máté, die auch Regie führten, sprachen mit mehreren Freunden Jallohs, die längst zu Aktivisten geworden sind. Nach der Trauerfeier rufen sie zum ersten Mal „Oury Jalloh, das war Mord!“ und gründen in Folge eine Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh, die bis heute besteht. „Man fragt sich immer, warum“, sagt ein Freund.

Leitender Polizeibeamter äußert sich zum ersten Mal

Die Filmemacher lassen Anwälte, Gutachter und Rechtsmediziner sowie erstmals einen leitenden Beamten des Reviers Dessau vor der Kamera sprechen. Er sagt: „Es ist das erste Mal, dass ich die Gelegenheit habe, mal unsere Sichtweise deutlich zu machen.“ Der Polizei wurde vorgeworfen, eine Mauer des Schweigens aufgebaut zu haben. In den Gerichtsprozessen gaben viele Beamte an, sich nicht erinnern zu können. In der Doku spricht der Polizist, der am Tag des Geschehens im Dienst gewesen war, am Ende von „Verschwörungstabak“. Irgendwann müsse auch mal Schluss sein, sagt er.

Die Dokumentation führt an Original-Schauplätze in der Bauhaus-Stadt Dessau, in Afro-Shops und Gerichtssäle. Es fließen Original-Tonmitschnitte und nachgesprochene Vernehmungsprotokolle ein. Szenen aus Überwachungsvideos und einige Innenaufnahmen des Dessauer Polizeireviers wurden für die Serie mit großem Aufwand nachgestellt. Es geht um Versäumnisse, Zweifel, Widersprüche und die lange Suche nach der Wahrheit.

Sonderberater des Landtags gibt Einblicke in Arbeit

Hat sich der an Händen und Füßen gefesselte Oury Jalloh, der bei seinem Einschluss in die Gewahrsamszelle fast 3 Promille Alkohol im Blut hatte, selbst angezündet? Wurde er von Polizisten misshandelt, schwer verletzt und getötet? Verschleiert die Polizei und wenn ja, warum? Und welchen Einfluss nahm die Politik? Herbst und Máté gaben der letzten Folge ihrer Dokumentation den Titel „Staatsversagen“. Der Politiker und Fachanwalt Jerzy Montag, einer der beiden Sonderberater des Landtags von Sachsen-Anhalt im Fall Jalloh, gibt folgenübergreifend Einblicke in Erkenntnisse aus seiner Arbeit. In dem Abschlussbericht aus dem August 2020 werden der Polizei Fehler und rechtswidrige Maßnahmen vorgeworfen.

Mehrere Gerichtsprozesse und Gutachten

Ein damals verantwortlicher Polizist wurde wegen fahrlässiger Tötung rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro verurteilt. Der Bundesgerichtshof bestätigte 2014 auch die Beweisführung des Landgerichts Magdeburg, wonach der Mann aus Sierra Leone in betrunkenem Zustand das Feuer in seiner Zelle selbst gelegt haben soll. Die Vorsitzende Richterin am Landgericht hatte 2012 aber auch deutlich gemacht: die Polizisten hätten Jalloh gar nicht mit auf das Revier nehmen dürfen. Zwar hatten sich auf der Straße Frauen von dem Afrikaner belästigt gefühlt, aber es habe keine Straftat vorgelegen. Zudem sei er keine Gefahr für sich selbst gewesen. Auch auf Ermittlungsfehler wies die Richterin damals hin. „Der Fall ist prozessual aufgeklärt. Alles andere ist Spinnerei“, sagt der Anwalt der Polizisten.

Die Ermittlungen liefen noch Jahre weiter, ohne zu Ergebnissen zu führen. Dass die inzwischen zuständige Staatsanwaltschaft Halle im Oktober 2018 den Fall zu den Akten legte, weil keine Aufklärung mehr zu erwarten war, bestätigte das Bundesverfassungsgericht erst im vergangenen Jahr. Jallohs Familie reichte daraufhin Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein. „Ich habe eine Hoffnung“, sagt ein Freund. (dpa, iQ)