HERAUSFORDERUNGEN

Islamische Bestattungen in Deutschland – Platzmangel sorgt für Diskussionen

Zwischen Heimat und Deutschland: Warum immer mehr Muslime in Deutschland bestattet werden – und welche Herausforderungen das mit sich bringt.

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Grabfeld Ruhefrist, Germersheim
Muslimisches Grabfeld, Germersheim © Shutterstock, bearbeitet by iQ

Saad Akidi, 65, steht auf dem Bonner Nordfriedhof und spricht mit einem trauernden Vater. Dessen Sohn hat er erst vor kurzem beerdigt. Akidi ist Bestatter in Bonn, auf dem dortigen Nordfriedhof gibt es ein muslimisches Gräberfeld. „Es gibt nur noch wenig Platz hier“, sagt der gebürtige Iraker, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt. Für die nahe Zukunft brauche es weitere Flächen für muslimische Bestattungen. Tatsächlich ist laut einer Beschlussvorlage der Bonner Stadtverwaltung das Grabfeld schon Ende dieses Jahres voll belegt.

Nach Beobachtung des Verbands der Friedhofsverwalter Deutschlands mit Sitz in Aschersleben werden immer mehr Muslime in Deutschland beerdigt. „Wir stellen das seit zwei, drei Jahren vermehrt fest“, sagt Michael Albrecht, Referent für Öffentlichkeitsarbeit bei dem Verband. „Das hängt wohl damit zusammen, dass sich der Familienschwerpunkt verlagert“, vermutet Albrecht.

„90 Prozent werden ins Heimatland überführt“

Özgür Uludağ bestätigt den Trend einerseits, andererseits erklärt der Journalist und Experte für islamische Bestattungen, dass auch die Zahl der Überführungen gestiegen ist – und immer noch stark dominiert. Das liege einerseits daran, dass mehr Muslime in Deutschland lebten und andererseits besonders ehemalige sogenannte Gastarbeiter aus der Türkei ins Sterbealter kämen. „Es werden nach wie vor 90 Prozent der verstorbenen Muslime ins Heimatland überführt“, sagt Uludağ.

Daten dazu, wer genau hierzulande beerdigt wird, gibt es kaum. Uludağ hat das Verhältnis aus seinen eigenen Erfahrungen und Befragungen abgeleitet. Der Hamburger arbeitete jahrelang im eigenen muslimischen Familien-Bestattungsunternehmen. Ihm zufolge sind die wenigsten verstorbenen Muslime, die auf Friedhöfen in Deutschland bestattet sind, Menschen mit türkischen Wurzeln. Allerdings würden mehrheitlich immer noch in ihr Heimatland überführt.

Die Gründe dafür sind „multidimensional“, wie Uludağ erklärt, der eine Doktorarbeit darüber geschrieben hat, wovon die Wahl des Bestattungsortes bei islamischen Beerdigungen abhängt. Eine der größten Rollen spiele die Hoffnung darauf, dass viel für das Seelenheil des Verstorbenen gebetet werde. Da Muslime dazu angehalten seien, für die Toten zu beten, wenn sie an einem Friedhof vorbeikommen, sei die erwartete Gebetsdichte in der Türkei beispielsweise höher.

Gibt es ausreichend muslimische Grabfelder?

Wie aus einer Untersuchung von Uludağ und Thomas Lemmen, Professor an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen und Geschäftsführer der Christlich-Islamischen Gesellschaft, hervorgeht, betreiben bundesweit mindestens 327 Friedhofsträger islamische Grabfelder. Rund ein Drittel davon liegen in Nordrhein-Westfalen, was laut Lemmen auch in etwa der Verteilung der Muslime in Deutschland entspreche.

Seit der Jahrtausendwende hat die Zahl der muslimischen Grabfelder nach Angaben des Professors zugenommen, weil damals die Bestattungsgesetze novelliert wurden. Heute dürfen Muslime in 14 von 16 Bundesländern demnach ohne Sarg, in ein Leinentuch gehüllt, bestattet werden. Aus der Befragung geht außerdem hervor, dass eine Mehrheit der muslimischen Gräber nach Mekka ausgerichtet sind, rund drei Viertel der Friedhöfe haben einen Platz, um das Totengebet durchzuführen und fast die Hälfte einen Raum für die Totenwaschung.

Allerdings verlangt die islamische Bestattungskultur eine unbegrenzte Ruhefrist – in Deutschland läuft sie hingegen nach 25 Jahren ab, auf dem Bonner Nordfriedhof sogar nach 15 Jahren. Eine Lösung dafür könnte Lemmen zufolge sein, statt einem Reihengrab ein Wahlgrab anzumieten, weil diese Miete immer weiter verlängert werden könnte. Wie der Bestattungsexperte weiter berichtet, ist in einigen Bundesländern auch eine Beerdigung vor der Mindestbestattungsfrist von 48 Stunden aus religiösen oder anderen Gründen erlaubt.

Beerdigung ist günstiger in den Heimatländern

Uludağ weist darauf hin, dass deutsche Mühlen dennoch manchmal langsam mahlen. Wenn ein Muslim etwa freitags sterbe, könne man meist froh sein, wenn am Dienstag das Grab ausgehoben werde. Eigentlich sollen Muslime aber noch am gleichen Tag ihres Todes unter die Erde gebracht werden. „Eine Überführung in die Türkei ist günstiger und schneller als eine Beerdigung in Deutschland“, erklärt der Experte.

Uludağ ist sich sicher, dass auch viele verstorbene Flüchtlinge muslimischen Glaubens, die in Deutschland versterben, lieber in ihrer Heimat beerdigt werden würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Viele Türken zahlen dafür in Überführungsfonds ein, um ihre Beerdigung im Heimatland bezahlen zu können.

Für deutsche Friedhöfe sind die steigenden muslimischen Bestattungen tatsächlich aber ein Segen. So sagt Albrecht vom Verband der Friedhofsverwalter: „Muslimische Begräbnisse können dazu beitragen, dass mehr Bedarf und Nachfrage da ist und wieder mehr Fläche gebraucht wird.“ Denn immer mehr Deutsche werden nach ihrem Tod eingeäschert – weil Urnen weniger Platz als Särge brauchen, ist nun viel Friedhofsfläche ungenutzt. Das kostet die Verwaltungen Geld.

Kein Platz für muslimische Grabfelder

In Bonn stieg die Zahl der vor Ort bestatteten Muslime zuletzt ebenfalls: Zwischen 2010 und 2015 gab es auf dem muslimischen Gräberfeld auf dem Nordfriedhof nach Auskunft der Stadt etwa 40 Beisetzungen pro Jahr, zwischen 2020 und 2023 waren es schon 70. Für Bestatter Akidi ist nicht nur der endliche Platz für Grabflächen ein Problem, er sucht bislang auch ohne Erfolg Räume für ein eigenes Büro mit einem Wasch- und Kühlraum in der Nähe des Nordfriedhofs.

Die Stadt streitet derweil mit muslimischen Gemeinden um eine Ausweitung des Grabfeldes. Sie will dort lieber Wohn- und Gewerbebauten errichten. Grundsätzlich gebe es viele andere freie Friedhofsflächen in Bonn, erklärt eine Sprecherin der Stadt. Herausfordernd sei nur der Wunsch nach „unberührtem Boden“. Auch solche Flächen gebe es in der Stadt. „Diese sind aber endlich, wie in allen anderen Großstädten auch.“ (KNA/iQ)