Nach vielen Höhen und Tiefen wurde in Rheinland-Pfalz ein Staatsvertrag unterzeichnet. Im Interview spricht Schura-Vorsitzender Akif Ünal über die langen Verhandlungen und künftigen Ziele.
IslamiQ: Herr Ünal, nach mehr als zehn Jahren der Verhandlung steht nun der Staatsvertrag zwischen den islamischen Religionsgemeinschaften und der Landesregierung. Wie bewerten Sie das Ergebnis?
Ünal: Nach einer langen Phase der Gespräche und Verhandlungen sind wir natürlich froh, dass wir mit der feierlichen Unterzeichnung endlich einen Vertrag haben. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir am Ende unserer Arbeit sind. In einigen Punkten haben wir unsere Ziele erreicht. In anderen werden die Gespräche weitergehen. Alles in allem ist es, wie bei allen Verträgen auch, ein Konsens.
Der Vertrag stellt die Weichen für die Zusammenarbeit der islamischen Religionsgemeinschaften mit der Landesregierung, unterstreicht die Rechtssicherheit in der Ausübung der islamischen Religion in Rheinland-Pfalz und regelt grundlegende Aspekte des religiösen Lebens. Zudem umfasst er auch gesellschaftlich relevante Themen. Im Allgemeinen sind wir zuversichtlich, dass wir jetzt auch viele Bereiche, zu denen wir aktuell keinen Zugang hatten, mit Leben füllen können. Der Staatsvertrag ist wichtig für das religiöse Leben, ein Meilenstein für das religiöse Leben der Muslime in unserem Bundesland.
IslamiQ: Die Landesregierung hat die Einigung als ein wichtiges Zeichen der Anerkennung und Gleichbehandlung bezeichnet. Welche Bedeutung hat der Vertrag für die muslimische Gemeinschaft in Rheinland-Pfalz?
Ünal: Wichtig ist vor allem die Feststellung der islamischen Religionsgemeinschaften als Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes und die Anerkennung als Kooperationspartner. Das ist ein großer Schritt in Richtung Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften im Land.
Bereits 2012/13 haben wir unser Interesse an einem Staatsvertrag bekundet, und seitdem waren wir kontinuierlich in Gesprächen. Die eigentlichen Verhandlungen dauerten etwa eineinhalb Jahre. Die Zeit davor diente vor allem dazu, offene Fragen zu klären – sowohl auf unserer Seite als auch seitens der Landesregierung. Letztendlich haben die Gespräche Früchte getragen und zu einer stabilen Vertrauensbasis geführt, auf der wir künftig zusammenarbeiten und die wir weiter aufbauen können.
IslamiQ: Die Gespräche wurden nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Welche Auswirkungen hatte das auf die Verhandlungen und das gegenseitige Vertrauen?
Ünal: Nach dem Putschversuch wurde der gesamte Prozess zunächst gestoppt. Man spürte den Bedarf danach, zu überprüfen, inwiefern die islamischen Religionsgemeinschaften eigenständig sind. Für uns war dieser Schritt nicht praxisrelevant. Jedoch war uns der erfolgreiche Abschluss dieses Prozesses wichtig, weshalb wir gesagt haben, dass wir selbstverständlich bereit sind, auch die letzten Fragen aus dem Weg zu räumen. Nachdem auch diese beseitigt wurden, konnte der Prozess wieder aufgenommen werden. Nach der Zielvereinbarung im Jahre 2023 verliefen die Verhandlungen sehr konstruktiv und im notwendigen zeitlichen Rahmen.
IslamiQ: Der Staatsvertrag umfasst mehrere Themen, darunter islamischer Religionsunterricht, Feiertagsregelungen und Seelsorge. Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Aspekte, und welche Bereiche bedürfen noch weiterer Klärung?
Ünal: Ein besonders zentraler Aspekt ist die Bereitschaft, islamische Theologie für Lehramtsanwärter an der Universität Koblenz zu etablieren. Das Interesse daran ist auf beiden Seiten groß. In diesem Zusammenhang ist es verständlich, dass man die seit Jahren laufende Zwischenlösung des Modellprojektes in Rheinland-Pfalz auf eine religionsverfassungsrechtliche Ebene heben möchte. Diese Entwicklung war nötig, da sie nicht nur den islamischen Religionsunterricht voranbringt, sondern auch die Ausbildung von qualifizierten Lehrkräften langfristig sichert und ihm Rechtssicherheit verleiht.
Allerdings gibt es auch Bereiche, in denen das gegenseitige Interesse weniger ausgeprägt war. Ein Beispiel hierfür ist die Zusammenarbeit im Rahmen der Gefängnisseelsorge. Wir hätten uns gewünscht, dass hier eine engere Kooperation zwischen den Religionsgemeinschaften und der Landesregierung stattfindet. Derzeit agieren beide Seiten eher parallel – es gibt zwar Maßnahmen und Initiativen, um Seelsorge in Haftanstalten zu leisten, doch diese werden weitgehend unabhängig voneinander umgesetzt. Wir sehen jedoch Potenzial für eine bessere Zusammenarbeit in der Zukunft. Es bleibt unser Ziel, die Seelsorge in Justizvollzugsanstalten stärker zu professionalisieren und auszubauen.
IslamiQ: Die Einführung eines flächendeckenden islamischen Religionsunterrichts war ein zentrales Element der Verhandlungen. Welche nächsten Schritte sind geplant?
Ünal: Der erste Schritt ist die Einrichtung der islamischen Theologie an der Universität Koblenz. Eine Kommission arbeitet derzeit an den curricularen Standards. Sobald diese erarbeitet sind, werden Professuren besetzt und Lehrstühle eingerichtet. Ziel ist es, dass das Studium voraussichtlich im nächsten oder übernächsten Jahr starten kann. Wir befinden uns hier noch in einem frühen Stadium, aber die Arbeiten schreiten voran.
IslamiQ: Es gab auch Kritik an den Verhandlungen, insbesondere von der Opposition, die die Verfassungstreue und das vermeintlich fehlende Bekenntnis zum Existenzrecht Israels thematisierte. Wie reagieren Sie darauf?
Ünal: Alles in allem verliefen die Gespräche mit der Landesregierung in einer konstruktiven Atmosphäre und in gegenseitigem Vertrauen. Man kannte sich und wusste, dass diese Vorwürfe nicht zutreffend sind. Wir haben uns bereits lange vorher mehrfach zu diesen Themen geäußert. Selbstverständlich bekennen wir uns zum Grundgesetz, akzeptieren das Existenz- und Selbstbestimmungsrecht Palästinas und das Existenzrecht Israels.
Das Interview führte Recep Yılkın.