Eine Untersuchung der Universität Wien offenbart alarmierende Vorurteile gegen Juden und Muslime – ein Spiegel gesellschaftlicher Spannungen und demokratischer Herausforderungen.
Eine aktuelle Untersuchung der Universität Wien offenbart alarmierende Entwicklungen: Antisemitismus und Islamfeindlichkeit sind in der österreichischen Gesellschaft tief verwurzelt. Die Studie, die unter dem Titel „Was glaubt Österreich?“ durchgeführt wurde, ist Teil eines interdisziplinären Forschungsprojekts, das vom Zukunftsfonds gefördert und in Zusammenarbeit mit der ORF-Abteilung für Religion und Ethik initiiert wurde. Ziel der Untersuchung war es, die Glaubens-, Sinn- und Wertvorstellungen der Bevölkerung zwischen 14 und 75 Jahren zu beleuchten. Doch die Ergebnisse werfen ein düsteres Licht auf die Haltung vieler Österreicherinnen und Österreicher gegenüber religiösen Minderheiten.
Laut der Studie, für die im Frühjahr 2024 über 2.100 Personen befragt wurden, sind islamfeindliche und antisemitische Einstellungen weit verbreitet. Fast 40 Prozent der Befragten halten christliche und islamische Werte für unvereinbar, und etwa ein Drittel spricht sich dafür aus, die Religionsausübung von Muslimen einzuschränken. Gleichzeitig offenbart die Untersuchung eine deutliche Zunahme antisemitischer Einstellungen: Fast ebenso viele Menschen stimmen der Aussage zu, dass die Israelis die Palästinenser so behandeln, wie die Deutschen die Juden im Zweiten Weltkrieg behandelt haben. Auch die Behauptung, dass Juden in der österreichischen Politik zu viel Aufmerksamkeit genießen, findet bei 38 Prozent der Befragten Zustimmung.
Regina Polak, Religionssoziologin und eine der Hauptverantwortlichen für die Studie, betont, dass diese Feindbilder keine bloßen Vorurteile sind, die sich allein durch Bildung ausräumen ließen. Sowohl Antisemitismus als auch Islamfeindlichkeit sind komplexe gesellschaftliche Phänomene, die sich historischer und kultureller Stereotype bedienen. Während Antisemitismus oft als „Erklärungsmodell“ für wirtschaftliche oder gesellschaftliche Krisen dient und Juden als übermächtig und bedrohlich darstellt, zielt Islamfeindlichkeit darauf ab, die Vorrechte etablierter Gruppen zu schützen und Muslime als kulturell minderwertig zu markieren. Der Islam wird in der öffentlichen Wahrnehmung häufig als monolithisch, sexistisch und barbarisch dargestellt, was die gesellschaftliche Integration von Musliminnen und Muslimen zusätzlich erschwert.
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass antisemitische und islamfeindliche Einstellungen besonders dort stark ausgeprägt sind, wo wenig direkter Kontakt zu Juden und Muslimen besteht. Diese Haltung sei laut Polak ein „Gradmesser für die Qualität der Demokratie“. Der Umgang mit Minderheiten zeige, wie weit eine Gesellschaft bereit sei, Vielfalt zu akzeptieren und Rechte gleichberechtigt zu gewähren. Bildung spiele zwar eine Rolle im Abbau von Vorurteilen, reiche jedoch alleine nicht aus, um tief verankerte Denkweisen zu verändern.
Die Studie betont zudem die Notwendigkeit, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit gemeinsam zu denken und zu bekämpfen, auch wenn es sich um unterschiedliche Phänomene handelt. Beide dienen als gesellschaftliche Mechanismen, um Krisen zu „erklären“ und Sündenböcke zu schaffen. Die Studienautoren plädieren dafür, Bildungskonzepte kritisch zu überprüfen, die Erinnerungskultur zu erweitern und gesellschaftliche Diskurse so zu gestalten, dass Betroffene stärker einbezogen werden. Polak betont, dass Vielfalt nicht nur Bereicherung bedeutet, sondern auch Konflikte mit sich bringt, die als Chance für ein neues Aushandeln von Macht- und Ressourcenverhältnissen verstanden werden sollten.
Das Projekt „Was glaubt Österreich?“ verbindet wissenschaftliche Forschung mit medialer Aufarbeitung und soll im Frühjahr 2025 vollständig veröffentlicht werden. Bereits jetzt zeigt die Studie, wie wichtig es ist, gegen Diskriminierung und Vorurteile aktiv vorzugehen – nicht nur für den Schutz von Minderheiten, sondern auch für die Stärkung der Demokratie in Österreich.