Der Gaza-Krieg hat tiefe Wunden hinterlassen. Morgen beginnt die Waffenruhe. Bekir Altaş ruft die Weltgemeinschaft zu entschlossenem Handeln für humanitäre Hilfe und Gerechtigkeit auf.
Die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen bleibt nach jahrelanger Blockade, massiver Zerstörung und unvorstellbarem Leid eine offene Wunde. Die Waffenstillstandsvereinbarung vom 15. Januar 2025 zwischen Israel und der Hamas gibt Hoffnung auf eine vorübergehende Ruhe, doch sie darf nicht als Ende, sondern muss als Beginn eines umfassenden Prozesses verstanden werden, der die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft auf den Prüfstand stellt.
Die Versorgung der Zivilbevölkerung in Gaza ist ein völkerrechtlich verbindliches Gebot, verankert in der vierten Genfer Konvention. Israel als Besatzungsmacht ist verpflichtet, den Zugang zu Lebensmitteln, medizinischer Versorgung und anderen lebenswichtigen Gütern sicherzustellen. Dennoch setzt die israelische Blockadepolitik auf gezielte Einschränkungen und humanitäre Spannungen.
Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte hat wiederholt darauf hingewiesen, dass diese Blockade eine Form der kollektiven Bestrafung darstellt – ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht.
Besonders besorgniserregend ist die geplante weitere Behinderung der Arbeit von UNRWA ab dem 26. Januar 2025, die die ohnehin prekäre Lage in Gaza drastisch verschärfen würde. Die Angriffe auf UNRWA und andere humanitäre Organisationen untergraben auch das gesamte internationale System des humanitären Schutzes. Die internationale Gemeinschaft darf hier nicht schweigen – sie muss handeln.
Die internationale Strafverfolgung von Kriegsverbrechen ist kein Selbstzweck. Sie ist Ausdruck eines Grundprinzips: Niemand steht über dem Gesetz. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat mehrfach betont, dass die Straflosigkeit schwerster Verbrechen nicht nur den Opfern Gerechtigkeit verweigert, sondern auch zukünftige Gewalt begünstigt.
In Gaza wurden zahlreiche Vorfälle dokumentiert, die potenziell als Kriegsverbrechen eingestuft werden können: gezielte Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur, unverhältnismäßige militärische Gewalt und die systematische Zerstörung von Wohngebieten. Unter anderem haben Amnesty International und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) diese Verbrechen sorgfältig dokumentiert und als Völkermord deklariert.
Es ist von größter Bedeutung, dass diese Verbrechen nicht nur umfassend untersucht, sondern auch strafrechtlich konsequent verfolgt werden – unabhängig davon, wer sie begangen hat und welche Position oder Macht die Täterinnen und Täter innehaben.
Die Opfer verdienen mehr als Worte des Bedauerns. Sie verdienen Gerechtigkeit. Ohne diese Gerechtigkeit bleibt jeder Friedensprozess fragil und jeder Waffenstillstand ein leeres Versprechen. Die internationale Gemeinschaft muss endlich den Mut aufbringen, auch mächtige Akteure zur Rechenschaft zu ziehen – sei es durch den IStGH oder unabhängige Untersuchungskommissionen der Vereinten Nationen.
Der Wiederaufbau muss zügig und systematisch erfolgen. Dieser Wiederaufbau ist jedoch kein großzügiger Akt der Weltgemeinschaft, sondern eine dringende Notwendigkeit, die aus der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft resultiert.
Die massive Zerstörung wurde durch Waffen ermöglicht, die viele Staaten – insbesondere westliche Nationen – an Israel geliefert haben. Diese Staaten tragen gemäß dem Völkerrecht eine Mitverantwortung, da sie Waffen an Konfliktparteien liefern, von denen bekannt ist, dass sie damit Kriegsverbrechen begehen könnten. Diese Mitverantwortung erfordert mehr als bloße Lippenbekenntnisse oder symbolische Gesten. Sie erfordert konkrete, wirksame Maßnahmen zur Unterstützung des Wiederaufbaus in Gaza – sowohl finanziell, strukturell und auch politisch.
Der Wiederaufbau ist daher keine einseitige, altruistische Hilfe, sondern eine Form der Wiedergutmachung und ein Schritt hin zur Verantwortung für das Leid, das durch diese Waffenlieferungen und das internationale Versagen verursacht wurde.
Doch Wiederaufbau bedeutet mehr als den Bau von Häusern und Infrastruktur. Es geht um den Aufbau von Hoffnung und Perspektiven für eine Bevölkerung, deren Leben durch Jahrzehnte von Gewalt geprägt ist. Ohne wirtschaftliche Entwicklung und politische Stabilität wird Gaza ein Pulverfass bleiben – mit verheerenden Folgen für die gesamte Region.
Ohne konkrete Maßnahmen bleibt der Waffenstillstand ein leeres Versprechen. Die internationale Gemeinschaft muss zeigen, dass sie die Prinzipien des Völkerrechts nicht nur predigt, sondern auch durchsetzt. Es geht nicht nur um Gaza; es geht um die Glaubwürdigkeit des internationalen Systems und die Verpflichtung, die Würde jedes Menschen zu schützen.
Die Zeit für symbolische Gesten ist vorbei. Es braucht klare Schritte – hin zu Gerechtigkeit für die Opfer, hin zur Beendigung der Blockade und hin zu einem nachhaltigen Frieden im Nahen Osten. Die Weltgemeinschaft steht vor einer Wahl: Möchte sie weiterhin zusehen oder endlich handeln?