EU-Maßnahmen zur Terrorbekämpfung

Von der Lizenz zu diskriminieren hin zur integrativen Strategieentwicklung

Im Anschluss an die Angriffe von Paris im Januar haben die EU und nationale Entscheidungsträger keine Zeit verloren, um Maßnahmen zur Verbesserung der Terrorbekämpfung vorzuschlagen und voranzubringen. Claire Fernandez schreibt über fragwürdige Anstrengungen.

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05
2015
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Auf Basis von scheinbar sehr lückenhaften Vorschlägen einigten sich am 12. Februar in Riga die Justiz- und Innenminister darauf, die begonnene Arbeit zur Prävention gegen Terrorismus und Radikalisierung zu beschleunigen und zu verstärken.

Die Reaktionen der europäische Institutionen und Mitgliedsstaaten auf diese Angriffe konzentrierten sich auf Kästchenankreuz-Maßnahmen, politisch einfach zu vertreten, aber ohne Langzeitplanung oder Überlegung zu ihrer Effektivität und mit Einfluss auf alle Gemeinden. Während von Politikern die Förderung von Respekt gegenüber Werten als Allheilmittel gegen Radikalisierung verwendet wird, sind durch überhastete und intrusive Strategien in der Tat auch EU-Werte zu Grundrechten und die Rechtsstaatlichkeit selbst bedroht.

Sicherheitsbedrohungen sollten auf eine Weise angegangen werden, welche die Menschenrechte respektieren. Das schließt folgende mit ein: das Antidiskriminierungsrecht; Religions-, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit; Folterverbot; das Recht auf ein faires Verfahren; Verbot von willkürlicher Inhaftierung; das Recht das eigene Land verlassen zu dürfen und das Recht auf Privatsphäre.

Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus und Radikalisierung: begrenzte Wirkung, echte Risiken

Präventive Überwachung hat erfahrungsgemäß einen überproportionalen Einfluss auf ethnischen und religiösen Minderheiten, die einem bestimmten Profil entsprechen. Beispielsweise sind junge muslimische Männer verstärkten Kontrollen ausgesetzt, was wiederum ihre Stigmatisierung in der allgemeinen Öffentlichkeit weiter erhöht. Aus vorangegangenen Versuchen zur Eindämmung von Terrorismus sollten Lektionen gezogen werden. Daten aus den ENAR Schattenberichten zu Rassismus in Europa und den EU Grundrechtsagenturen belegen, dass die Maßnahmen nach dem 11. September einen unverhältnismäßig hohen Einfluss auf muslimische Gemeinden hatten. Beispielsweise wurden sogar in Ländern mit niedrigem Terrorrisiko Ausweiskontrollen vor Moscheen durchgeführt.

Deshalb ist es entscheidend, dass Maßnahmen zur Terrorbekämpfung diskriminierende Profilerstellung und Datenmissbrauch nicht erhöhen. Verzeichnisse von Passagiernamen und andere Datengewinnungs- und Überwachungspraktiken können durch den Einsatz von Proxies zu rassistischer Profilerstellung und zum verbotenen Verarbeiten von Daten zu Hautfarbe, ethnischem Ursprung oder Religion führen. Zusätzliche Angaben in Hotels oder Flugzeugen, wie beispielsweise „Ernährungsbedürfnisse“ können solche Proxies zur Religion darstellen. Namen sind ebenfalls als Proxies zu Rasse, ethnischem Ursprung oder Religion im Einsatz, wobei sie oft ungenaue Indikatoren darstellen. Andere Informationen, wie Aufenthaltsstatus, Heimatadresse, Nationalität, Geburtsort, Anrufe in bestimmte Länder, Daten zu Bankgeschäften oder die physische Erscheinung (Bart, Kopftuch, usw.) können zur ethnischen/rassistischen Profilerstellung von Individuen eingesetzt werden.

Rassistische Profilerstellung ist ebenfalls ineffektiv und kontraproduktiv, da es eben jene Gemeinden entfremdet, deren Unterstützung notwendig ist, um Verbrechen und Terrorismus zu bekämpfen. Die polizeiliche Arbeit ist auf die Kooperation der Öffentlichkeit angewiesen, die Verbrechen melden, Beschreibungen von Verdächtigen liefern und Zeugenaussagen tätigen soll. Untersuchungen zeigen, dass schlechte Kontakte zwischen Polizei und Bürgern und schlechte Behandlung durch Strafverfolgungs-beamte einen negativen Einfluss auf das Vertrauen der Öffentlichkeit gegenüber der Strafverfolgung hat und in geringerer Kooperation mit dieser resultiert.

Andere Vorschläge können Konsequenzen für die Freizügigkeit einschließlich innerhalb der EU haben. Das Recht ein Land verlassen zu dürfen, einschließlich das eigene, sollten hingegen nur aus besonderen und legitimen Gründen und durch verhältnismäßige Mittel eingeschränkt werden und nicht auf einen Generalverdacht hin. Um die Risiken von rassistischer Profilerstellung zu verhindern, sollten darauf geachtet werden, dass die zusätzlichen Grenzkontrollen, welche durch die Justiz- und Innenminister beschlossen wurden, nicht auf unklaren und willkürlichen „allgemeinen Risikoindikatoren“ fußen.

Vorschläge zur Eindämmung von Radikalisierung konzentrieren sich auf Justizvollzugsanstalten, Schulen und Moscheen. Es sollte einen Weg geben, diese Institutionen zu betrachten, ohne in vereinfachende und ineffektive Lösungsmuster zu verfallen. Beispielsweise scheint schwierig zu sein, „radikale“ Insassen von den restlichen Inhaftierten zu trennen, ohne die Religionsfreiheit zu verletzen, erkennbar auch daran, dass kein EU Mitgliedsstaat eine zuverlässige und nichtdiskriminierende Liste von Radikalisierungs-indikatoren formuliert hat. Den Absichten Mainstream-Werte und den Säkularismus zu bekräftigen fehlt es in Schulen und Moscheen daran Ausgrenzung und Diskriminierung anzugehen und ein echtes Gegennarrativ zur Radikalisierung anzubieten.

Langfristige Anstrengungen sind nötig: Bürgerkontakt, Antidiskriminierung und soziale Integration

Um die Wirkung der Strategien zur Bekämpfung von Terrorismus und Radikalisierung zu gewährleisten, sollten diese durch echten Bürgerkontakt mit ethnischen und religiösen Minderheiten entwickelt werden. In vielen EU Ländern scheitern die Entscheidungsträger daran, einen Dialog mit echten Interessensvertretern der europäischen islamischen Gemeinden aufzubauen und entwickeln Kontrollstrategien aus Perspektive der Mehrheitsgesellschaft, ohne Beteiligung der Gemeinde.

Die Beteiligung der Gemeinden sollte hingegen freiwillig sein und nicht auf finanziellen Anreizen fußen. Die Beteiligung der Gemeinden und Minderheitsgeführte Initiativen sind eine Alternative zu zwingenden Untersuchungen. Die Unterstützung für islamische Gemeinden sollte nicht direkt oder indirekt an ihre Beteiligung in der Überwachung oder der Bekämpfung von Terrorismus und Radikalisierung geknüpft werden. Es sollten außerdem Anstrengungen unternommen werden, um das Vertrauen der ethnischen und religiösen Minderheiten gegenüber den Strafverfolgungsbehörden wiederherzustellen, und um bürgernahe Polizeiarbeit zu fördern. Behörden sollten der Versuchung widerstehen Beamte, Kranken-schwestern, Jugendbetreuer und Hochschulpersonal in Überwachungsagenten zu verwandeln, so wie es gegenwärtig im Vereinten Königreich im Rahmen der Verbesserung des Präventionsprogrammes der Fall ist.

Es sind vorgeschaltete, langfristige Maßnahmen zur Gewährleistung der sozialen Integration und zur Bewältigung von Ungleichheiten notwendig. Der Einfluss der Finanz- und Wirtschaftskrise auf ethnische und religiöse Minderheiten wird übersehen, obgleich dies ein Eckpfeiler der ISIS Propaganda ist, der darauf abzielt, junge Europäer zu extremer Gewalt zu locken. Soziale Ungleichheit führt zu Ausgrenzung und Gewalt und die Jungend, die sich ausgegrenzt, diskriminiert oder erniedrigt fühlt, fühlt sich zunehmend von Ideologien und Gruppen angezogen, die unsere Gesellschaften ablehnen und radikale Gewalt fördern, seien es nun dschihadistische Organisationen oder rechtsextreme Bewegungen.

Das ist auch der Grund, weshalb langfristige Investitionen in Bildungs-, Beschäftigungs- und Wohnungspolitik ausschlaggebend sind. Sicherheit wird nicht genug sein, um den Teufelskreis aus Ausgrenzung, gegenseitiger Angst und Verdächtigung und Terror zu durchbrechen. Um einen echten Einfluss auf die Radikalisierung auszuüben sollten Entscheidungsträger Ressourcen dazu widmen, um Bildungs- und echte Aktivitätsprogramme In Justizvollzugsanstalten zu gestalten, islamische Seelsorger einzustellen und Alternativen zum Gewahrsam zu fördern.

Entsprechend sollte die Gesetzgebung zu Gleichberechtigung und Antidiskriminierung durch bestimmte polizeiliche Strategien ergänzt werden, um alle Formen des Rassismus anzugehen, einschließlich des Antisemitismus und der Islamfeindlichkeit. Initiativen der Gemeinden und Nichtregierungsorganisationen zur Förderung des gemeindeübergreifenden Dialogs und der sozialen Integration von Minderheiten sollten die nötigen Mittel bekommen, um eine größere Anzahl von Nutznießern zu erreichen.

Ohne die echte Anstrengung fairere und gleichberechtigtere Gesellschaften entwickeln zu wollen, werden die Schnellschüsse der Staaten bei Terrorangriffen nur die Folge haben, dass ein noch fruchtbarerer Boden für Terrorismus und Radikalisierung geboten wird.