Münster

Soziologe sieht Religion in der Moderne auf dem Rückzug

Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack sieht Religion in modernen Gesellschaften auf dem Rückzug. Das gehe aus einer empirischen Studie hervor, die internationale religiöse Entwicklungstrends von 1945 bis heute für mehrere Kontinente vergleicht. Der Islam unterscheide sich in seiner Entwicklung erheblich vom Christentum.

21
05
2015

Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack sieht Religion in modernen Gesellschaften auf dem Rückzug. Das gelte auch für Länder wie Südkorea oder die USA, die gewöhnlich als Gegenbeispiele zur Säkularisierung angeführt würden, sagte der Forscher vom Exzellenzcluster Religion und Politik der Universität Münster der „Frankfurter Rundschau“ (Mittwoch). „Die These, die Menschen hätten ein konstantes inneres Bedürfnis nach Religiosität, halte ich für eine biologische Behauptung, die sich empirisch nicht belegen lässt.“

Pollack sieht eine verschobene Aufmerksamkeit von sakralen zu säkularen Themen und Angeboten als Grund für die Abkehr von den Kirchen. „Je vielfältiger und pluraler die Gesellschaft ist“, desto mehr Alternativen gebe es. Zu den Faktoren, die die Vitalität von Religionen negativ beeinflussen, gehörten ein hohes Wohlstandsniveau in einer Gesellschaft, ein hoher Grad an Individualisierung, ein breites Freizeit- und Unterhaltungsangebot sowie ein hohes Maß an kultureller und weltanschaulicher Vielfalt einer Gesellschaft.

Die Verbindung mit nicht-religiösen Inhalten wie politischen oder nationalen Themen wirke für Religion vitalisierend, so lange Menschen einen Zweck darin erkennen könnten, sagte Pollack. „Denken Sie an die Rolle der orthodoxen Kirche in Russland. Sie gilt als Stabilisatorin des Putin-Regimes.“ Zwar hält Pollack einen Sicherheitsabstand zwischen Politik und Religion für notwendig, doch die Lebendigkeit von Religion hänge auch davon ab, dass sie „Brückenköpfe in die Gesellschaft“ habe. So trage das Christentum durch das soziale Wirken der Kirche zum Gemeinwohl der Gemeinschaft bei.

Islam als nationale und ethische Identitätstiftung

Der Islam unterscheide sich vom Christentum besonders durch die ethische oder nationale Identitätsstiftung, sagte Pollack. So werde der Islam auch zu einem Faktor politischer und gesellschaftlicher Mobilisierung. Die Mehrheit der Muslime in Deutschland setze aber auf „Zugehörigkeit, Anerkennung und oft auch sozialen Aufstieg“, nicht auf Abgrenzung durch Religion.

Zusammen mit dem Religionssoziologen Gergely Rosta ist Pollack Autor der empirischen Studie „Religion in der Moderne“, die internationale religiöse Entwicklungstrends von 1945 bis heute für mehrere Kontinente vergleicht. Sie wurde Mittwoch in Münster vorgestellt.

Laut Studie vollzieht sich die „Abnahme des kirchlichen Bestandes in Westeuropa lautlos, nicht eruptiv und erweckt den Eindruck eines alternativlos voranschreitenden Prozesses“. Zuwächse alternativer außerkirchlicher Religiosität, etwa esoterisch-spirituelle Glaubensformen, blieben demgegenüber vergleichsweise schwach. (KNA)

Leserkommentare

Charley sagt:
Religion wird sich entweder in individuelle geistige Selbstbestimmung, -Erkenntnis verwandeln, oder die Menschen werden zu ethisch unbestimmten, lenkbaren Herdenvieh. Freiheit und Liebe als Inhalt der Selbsterkenntnis und Weltbegegnung begründen ethischen Individualismus und sind ein Abgesang an alle normative Ethik, wobei der Islam am wenigsten einen Begriff der Freiheit kennt.
08.01.16
9:54
Prinzessin Rosa sagt:
@Charly: Im Islam ist ausdrücklich die Entscheidungsfreiheit als Credo im Koran verankert. - la ikra fi din- es gibt keinen Zwang in der Religion. Tatsächlich ist es so, das Muslime für jede Handlung, geistig wie körperlich, die rechte Intention haben muss. Ansonsten hat die Tat nicht den vermeintlichen Wert. Der Mensch hat die Freiheit das Rechte oder Unrechte zu tun. Nur, mit der Freiheit geht auch Verantwortung einher, bzw. Konsequenzen. Dies hat man zu berücksichtigen.
12.04.18
14:47