Rohingya

Worten müssen Taten folgen

Das Leid der muslimischen Minderheit Rohingya beschäftigt seit einigen Wochen die Medien, aber konkrete Hilfe bleibt aus. Kaan Orhon schreibt über die Internationale Untätigkeit.

30
05
2015
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In den letzten Wochen ist das Schicksal der muslimischen Volksgruppe der Rohingya wieder stärker präsent in internationalen Medien. Obwohl sie in ihrem Heimatland Burma (Myanmar) seit vielen Jahrzehnten massiv diskriminiert, entrechtet und verfolgt werden, war außerhalb der Region lange Zeit nur wenig darüber bekannt. Erst seit dem ab dem Sommer 2012 immer wieder Gewaltausbrüche gegen die Rohingya stattfanden, über die auch global berichtet wurde, sind sie mehr Menschen ein Begriff. Doch wirkungsvolle Hilfe kam nur sehr wenig zu Stande, die Situation blieb im Wesentlichen unverändert. Nun haben die Schreckensnachrichten aus Burma eine neue Qualität gewonnen.

Erst in Thailand und dann auch in Malaysia wurden im Mai Massengräber entdeckt, in denen die Leichen von Hunderten von geflüchteten Rohingya aus Burma und Migranten aus Bangladesch liegen sollen. Gleichzeitig waren viele Tausend Rohingya, die versuchten in völlig untauglichen Booten und ohne ausreichende Vorräte und medizinische Versorgung, über das Meer zu fliehen, in Seenot. Sie versuchen die Küsten von Thailand, Malaysia oder Indonesien zu erreichen. Sowohl die Opfer aus den Massengräbern als auch die auf See befindlichen Flüchtlinge sind Opfer von Menschenhändlern. Doch sie sind auch das Opfer des Regimes in Burma, der menschenverachtenden Politik der Nachbarländer und der unzureichenden Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft.

Menschenverachtende Politik

Die Rohingya fliehen schon seit langer Zeit aus ihrer Heimat, dem Bundesstaat Rakhine (Arakan) im Südwesten von Burma, wo sie verfolgt werden, praktisch ohne die grundlegendsten Rechte leben müssen und immer wieder Opfer von Gewalt werden. Weder die verschiedenen Militärdiktaturen, die Burma zwischen 1962 und 2010 beherrschten, noch die vorgeblich „demokratische“ Regierung, die seit 2010 an der Macht ist und viele personelle Kontinuitäten zur letzten Militärregierung aufweißt, erkennen die Rohingya als Staatsbürger Burmas an. Sie erklären sie zu illegalen Einwanderern aus Bangladesch, die nicht ins Land gehörten. Eine Lüge, die seit dem Staatsbürgerschaftsgesetzt von 1982, dass die Rohingya ihrer Bürgerrechte beraubte, juristisch verankert ist. Auch die von Politikern in Europa und den USA unterstütze Opposition um die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi schweigt mehrheitlich zur Lage der Rohingya.

So von der Politik gedeckt können nationalistische Extremisten ungehindert gegen die Rohingya hetzen und immer neue Gewaltexzesse gegen die schutzlose Minderheit entfesseln. Die gewalttätige anti-muslimische Bewegung „969“ und ihr bekanntester Vertreter, der buddhistische Mönch Wiranthu, stacheln nicht nur immer wieder die Ausschreitungen gegen die Rohingya an, sie setzten auch die ohnehin den Rohingya gegenüber feindlich eingestellte Regierung immer wieder unter Druck, noch weiter gehende, noch extremere Diskriminierungsmaßnahmen einzuführen. Vor diesem Hintergrund sind seit den Ausschreitungen vom Sommer 2012 über 100.000 Rohingya aus ihrer Heimat geflohen, Allein 25.000 waren es in diesem Jahr.

Keine Hilfe aus dem Ausland

In dieser Situation bräuchten die Rohingya die Hilfe aus dem Ausland, doch abgesehen von den Bemühungen einiger internationaler Menschenrechts- und humanitärer Hilfsorganisationen gibt es davon wenig. Im Gegenteil.

Nach dem die ersten Massengräber in Thailand gefunden worden waren, verstärkten einige Länder der Region zwar ihre Bemühungen, gegen Menschenhändler vorzugehen. Doch deren Opfern halfen sie nicht. Ähnlich wie bei den EU-Ländern und den Flüchtlingen auf dem Mittelmeer gibt es auch hier wenig Bereitschaft, große Zahlen an Menschen aufzunehmen. Aufgeschreckt von der Aktivität von Ländern wie Thailand ließen viele Schleuser und Menschenhändler, die Rohingya und Menschen aus Bangladesch mit Booten in umliegende Länder bringen sollten, ihre Opfer einfach auf hoher See im Stich und setzten sich ab. Die Flüchtlinge blieben allein in katastrophalen Verhältnissen zurück, doch keines der Nachbarländer war bereit sie aufzunehmen. Erst unter dem Druck von Menschenrechtsorganisationen, die darauf hinwiesen, dass ein Massensterben von Flüchtlingen auf dem Meer kurz bevor stand, gaben die Regierungen von Malaysia und Indonesien nach und begannen mit der Rettung und Aufnahme von Flüchtlingen. Der Premierminister von Malaysia, Najib Razak, wies die Marine seines Landes an, nach noch lebenden Flüchtlingen auf See zu suchen. Doch diese humanitäre Nothilfe – ohnehin wenig und spät – genügt nicht. Andere Flüchtlinge werden kommen, werden Opfer von kriminellen Banden und auf dem Meer oder in Lagern im Dschungel umkommen, wenn sich an der Lage in ihrer Heimat Burma nichts ändert.

Internationale Untätigkeit

Burma ist ein Empfänger von Entwicklungshilfe der EU, ist ein enger Verbündeter und strategischer Partner Chinas und ist ein Mitglied des Verbandes Südostasiatischer Nationen (ASEAN), in dem zehn Staaten Staaten der Region zusammengeschlossen sind, darunter die mehrheitlich muslimischen Länder Indonesien, Malaysia und Brunei. Von der chinesischen Regierung, die selbst für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, darunter neben vielen anderen auch die massive politische, kulturelle und religiöse Unterdrückung der muslimischen Uiguren in Ostturkestan (chinesisch: Xinjiang) ist kaum Druck auf das burmesische Regime zu erwarten. Doch an ASEAN, UN, EU und an die internationalen Zusammenschlüsse muslimischer Staaten wie der Organisation für Islamische Zusammenarbeit müssen Forderungen gerichtet werden, sich aktiver gegen die Verfolgung der Rohingya zu engagieren.

Das rassistische, diskriminierende Staatsbürgerschaftsgesetz muss abgeschafft und alle Einschränkungen der Menschen- und Bürgerrechte der Rohingya müssen aufgehoben werden. Sie müssen vor der Verfolgung durch extremistische Organisationen wirkungsvoll geschützt werden, den Geflüchteten muss eine sichere Rückkehr ermöglicht werden.

Schnelle und wirkungsvolle internationale Maßnahmen sind durchaus möglich, auch wenn sie selten sind. Das eilig zusammengestellte Bündnis arabischer Staaten zur Bombardierung des Jemen und die gewaltige internationale Marinepräsenz am Horn von Afrika zur Bekämpfung von Piraten haben gezeigt, was möglich ist, wenn Regierungen meinen, dass ein Eingreifen in ihrem Interesse ist. Im Fall von Burma spricht niemand von einem militärischen Einsatz, auch wenn die Gewalt gegen die Rohingya und die Zahl der Vertriebenen durchaus an die Situation im Kosovo Ende der 1990er Jahre erinnert, die letztlich zu einem internationalen Militäreinsatz führte, um einen möglichen Völkermord zu verhindern.

Es würde für den Anfang bereits genügen, Sanktionen gegen die Regierung in Burma zu verhängen und eine koordinierte Anstrengung regionaler Staaten, unterstützt von der UN, zu starten, um die Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen und zu versorgen. Auf einem Gipfel am kommenden Freitag in Thailand wollen die Staaten der Region, einschließlich Australien, über Lösungen beraten. Dies wäre eine Möglichkeit, wirkungsvollere Maßnahmen zu beschließen.

Doch leider ist fraglich, ob es Staaten gibt, die solche Maßnahmen als in ihrem Interesse ansehen. Nachdem Burma begann, sich zumindest geringfügig in Richtung Demokratie zu bewegen, werden Sanktionen, die in den schlimmsten Zeiten der Diktatur etwa von der EU verhängt wurden, abgebaut, anstatt verschärft. Burma ist nun wieder ein Partner und ein weitgehend unerschlossener Markt, und dies ist für viele Regierungen bedeutender als das Schicksal der Rohingya.

Das zu ändern, ist durchaus möglich, doch dafür braucht es zunächst die Anstrengung von noch viel mehr Menschen, die verhindern, dass das Schicksal der Rohingya nach der derzeitigen Berichterstattung wieder in der Vergessenheit versinkt.