In Deutschland gibt es neben den christlichen Kirchen etliche nichtchristliche Religionsgemeinschaften. Dies ist eine Bereicherung und die Normalität, kann aber auch zur Herausforderung werden. Worin diese Herausforderung auf muslimischer und christlicher Seite besteht, diskutiert Ali Mete.
Das moderne Leben in pluralistischen Gesellschaften hat viel zu bieten. Es eröffnet Möglichkeiten, sich zu entfalten und mit Menschen anderer sozialer, kultureller oder religiöser Herkunft in Kontakt zu treten. Das säkulare bzw. religionsneutrale Umfeld in Deutschland hat aber auch eine Kehrseite. Diese bekommen unter anderem jene Menschen zu spüren, denen ihre Religion am Herzen liegt, und die sie deshalb umfassend und entsprechend ihrem Selbstverständnis ausleben möchten. In einer freiheitlichen Gesellschaft sollte das eigentlich kein Problem sein.
Die Problematik besteht auf zwei Ebenen. Erstens betrifft sie das Verhältnis von Staat und Religion. Religion hat in einer pluralistischen Gesellschaft ihren Platz. Ihr Rahmen ist recht genau abgesteckt. Es ist kaum möglich, ein anderes Verständnis von Religion zu vertreten als jenes, das es bereits gibt, nämlich, dass Religion (positiv) als „Dienstleister“ des Staates besteht. In dieses System soll sich auch der Islam einfügen. Ob das gelingt, ist fragwürdig. Man denke nur an die ewigen Diskussionen um die Repräsentanz und Akzeptanz muslimischer Religionsgemeinschaften.
Zweitens stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Religionen. Auch dieses Verhältnis bewegt sich in einem vorgegebenen Feld zwischen Abgrenzung und Annäherung. Im interreligiösen Dialog müssen sich Muslime immer wieder fragen, wie weit sie gehen dürfen. Was ist geboten, angesichts der religiösen Vielfalt und des Pluralismus in Deutschland und was geht bereits an die Substanz des islamischen Glaubens? Unter Muslimen in Deutschland hat es bisher keine Diskussion darüber gegeben, in welchem Verhältnis sie zu Pluralismus und religiöser Vielfalt stehen.
An dieser Stelle könnte sich der Leser fragen, ob hier das alte Misstrauen von Muslimen gegenüber den „Errungenschaften der Moderne“ durchschimmert. Man könnte denken: Stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Islam und Religionsvielfalt überhaupt? Muslime leben in Deutschland und sollten keine Bedenken haben, was das Leben in einer pluralistischen, religionsneutralen Gesellschaft angeht.
Dass es aber auch aus christlicher Sicht nicht so einfach ist, zeigt der kürzlich veröffentlichte Grundlagentext der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Unter dem Titel „Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive“ werden nämlich genau oben genannte Fragen diskutiert.
Angesichts religiöser Pluralität, einem neutralen Staat und immer heterogener werden Religionsverständnissen sehen sich die Autoren des Papiers vor der Herausforderung: „wie kann das Zusammenleben gelingen, ohne dass unser Glaube seine Wahrhaftigkeit und seinen zentralen Platz in der Mitte unseres Lebens verliert?“ (S. 13). Gleichzeitig wird diese Vielfalt als Chance begriffen, „weil wir uns im Zusammenleben mit Angehörigen anderer Religionen unserem eigenen Glauben und unseren Traditionen neu stellen können“ (S. 13). Wichtig ist, dass der Wunsch nach einem guten Auskommen mit anderen Religionen nicht dazu führen darf, eigene Glaubensinhalte zu relativieren oder außen vor zu lassen (S. 60). All diese Fragen betreffen auch Muslime.
Als Beispiele für eine gekünstelte interreligiöse Annäherung werden in dem Grundlagentext das Gottesverständnis und der Propheten Abraham herangezogen. In Bezug auf die Gotteserkenntnis dürfe kein „Minimalismus“ (S. 61) aufgezwungen werden, wonach alle an denselben Gott glaubten. Diese Vorstellung werde oft mit der Elefanten-Metapher erklärt, wonach sich jede Religion auf dasselbe beziehe, jedoch nur einen Teil der Wahrheit erkenne. Hierbei werde aber vorausgesetzt, dass dieser Elefant mit all seinen Teilen existiere und als solcher erkannt werden könne. Doch wer kann das schon von sich behaupten? „Weil ein solch überlegener Standpunkt im Dialog der Religionen nicht zur Verfügung steht, bleibt das vielzitierte Bild eine bloße Suggestion, ohne weiterzuhelfen.“ (S. 62), so die EKD. Die Folge dieses Standpunktes ist: Es kann höchstens behauptet werden, dass Christen und Muslime an einen Gott glauben, aber nicht an denselben einen Gott.
Diese Abgrenzung wurde im Grunde schon in der EKD-Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ (November 2006) vorgenommen. Der EKD-Text hatte zuzeiten eher Verwirrung gestiftet und wurde unter anderem vom Koordinierungsrat der Muslime (KRM) umfassend diskutiert. Muslimische wie auch viele nichtmuslimische Theologen und Dialog-Aktive hatten der EKD „Profilierung auf Kosten der Muslime“ vorgeworfen. So lautete dann auch der Titel der KRM-Stellungnahme. Im Gegensatz zu der stark distanzierenden und profilierenden Art und Weise der EKD-Handreichung besitzt der aktuelle Text eine reflektierende Sprache und nimmt eine erweiterte Perspektive ein.
Ein weiteres Beispiel im Grundlagentext ist der „Stammvater“ Abraham. Während dieser in der Handreichung aus dem Jahre 2006 lediglich gestreift wurde, wird nun festgestellt, Abraham stehe „jeweils für eine andere religiöse Grundüberzeugung, verkörpert er sozusagen einen je anderen Sinn des Glaubens an Gott. Schon im Blick auf Abraham gilt daher: Die drei monotheistischen Religionen unterscheiden sich in dem, was sie verbindet“ (S. 64). Auch hier findet also eine Relativierung des bisherigen Verständnisses statt.
Eine Bewertung des Textes vonseiten der islamischen Religionsgemeinschaften steht noch aus. Insgesamt darf aber mit Zustimmung gerechnet werden, denn islamische Gemeinschaften sind mehr als die Kirchen darauf bedacht, ihre religiöse Identität zu festigen und ihren Glauben fortbestehen zu lassen.
Viel wichtiger als eine Reaktion auf den EKD-Text wäre aber eine theologisch fundierte Auseinandersetzung mit der Frage, wie man als islamische Minderheitengemeinschaft in einem religionsneutralen, bisweilen religionsfeindlichen Umfeld eine eigenständige und zukunftsfähige muslimische Identität entwickeln und festigen kann. Darin liegt die eigentliche Herausforderung.