Das Leid der Flüchtlinge beginnt in der Heimat, wächst bei der Flucht und kennt in Deutschland meist kein Ende. Hilfe und Beistand ist gefragt. Doch wer hilft? Esra Lale sprach mit Vertretern der islamischen Religionsgemeinschaften.
In Deutschland mussten dieses Jahr so viele Asylanträge bearbeitet werden, wie in den letzten zwanzig Jahren nicht. Im ersten Halbjahr 2015 wurden laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) insgesamt 195.723 Erstanträge in Deutschland gestellt, rund 42.000 von ihnen wurden von Flüchtlingen aus Syrien eingereicht. Syrische Flüchtlinge machen somit 21, 5 Prozent der gesamten Asylsuchenden aus. In den zehn Hauptherkunftsländern der Flüchtlinge findet man außerdem die Länder Afghanistan, Irak, Pakistan und Kosovo vor. Alles Länder, in denen hauptsächlich Muslime leben. Insgesamt sind es also rund 97.000 Menschen, die aus muslimischen Ländern geflohen sind. Sie machen somit circa die Hälfte aller Flüchtlinge aus.
Diese Menschen brauchen Hilfe und Beistand. Doch von wem? Es scheint, als ob auf den Muslimen in Deutschland eine Art Bringschuld lastet. Wie sonst kann man sich die Aussage des Vorsitzenden der Kurdischen-Gemeinde Deutschlands erklären. Dieser behauptete, Muslime würden „keinerlei Engagement und Interesse“ zeigen und trotz der Tatsache, dass viele Flüchtlinge muslimisch sind, die Flüchtlingshilfe den Herkunftsdeutschen hinterlassen.
Eine Aussage, die aus einem Interview mit der Katholischen Nachrichten Agentur entstammt und Unterstützung von unterschiedlichster Seite fand. Zuletzt in einem Artikel des Humanistischen Pressedienstes (hpd), wo geschrieben steht: „Was die Bereitschaft zur Hilfe angeht, so ist es merkwürdig still bei den konservativ-orthodoxen Islamverbänden. Empathie für Bürgerkriegsflüchtlinge? Offenbar nicht vorhanden. Wahrscheinlich haben DITIB und Milli Görüs derzeit anderes zu tun – zum Beispiel den nächsten Wahlkampf in der Türkei – pro Erdogan – für eine weitergehende Islamisierung zu vorzubereiten.“
Eine Aussage, die die pegidöse Narrative weiter trägt, den rechtsextremen Hass marginalisiert und den islamischen Religionsgemeinschaften per se ein Engagement abspricht. Wie dieser Aussage zu entgegnen ist und welchen Stellenwert Engagement in der Flüchtlingshilfe einnimmt, erklären die Vertreter der Religionsgemeinschaften.
Nurhan Soykan, Sprecherin des Koordinationsrat der Muslime (KRM) sieht auch in den Strukturen der Religionsgemeinschaften die Ursache der Nicht-Wahrnehmung des Engagement. „Leider ist das so, weil wir noch nicht professionalisiert sind, dass wir die Arbeit in Zahlen fassen können“, erklärt Soykan. Außerdem hätten Ehrenamtliche kein Interesse daran, ihre Arbeit zu dokumentieren und die Hilfsaktionen hätten oftmals private Träger.
Denn anders als bei den sozialen Hilfswerken der Kirchen erhalten die islamischen Religionsgemeinschaften keinerlei staatliche Gelder, die sie dann in die Hilfswerke stecken könnten. Sie sind somit komplett auf ehrenamtliches Engagement und auf die eigenen Ressourcen angewiesen.
Bekir Altaş, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) pflichtet der KRM-Sprecherin bei und macht außerdem auf die bedeutende Rolle der Medienmacher aufmerksam: „Wir sehen immer wieder, dass die überwiegende und tagtägliche stattfindende gemeinnützige Arbeit von Muslimen häufig übersehen wird, wohingegen negative Entwicklungen sehr schnell ihren Weg in die Redaktionssitzungen finden.“
Diese tagtäglich stattfindenden gemeinnützigen Gesten sind beispielsweise Spenden. Dass die Spende bei Muslimen einen hohen Stellenwert hat, erzählt Zekeriya Altuğ von der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB): „Neben den obligatorischen Pflichtspenden wie Zakat (Sozialabgabe an Bedürftige), Sadaka oder Fitra-Abgabe (Anlass gebundene freiwillige Spenden) ist das Spenden auch bei jedem weiteren Anlass eine islamische Eigenschaft, die unter Muslimen verbreitet ist.“
Wie verbreitet, zeigt die große Hilfsaktionen der IGMG. Unter dem Motto „Flüchtling, Nachbar, Freund“ hat der Hilfs- und Sozialverein HASENE am Weltflüchtlingstag ein großes Projekt auf die Beine gestellt. Schon das Sprachbild vermittelt eine ungewohnte Narrative, denn es vermenschlicht den Begriff „Flüchtling“ und setzt es in einen Kontext von freundschaftlichen Verhältnissen. Genau das sei auch die Intention hinter dieser Aktion gewesen, erklärt Altaş. Am besagten Tag wurden deutschlandweit Busse angemietet, die dann Flüchtlingskinder und ihre Eltern von den Heimen abgeholt und zu einer Indoor-Spielhalle gefahren haben. Anschließend wurde gemeinsam gespielt und gegessen, „denn persönliche Kontakte und Begegnungen halten wir für die beste und nachhaltigste Form der Unterstützung“, betont der IGMG-Generalsekretär.
Eine andere Aktion namens „Deutschland sorgt für Flüchtlinge“ initiierte der ZMD, indem er dieses Jahr auf das gemeinsame Fastenbrechen mit Politik und Presse verzichtete und stattdessen in mehr als zwanzig Ländern Flüchtlinge zum Essen einlud. Nurhan Soykan erklärt, der Zentralrat profitiere vor allem auch davon, dass er viele arabischsprachige Mitglieder hat und somit diverse Netzwerke aufbauen kann, um den traumatisierten Flüchtlingen einen persönlichen Beistand zu bieten.
Die Räumlichkeiten der Moschee für diverse Kurse anzubieten, damit die muslimischen Flüchtlinge die Angebote und Dienstleistungen der Moscheen wahrnehmen können, und regelmäßig Spenden an die Heime abzugeben, ist für alle drei Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften eine Selbstverständlichkeit.
Ein weiterer Punkt, indem sie sich einig sind, ist, dass die von den Moscheegemeinden ausgehende Flüchtlingshilfe nicht nach Religion gemünzt wird. Altaş erklärt, dass im Fastenmonat Ramadan Flüchtlinge, „ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit“ zum gemeinsamen Fastenbrechen eingeladen wurden. Altuğ fügt hinzu, dass die Aussage des Vorsitzenden der KGD, deutsche Muslime müssten für die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten mehr tun, „moralisch problematisch“ sei. Denn „alle Menschen – auch Muslime – sind verpflichtet, allen Menschen in Not – egal ob Muslime oder Nichtmuslime – zu helfen.“
Muslime helfen Flüchtlingen zum einen aus religiöser Pflicht, aber vor allem aus menschlicher Selbstverständlichkeit. So wie es Christen, Juden und alle anderen tun. Hilfe sollte nicht kategorisiert und Flüchtlinge nicht instrumentalisiert werden. Denn solch ein selektiver Leitgedanke verhindert die Entstehung eines korrekten Gesamtbildes über die Flüchtlingshilfe in Deutschland und lenkt von der wesentlichen Problematik ab.
Ein Gesamtbild, das in seiner ganzen Realität veranschaulicht und wahrgenommen werden muss, nicht um etwas reinzuwaschen, sondern der tendenziös negativen Rezeption einen Schlag der Korrektur zu verpassen und die Aktualität des Bedarfs an Hilfe zu verdeutlichen.