Schritt für Schritt hat Niedersachsen in den vergangenen Jahren Abmachungen mit den Muslimen getroffen, etwa zum Islamunterricht oder Friedhöfen und Seelsorge. An dem Rahmenvertrag, der die Kooperation würdigen soll, gibt es auf den letzten Metern noch einige Kritik.
Mit Abmachungen zum islamischen Religionsunterricht, zur Seelsorge in Krankenhäusern und Gefängnissen sowie dem Bestattungswesen hat Niedersachsen die Integration der muslimischen Gemeinschaft voran gebracht. Als Abschluss kündigte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) nach der Regierungsübernahme einen Staatsvertrag an. Die Verhandlungen mit den islamischen Religionsgemeinschaften darüber zogen sich in die Länge, im Dezember aber kam dann ein Vertragsentwurf auf den Tisch, mit dem beide Seiten sich zufrieden zeigten. Dennoch häuft sich seitdem Kritik an der Abmachung und auch den islamischen Religionsgemeinschaften. Wegen kritischer Anfragen der Opposition debattiert am Mittwoch der Landtag erstmals über den Vertrag.
Worum geht es in dem Vertrag eigentlich?
Neben den Abmachungen etwa zum Islamunterricht und zur Seelsorge geht es um das Engagement der islamischen Religionsgemeinschaften in der Wohlfahrtspflege, die Vertretung in Gremien wie dem Landesschul- oder NDR-Rundfunkrat und auch um den Umgang mit muslimischen Feiertagen. Zum Aufbau einer Geschäftsstelle will das Land den Religionsgemeinschaften auf fünf Jahre verteilt eine halbe Million Euro zahlen. Anerkannt wird auch das Streben nach einer Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Gibt es Vorbilder für das Vertragswerk?
Hamburg und Bremen haben bereits einen solchen Vertrag mit der muslimischen Gemeinschaft abgeschlossen. Vorbild sind die Verträge mit den Kirchen und dem Judentum. Zur Grundsatzregelung des Verhältnisses von Staat und Kirche schloss Niedersachsen nach dem Zweiten Weltkrieg als erstes Bundesland 1955 den Loccumer Vertrag mit der evangelischen Kirche ab. Nach einem Kräftemessen um den Einfluss der katholischen Kirche im Schulwesen wurde 1965 das Niedersachsenkonkordat mit dem Vatikan besiegelt. Erneut bundesweit erstmalig schloss Niedersachsen 1983 einen Staatsvertrag mit dem Landesverband der jüdischen Gemeinden.
Welches Ziel verfolgt der Vertrag?
Neben praktischen Regelungen geht es um eine bessere Integration der Muslime, deren Zahl in Niedersachsen auf 300 000 geschätzt wird. Die übergroße Mehrheit der friedlich in Niedersachsen lebenden Muslime werde durch den Vertrag mit dem „Islam der Mitte“ noch weiter ins Boot geholt, sagt der Sprecher des Landesverbandes der Muslime, Firouz Vladi. Ein Anliegen sei auch, auf Augenhöhe mit anderen Religionen wahrgenommen zu werden, meint die stellvertretende Landesvorsitzende der Türkisch-Islamischen Union (DITIB), Emine Oğuz. Zugleich könne der Vertrag zu einer Professionalisierung der islamischen Religionsgemeinschaften beitragen.
Was waren Stolpersteine auf dem Weg zum Vertragsentwurf?
Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde der Streit über das Tragen von Kopftüchern durch Lehrerinnen gelöst. Sie dürfen fortan ihr Haar verhüllen, solange dies nicht den Schulfrieden durcheinanderbringt. Konfliktstoff noch unter der Vorgängerregierung war das Vorgehen gegen Extremismus. Anstelle eines Antiradikalisierungskonzepts des Verfassungsschutzes richtete Rot-Grün ein Beratungsangebot gegen die Radikalisierung junger Menschen ein, das die muslimischen Gemeinschaften selber organisieren.
Woran gibt es jetzt noch Kritik?
Nach wie vor für Diskussionsstoff sorgt die angebliche Pflicht für Schulen, einen Gebetsraum für Muslime einzurichten. Hierzu stellte das Kultusministerium klar, dass es diesbezüglich keinerlei Verpflichtung geben soll. Schulen könnten wie jetzt bereits einen Raum zur Verfügung stellen, wenn Schüler egal welchen Glaubens außerhalb der Unterrichtszeit beten wollten. Nachgefragt wird auch, inwiefern die beiden islamischen Religionsgemeinschaften eigentlich die Mehrheit der Muslime repräsentieren. Da die Moscheegemeinden ihre Besucher nicht erfassen, lässt sich das nicht mit Zahlen belegen. Eine Vielzahl der Moscheen aber gehört dem Landesverband der Muslime an.
Trotz dem allgemeinen Ruf nach mehr Integration registrieren die islamischen Religionsgemeinschaften eine atmosphärische Abkühlung. Warum?
Aus Sicht der islamischen Religionsgemeinschaften gibt es nach den Terroranschlägen von Paris und den Kölner Silvester-Übergriffen eine Stimmungsmache gegen den Islam. Einige versuchten, aus Negativschlagzeilen zum Islam politisches Kapital zu schlagen. Frauenvertreter etwa stellten in Frage, ob die islamischen Religionsgemeinschaften wirklich eine Gleichberechtigung von Mann und Frau zum Ziel haben. Mancher Abgeordneter wolle Religion außerdem lieber aus dem öffentlichen Raum verbannt sehen, meint Vladi.
Wann soll der Vertrag nun besiegelt werden?
Die Landesregierung und auch die Religionsgemeinschaften wollen bis zum Sommer ihre Unterschrift unter die Abmachung setzen. Vorrang hat für beide aber eine gründliche Debatte und eine möglichst breite Zustimmung im Parlament. (iQ, dpa)