Übersicht

Islamische Theologie in Europa

Eine zusammenfassende Darstellung der zahlreichen und verschiedenen Angebote für „Islamische Studien“ und „Islamische Theologie“ in Deutschland und Europa. Dr. Ali Özgür Özdil beleuchtet vor allem die Frage der rechtlichen und religiösen Legitimation dieser Angebote.

02
07
2013
0

In Europa ist in den vergangenen drei Jahrzehnten das Interesse an der Ausbildung von qualifizierten Muslimen sowohl in der Politik, an Universitäten als auch bei den Muslimen selbst gewachsen. So werden seit Ende der 1990er Jahre in mehreren westeuropäischen Ländern verschiedene Angebote unter den Bezeichnungen „Islamische Studien“ oder „Islamische Theologie“ gemacht.

Die Versuche, islamische Theologie an europäischen Hochschulen zu legitimieren, können in zwei Gruppen eingeteilt werden: 1. Die rechtliche bzw. institutionelle Legitimation und 2. die religiöse Legitimation. ((Vgl. dazu Johansen Schepelern, Brigitte: Legitimizing Islamic Theology at European Universities, in: van Koningsveld, P. S.; Drees, Willem B.: The Study of Religion and the Training of Muslim Clergy in Europe, S. 455ff.)) Für die erste Form der Legitimation sind legale Strukturen und institutionelle Einrichtungen vorausgesetzt. Die religiöse Legitimation kann wiederum in zwei Bereiche unterteilt werden: Der eine Bereich betrifft die „Authentizität“ der Lehre, was bedeutet, dass das Gelehrte einen Bezug zum vorhandenen Islamstudium in islamischen Ländern haben muss. Die andere Form der Legitimation bezieht sich auf die Fähigkeit, als ein Vertreter dieser authentischen Lehre handeln zu können.

Viele europäische Universitäten haben eine lange Tradition in Islam- und Religionswissenschaften, beschäftigen sich also schon seit mehreren Jahrhunderten mit dem Islam. Jedoch hat sich inzwischen vieles in Bezug auf den Kontext und in Bezug auf die Interessenfelder verändert. Während der Islam bisher überwiegend von Nichtmuslimen aus der Außenperspektive heraus gelehrt wurde, haben einige Universitäten durch die Zunahme muslimischer Studenten und privater islamischer Einrichtungen mit Interesse an religiösen Themen eine neue Strategie entwickelt, um sich zu legitimieren. Da inzwischen auch die europäischen Universitäten den Anspruch erheben, einen authentischen Islam zu lehren, sind in Europa parallel mehrere private islamische Bildungseinrichtungen entstanden (darunter jene, die als „Dar al-Ulum“, „Madrasa“, „Universität“ etc. bezeichnet werden), die dies infrage stellen. Diese vertreten wiederum die Ansicht, der authentische Islam könne nur von Muslimen gelehrt werden. Aus strategischen Gründen haben einige europäische Universitäten auch muslimische Professoren eingestellt (so etwa in Frankfurt am Main, Münster, Erlangen-Nürnberg, Amsterdam und Wien), um sich so eine Legitimation unter den Muslimen einzuholen.

Das Thema der Hochschulausbildung von Muslimen ist jedoch nicht nur eine bildungspolitische Angelegenheit, sondern kann auch im Kontext von politischen Interessen gesehen werden, bei denen es um Integration oder Isolation und auch um Sicherheitspolitik geht. Europäische Regierungen scheinen einen Islam formen zu wollen, ähnlich den christlichen Kirchen, mit einer institutionalisierten und kontrollierbaren Position innerhalb europäischer Gesellschaften. Aufgrund dieser Notwendigkeit werden die eigenen Universitäten finanziell unterstützen.

Johan Meuleman, Vorsitzender der Stiftung „Islamitische Universiteit van Europa” (Rotterdam) sieht auch als komplizierten Umstand die Tatsache, dass westliche Behörden und die nichtmuslimische Bevölkerung größtenteils Initiativen für die islamische Hochschulbildung nur in dem Ausmaß unterstützten, wie sie ihren eigenen spezifischen, politischen Bedürfnissen entsprechen. In den Niederlanden neige man dazu, die Entwicklung von staatlichen Ausbildungsmöglichkeiten für Imame und muslimische Seelsorger zu unterstützen, nicht jedoch privater islamischer Universitäten. Außerdem neigten sie dazu, die Konzipierung und Umsetzung dieser neuen Einrichtungen unter die Vormundschaft von nichtmuslimischen und angeblichen Experten, Einrichtungen und Bildungstraditionen zu stellen. ((Vgl. Meuleman, Johan: Islamic Institutions for Higher Education. Possibilities and Impossibilities in the West. International Conference on Islam and Scientific Methodology, organized by Syarif Hidayatullah State Islamic University Jakarta in cooperation with the League of Islamic Universities, Jakarta, 23.-25. September 2003))

Neben den Vorteilen solcher staatlichen Einrichtungen sieht z.B. der Nachrichtendienst-Koordinator des Bundesrates VBS (Bern) Dr. Jacques Pitteloud auch Probleme: „Die muslimischen Gemeinschaften könnten in der Gründung Islamisch-Theologischer Fakultäten an Universitäten den verkappten staatlichen Versuch zur ideologischen Zähmung islamischer Seelsorger und damit zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten der islamischen Gemeinschaften sehen.“ ((Tagung: Islamischer Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen und Ausbildung für Imame. 9. April 2005. Universität Freiburg, unter: www.unifr.ch/religionsrecht/tagungen/2005_de.htm (abgerufen am 31.10.08)))

Im Folgenden sollen einige theologische Einrichtungen vorgestellt werden, unter denen sich einerseits einige befinden, die rein islamische Initiativen darstellen, andererseits Einrichtungen, die rein staatlichen Initiativen entspringen sowie Einrichtungen, die in Kooperation entstanden sind.

Frankreich

Das „Institut Européen des Sciences Humaines“ (IESH) ist eine private Hochschule und wurde 1992 eröffnet. Sie ist die erste Einrichtung von Muslimen ihrer Art, die in Europa gegründet wurde. Ihre Angebote werden auch von Muslimen außerhalb Frankreichs in Anspruch genommen, weil es bis Ende der 1990er Jahre keine anderen akademischen Einrichtungen in Europa gab, an denen Muslime den Islam studieren konnten.

Des Weiteren ist für den französischen Kontext das „Institut Al-Ghazali: Institut de Formation des Imams“ (IFI) in Paris relevant, das 2001 eröffnet wurde, um den Bedarf an französischsprachigen Imamen zu decken. In der Präambel des Instituts heißt es: „Die Moschee von Paris blieb ihrer religiösen und kulturellen Aufgaben treu und richtete, gemäß dem langjährigen Wunsch der Behörden und der muslimischen Gemeinschaft in Frankreich, einen für den Unterricht und die Praxis des Islam in Frankreich notwendigen Lehrgang für die Ausbildung von Imamen ein.“ ((Siehe: Formation des Imams, unter: www.mosquee-de-paris.org/spip.php?article48 (abgerufen am 19.04.08))) Da Frankreich laizistisch ist, ist die Ausbildung von Geistlichen allein Sache der Religionsgemeinschaften. Dalil Boubakeur, Rektor der Großen Moschee von Paris, weist darauf hin, dass die anderen Religionen im Land mehrere Jahrhunderte Zeit gehabt hätten, Kirchen zu bauen, Lehrer auszubilden und so ihre Gemeinschaft zu formen. „Wir nicht, wir kamen viel später, uns fehlten die Moscheen, die Friedhöfe, die Schulen, die Imame. Wenn wir in einer Gemeinde den Bürgermeister um Unterstützung ersuchen, kommt die Antwort: ‘Das geht nicht, wir leben in einem laizistischen Staat.’“ ((Siehe: Ein neues Toleranz-Edikt für den Islam, in: Züricher Tagesanzeiger vom 30.03.1998))

England

Die ersten englischen Lehrstühle für Arabistik wurden bereits 1632 in Cambridge und dann 1636 in Oxford eingerichtet. Während die Gelehrsamkeit Interesse an orientalischen Sprachen und der Kultur zeigte, ging es den Kirchen um missionarische und dem Staat um militärische Ziele und wirtschaftliche Interessen. Während es einerseits darum ging, den Einfluss in den eigenen Kolonien aufrechtzuerhalten, sahen die Universitäten ihre Aufgabe darin, auf ihre eigene Weise die Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen. In diesem Spannungsfeld wurden an mehreren Universitäten Nahost Zentren oder Islamische Studien gegründet.

Siddiqui, ehemaliger Direktor des im Jahre 2000 gegründeten Markfield Institute of Higher Education, betont, dass sowohl das Interesse einheimischer als auch das Interesse ausländischer Studenten an Islamischen Studien zugenommen habe, nicht zuletzt durch die wachsende Zahl der Muslime und auch aufgrund des Wiederauflebens des Islams, seines sozioökonomischen und politischen Einflusses und seiner Bedeutung in der Weltpolitik.

Österreich

In Österreich ist die Islamische Religionspädagogische Akademie in Wien (IRPA), gegründet 1998 und seit 2006 eine Hochschule mit der Bezeichnung „Privater Studiengang für das Lehramt für islamische Religion an Pflichtschulen“, die erste Einrichtung ihrer Art. ((Vgl. Reidegeld, Michael: Der „Private Studiengang für das Lehramt für Islamische Religion an Pflichtschulen“ in Wien, in: Weiße, Wolfram: Theologie im Plural. Eine akademische Herausforderung. Münster, New York, Berlin, München 2008, S. 71-74)) Seit dem Wintersemester 2007/08 existiert auch eine Islamische Religionspädagogik an der Universität Wien. Obwohl Österreich das erste europäische Land ist, das den Islam bereits 1912 als Religionsgemeinschaft anerkannt hat, ist hier die islamische Theologie nicht weit genug entwickelt, so dass über sie nennenswerte Aussagen gemacht werden könnten.

Niederlande

In den Niederlanden gehören die Islamitische Universiteit Rotterdam (gegründet 1997) und die Islamitische Universiteit van Europa (gegründet 2001), zu den ersten islamisch initiierten Einrichtungen mit einem akademischen Programm. Als Reaktion auf diese Entwicklung hat die niederländische Regierung im Jahre 2005 an der Theologischen Fakultät der Vrije Universiteit (VU) in Amsterdam am „Centrum voor Islamitische Theologie“ ein Masterprogramm für die Ausbildung von Imamen gefördert. ((Vgl. van Koningsveld, Peter Sjoerd; Drees, Willem B. (Ed.): Study of Religion and the Training of Muslim Clergy in Europé : Academic and Religious Freedom in the 21st Century. Leiden University Press, 2008)) Ein Jahr später startete die Ausbildung von Imamen und Seelsorgern in der Hogeschool INHolland. Auch die Universität Leiden zog 2006 nach.

Deutschland

Den entscheidenden Anstoß zur Gründung islamisch-theologischer Einrichtungen an deutschen Hochschulen gab im Jahre 2010 der Wissenschaftsrat. In seiner Empfehlung heißt es unter anderem: „Der Wissenschaftsrat erkennt die Notwendigkeit eines weiteren Ausbaus islamischer Religionspädagogik an, betrachtet es aber als dringlich, das dieser Ausbau von der Etablierung theologischer orientierter Islamischer Studien in Deutschland begleitet wird.“ ((Siehe Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen, unter: http://wissenschaftsrat.de/texte/9678-10.pdf, Berlin, 29. Januar 2010))

Als erstes Bundesland hatte Nordrhein-Westfalen bereits 2003 einen Lehrstuhl für Islam an dem 2003 eröffneten „Centrum für Religiöse Studien“ in Münster. 2005 wurde für die Ausbildung von Religionslehrern die Islamische Religionspädagogik gegründet. ((Vgl. Daknılı, Müfit: Das Centrum für Religiöse Studien an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, in: Weiße, Wolfram (Hrsg.): Theologie im Plural. Eine akademische Herausforderung. Münster, New York, München, Berlin 2008)) Das 2010 gegründete Zentrum für Islamische Theologie in Osnabrück bietet im aktuellen Semester erstmals islamische Theologie an.

An der Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main wurde 2005 mit dem türkischen Amt für religiöse Angelegenheiten eine Stiftungsprofessur vereinbart. Diese bot islamisch-theologische, überkonfessionelle und religionswissenschaftliche Seminare an. Frankfurt am Main gehört seit dem aktuellen Semester zu den fünf theologischen Standorten in Deutschland neben Münster, Osnabrück, Tübingen und Erlangen-Nürnberg.

Des Weiteren wurde 2006 das Interdisziplinäre Zentrum für Islamische Religionslehre in Erlangen-Nürnberg gegründet und um ein Interdisziplinäres Zentrum für Islamische Religionslehre erweitert. Sie ist allerdings verglichen mit den anderen Stadtorten der kleinste Standort für islamische Theologie.

Der größte Standtort mit derzeit vier Professuren ist Osnabrück, dass nach dem Start der islamischen Religionspädagogik im Wintersemester 2007/08, ein Zentrum für interkulturelle Islamstudien gründete.

Als letzter Standtort in Deutschland wäre noch das 2012 eröffnete Zentrum für Islamische Theologie in Tübingen erwähnenswert, dass erstmals zum Wintersemester 2011/12 seinen Betrieb aufgenommen hat.