Kopftuchklage in Berlin

Zur Not auch gegen das Neutralitätsprinzip

Das Arbeitsgericht Berlin wies am Donnerstag die Klage einer muslimischen Lehrerin ab. Sie hatte aufgrund der Ablehnung ihrer Einstellung an einer Grundschule geklagt. In einer Stellungnahme legt der Antidiskriminierungsverband FAIR international dar, wieso das Urteil aus verfassungsrechtlichen Gründen problematisch ist.

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04
2016
Kopftuchverbot für Musliminnen
Kopftuch © shutterstock

Das Postulat der Neutralität wird gerne bemüht und gebetsmühlenartig wiederholt, wenn es darum geht, das Herausdrängen von allem Religiösen aus dem öffentlichen Raum zu begründen. Verkannt wird dabei – bewusst oder unbewusst –, dass das Gebot nach dem verfassungsrechtlichen Verständnis genau das Gegenteil besagt.

Denn nicht nur verbietet die Neutralität dem Staat, bestimmte Religionen oder Weltanschauungen zu privilegieren und sich mit ihnen zu identifizieren. Darüber hinaus gebietet die Neutralität dem Staat, einen „Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern“. Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist nämlich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gekennzeichnet von einer „Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist.“ Das Neutralitätsgebot ist demzufolge in diesem offenen und nicht im laizistischen Sinn zu verstehen.

Unter diesem Blickwinkel hat das Bundesverfassungsgericht in seiner sog. „Kopftuchentscheidung II“[1] die Privilegierung der Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen durch das nordrhein-westfälische Schulgesetz für verfassungswidrig erachtet. Zudem hat es in seiner Entscheidung dem pauschalen Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen einen Riegel vorgeschoben.

Denklogisch kann also ein Gesetz, welches prinzipiell das Tragen religiös geprägter Kleidungsstückeunter anderem durch Lehrkräfte in öffentlichen Schulen untersagt, mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar sein. Dass diese Regelung auch noch als „Neutralitätsgesetz“ bezeichnet wird, erscheint als ein satirisch anmutendes Paradox. Das Land Berlin jedoch krallt sich ungeachtet des eindeutigen BVerfG-Beschlusses an dem Gesetz fest. Weder die Abschaffung des Kopftuchverbots in anderen Bundesländern noch ein Gutachten des wissenschaftlichen Parlamentsdienstes konnten den Berliner Senat bis jetzt vom Gegenteil überzeugen.

FAIR international – Federation against Injustice and Racism e.V. ist ein unabhängiger Antidiskriminierungsverband mit Sitz in Köln, der die Interessen von benachteiligten Personen und Personengruppen wahrnimmt. Der Schwerpunkt des Verbandes liegt in der Arbeit gegen Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft und der Religion.

Das Arbeitsgericht Berlin hat in seiner Entscheidung vom 14.04.2016 – 58 Ca 13376/15 dem Land nun völlig unerwartet Recht gegeben. Das Gericht wies nämlich die Entschädigungsklage einer Lehramtsbewerberin des Landes Berlin ab. Aufgrund ihres Kopftuchs war sie im Frühjahr 2015 nicht als Grundschullehrerin angenommen worden. Die Argumentation des Gerichts ist jedoch alles andere als überzeugend. Es ist befremdlich, wenn in der Entscheidung zur Begründung der Verfassungsgemäßheit des Gesetzes ausführt wird, dieses behandle ja alle Religionen gleich. Hierbei wird der Problemschwerpunkt einer Untersagung von religiösen Symbolen gänzlich verfehlt. Ein pauschales Verbot ist gerade nach dem Verdikt des Bundesverfassungsgerichts mit der Verfassung, konkret mit der Religionsfreiheit, nicht vereinbar – unabhängig davon, ob nur eine oder alle religiösen Symbole betroffen sind. Der Verweis auf eine gleichbehandelnde Rechtslage bedeutet letztlich ja nur, dass die Regelung alle Religionen bzw. religiösen Bekundungen der gleichen verfassungswidrigen Behandlung unterzieht.

Zudem sind trotz der Behauptung der Gleichbehandlung aller Religionen durch die Regelung faktisch ausschließlich muslimische Frauen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, betroffen. Solch eine mittelbare Diskriminierung ist nicht nur wegen der Religion, sondern auch wegen des Geschlechts mit dem Gleichheitssatz der Verfassung und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht vereinbar.

Gleichzeitig stellt das Gesetz ein weitreichendes Berufsverbot für muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch dar. Dieses Dilemmas scheint sich auch das Gericht bewusst zu sein, wenn es hervorhebt, dass das Verbot religiöser Bekleidung nicht für die Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen gelte – freilich nicht mehr als ein Trostpflaster, wenn vor Augen geführt wird, dass kopftuchtragende Lehrerinnen aus dem Großteil der Lehrberufe wegen eines verfassungswidrigen Gesetzes ausgeschlossen bleiben.

[1]27. Januar 2015 1 – BvR 471/10,- 1 BvR 1181/10

Wie hat sich der Kopftuchstreit in Deutschland entwickelt? Wir haben es in einem Video zusammengetragen.

Kopftuchkarte2

Leserkommentare

Manuel sagt:
Seltsamerweise haben die anderen Religionen keine Probleme damit, sondern immer nur eine bestimmte, weil dieser offenbar der säkulare Charakter unseres Staates nicht passt.
17.04.16
17:43
Ute Fabel sagt:
Für mich ist die Begründung des Arbeitsgerichts Berlin sehr gut nachvollziehbar, wonach das Berliner Neutraliätsgesetz von allen Religionen und Weltanschauungen das gleiche abverlangt und daher keine Diskrimnierung verursacht wird. Jene Ausführungen von FAIR erscheinen mir jedoch völlig umschlüssig: Der Umstand, dass innerhalb einer Religionsgemeinschaft eine Untergruppe sich völlig kompromisslos gebärdet was den Verzicht auf das auffällige Sichtbarmachen der eigenen Religion betrifft, stellt keine mittelbare Diskriminierung dar. Wollen wir wirklich ein Faustrecht? Diejenigen, die am lautesten schreien, sollen sich nicht an die Spielregeln halten müssen, alle anderen schon? Bei FAIR scheint es sich offenbar eher um eine Pro-Kopftuch-Lobbyingstelle zu handeln, der es um der Erkämpfen von Vorrechten für einzelne Gruppen geht und nicht um Gleichbehandlung.
18.04.16
13:13
Andreas sagt:
@Manuel: Der von Ihnen behauptete "säkulare Charakter unseres Staates" schließt nicht zwingend aus, dass Menschen ihre Religion auch nach außen hin zeigen können. Immerhin gilt grundgesetzlich nach wie vor die Religionsfreiheit, was auch bedeutet, dass man seine Religion nicht nur frei wählen, sondern eben auch frei ausüben kann. Dies durch etwaige Kopftuchverbote auszuhebeln ist eher bedenklich. Säkularismus ist keine totalitäre Ideologie, obwohl sie von vielen gerne so verstanden wird. Ebenso bedeutet Säkularismus nicht, dass die Menschen Atheisten sein müssen. Statt permanent Vokabeln in den Raum zu werfen, sollte man sich besser über deren genaue Inhalte verständigen.
18.04.16
14:05
Ute Fabel sagt:
@Andreas: Es gilt in Deutschland auch die Weltanschauungsfreiheit, welche genauso weitreichend ist wie die Religionsfreiheit. Dennoch hielte ich es für unangebracht und unprofessionell, wenn Beamte im öffentlichen Dienst während der Arbeitszeit Parteiabzeichen oder eine Vereinsuniform tragen würden. Ich nehme an, Sie wahrscheinlich auch! Warum sollen für ausgewählte Religionsangehörige Extrawürste gelten. Das sehe ich überhaupt nicht ein! Ich finde es ziemlich arrogant, wenn uns Kopftuchträgerinnen immer erklären wollen, ihr Kleidungsstück sei viel unverzichbarer als alles andere. Das optische Neutralitäsprinzip ist nicht totalitär sondern fair und betrifft alle gleich - auch Atheisten, die als Staatsbedienstete in Berlin ja auch keine "Gottlos Glücklich"-Buttons tragen dürfen. In der Freizeit können natürlich alle Menschen ihre Religion oder Weltanschauung ganz nach Belieben durch ihr äußeres Erscheinungsbild auffällig zeigen oder auch nicht.
19.04.16
9:17
Andreas sagt:
@Ute Fabel: Der Unterschied ist, dass manche muslimische Frauen glauben, dass es für sie eine Bekleidungsvorschrift gibt, die besagt, dass nicht nur Scham und Busen zu bedecken sind, sondern auch die Kopfhaare. Es geht also, anders als bei einem Parteiabzeichen, nicht darum, ein religiöses Bekenntnis abzulegen, sondern sich züchtig zu kleiden. Daran gibt es nichts auszusetzen. Zur Extrawurst werden die muslimischen Frauen erst durch ein Kopftuchverbot gemacht.
19.04.16
11:03
Manuel sagt:
@Andreas: Falsch, das Kopftuch ist auch ein religiöses Zeichen, dass eine bestimmtes Frauenbild und eine ideologische Geisteshaltung symbolisiert und daher genau mit einem Parteiabzeichen vergleichbar. Außerdem wird im Islam Politik und Religion immer vermischt.
20.04.16
11:24
Ute Fabel sagt:
Das optische Neutralitätsprinzip ist ein sehr guter Anreiz für uns alle zu einem etwas unverkrampfteren Umgang mit religiösen Dogmen, die ja nicht naturgegeben, sondern änderbar sind. Ein gewisser sanfter Druck von der Rechtsordnung ist da durchaus wünschenswert. Wenn ich mir überlege, an was Menschen unter dem Deckmantel der Religion schon alles geglaubt haben, worüber wir heute bestenfalls nur noch milde lächeln! Wer von seinen bestehenden religiösen Befindlichkeiten zur Einhaltung gleicher Spielregeln für alle keinen Millimeter abrücken will, grenzt sich selbst aus und ist kein Diskriminierungsopfer. Es mag sein, dass manche Frauen aus Schamgefühl ein Kopftuch tragen, anderen geht es jedoch um blanke Ideologie - das Kopftuch ist gewissermaßen das Parteiabzeichen.
20.04.16
12:35
Andreas sagt:
@Ute Fabel und Manuel: Sie beide sind total ideologisch verbohrt und wollen aller Welt Ihre Sicht der Dinge aufzwingen. Solange religiöse Dogmen nicht gegen das Grundgesetz verstoßen, ist es ein Verstoß gegen das Grundgesetz, sich von außen in die entsprechende Religion einzumischen. Entscheidend ist nicht, ob Sie das Kopftuch als ein Statement verstehen, sondern wie Muslimas es meinen. Mag auch sein, dass es manchen Muslimas dabei um "blanke Ideologie" geht. Das kann eine offene Gesellschaft aber durchaus verkraften. Wir sollten uns lieber um Terroristen kümmern. Dabei meine ich nicht nur die abstrakte Gefahr durch Islamisten, sondern auch die sehr konkrete Gefahr durch Rechtsextreme. Letztere sind deutlich aktiver in Deutschland als erstere.
20.04.16
14:20
Manuel sagt:
@Andreas: Wer da verbohrt ist, jemand der in einer freien Gesellschaft ohne religiösen Dogmatismus leben will oder jemand, der den Säkularismus bzw. Laizismus ablehnt und wohl lieber Gottesstaaten hätte. Außerdem ist der Nährboden für den Islamismus der erzkonservative Islam bzw. der politische Islam, der ständig im Mantel der Religionsfreiheit seine Idoelogie hier bei uns verbreiten kann. Die Zunahme der Kopftücher ist nur ein weiteres Indiz dafür.
21.04.16
15:32
otto sagt:
manche muslimische Frauen glauben, dass es für sie eine Bekleidungsvorschrift gibt, die besagt, dass nicht nur Scham und Busen zu bedecken sind, sondern auch die Kopfhaare. Es geht also, anders als bei einem Parteiabzeichen, nicht darum, ein religiöses Bekenntnis abzulegen, sondern sich züchtig zu kleiden. Daran gibt es nichts auszusetzen. Zur Extrawurst werden die muslimischen Frauen erst durch ein Kopftuchverbot gemacht.
Richtig sie glauben etwas - nur wissen tun sie es nicht denn sie glauben es ja nur ! Sind nun Kopftuchlose Frauen unzüchtig gekleidet ? Menschen die das glauben was denken die denn über Menschen die dieser Bekleidungsvorschrift nicht folgen. Richtig es sind unzüchtige Menschen. Tja hier frage ich mich ob die Lehrerinnen Kopftuchlose Schülerinnen respektieren können.
25.04.16
11:23
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