Gabriel in Ägypten

Deutschlands Glaubwürdigkeit schwindet – auch unter Muslimen

Bei dem Zusammentreffen des Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und dem ägyptischen Präsidenten Abdelfattah Sisi, nannte Gabriel ihn einen „beeindruckenden Präsidenten“. Aktivistin Fagr Eladly ist anderer Meinung.

21
04
2016
SPD-Chef Sigmar Gabriel
SPD-Chef Sigmar Gabriel © by SPD-Schleswig-Holstein auf Flickr (CC BY 2.0), bearbeitet islamiQ

Sisi als einen „beeindruckenden“ Präsidenten zu bezeichnen und zu loben ist unverfroren. Es zeugt, angesichts der Menschenrechtssituation und der wirtschaftlichen Lage Ägyptens, entweder von einer erheblichen Weltfremdheit oder von Rücksichtlosigkeit und Verachtung.

Denn Sisi war es, der 2013 öffentlich zur Ermordung von Hunderten Protestierenden aufrief und er war es der den Sicherheitskräften versprach, von einer Strafverfolgung verschont zu bleiben. Unter Sisi und dem Militärregime dokumentieren Menschrechtsorganisation, wie Amnesty International und Human Rights Watch die verheerendsten Menschenrechtssituation im Ägypten der Moderne. Über 1000 Todesurteile, die politisch motiviert sind, über 50.000 politische Gefangene, über 2000 verschwundene Personen, die Verfolgung und Ausweisung von kritischen Forschern, Journalisten, Kulturzentren und NGOs sind die „Verdienste“ Sisis. Human Rights Watch bezeichnete das Rabaa Massaker als das Massaker mit der höchsten Anzahl an Opfern Toten in der Neuen Geschichte. Sisi als Kommandant des Rabaa Massakers wurde in Frankreich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Folter angeklagt, wobei das Gericht die Klage angenommen hat. Das Regime unter Sisi, der nun als „beeindruckend“ tituliert wird, scheut nicht, Minderjährige zu inhaftieren, insbesondere Frauen in den Haftanstalten sexuell zu missbrauchen und zu demütigen. Die Anzahl der Gefängnisse wurde in den vergangenen zwei Jahren erhöht, von 42 auf 51.

Die Haftbedingungen sind dramatisch: Einzelzellen für Strafen, ohne Licht, zusammengepferchte Häftlinge, regelmäßige Folterstrafen (sexueller Missbrauch, Elektroschocks, Angriff durch Hunde), Einlassverbot von Trinken und Nahrung, Hygieneartikeln und Arzneimitteln. Ägyptens Gefängnisse liefern ein Musterbeispiel für Foltertechniken.

Der Besuch Gabriels hat die Intention Waffendeals in Ägypten abzuschließen. Die damit offenbarte Unterstützung ist angesichts der deutschen Geschichte nicht nur moralisch verächtlich. Vielmehr ist Unterstützung der Rüstung in Ägypten trotz der massiven Haushaltsdefizite, der verheerenden Ungleichverteilung von Ressourcen und trotz der defizitären Infrastruktur, sogar kontraproduktiv: Sie fördert die Wirtschaftsflucht der Ägypter, die zunehmende Instabilität und „Sinaisierung “ des Landes.

Deutschlands Glaubwürdigkeit schwindet – auch unter Muslimen

Der aktuell opportunistische und gesinnungslose Umgang mit Ägyptens Despoten muss ein Ende haben: Nicht nur, um die internationale Glaubwürdigkeit Deutschlands zu bewahren, sondern auch um für Deutschland weitreichende Folgen abzuwenden. Denn es geht auch um die Glaubwürdigkeit der deutschen Bundesregierung in Deutschland. Junge Muslime, in Deutschland sozialisiert, sind damit konfrontiert, dass die Werte, die an Schulen gelehrt werden und im Grundgesetz verankert sind auf internationaler Ebene nicht nur ignoriert, sondern auch schwer verletzt werden. Sie sind damit konfrontiert, dass ihre Freunde, Verwandte oder Bekannte in einem repressiven Staat leben, einem vermeintlich „muslimischen“ und der Unterdrückung, der wirtschaftlichen Lage und der Ungleichverteilung leiden. Sie verfolgen, dass das Aufbegehren der Menschen in arabischen Ländern nach Freiheit, Würde und Gerechtigkeit und einer Ordnung, die sie in Deutschland kennen, missachtet werden. Vielmehr werden skrupellose Regime und korrupte Eliten mitgetragen, trotz des Versprechens im Jahre 2011 die unkritische Unterstützung von offensichtlichen Diktatoren zu beenden. Vielmehr wird das Fortbestehen der bestehenden Ungerechtigkeit und Unterdrückung durch die eigene Regierung -durch die deutsche Bundesregierung- maßgeblich bekräftigt.

Daher ist es ist nicht im Geringsten verständlich was Herrn Gabriel an den verheerenden Umständen in Ägypten beeindruckt. Es stellt sich die Frage ob Herr Gabriel die Verletzung von Menschenrechten, das Verhaften, das Foltern und das Ermorden von Ägyptern öffentlich als „irrelevant“ einstuft. Fragwürdig ist auch, ob Gabriel ein solches Vergehen an deutschen oder europäischen Bürgern ebenfalls dulden würde? Denn das Leben eines Ägypters ist nicht weniger wert, als das eines Europäers!

Leserkommentare

Mark sagt:
In dem Zusammenhang sei erwähnt, dass Ägypten eines der wenigen muslimischen Länder ist, das mit Israel einen Friedensvertrag hat und dessen Existenzrecht nicht anzweifelt. Bei der vorherigen Regierung war dies nicht der Fall. Auch die jüngste Forderung Erdogans und Davutoglus, sämtliche besetzten muslimischen Gebiete zu befreien, klingt nicht gerade wie ein Friedensangebot an Israel. Ausdrücklich wird von den beiden Herren nämlich Palästina (ohne jede Einschränkung) genannt. Daraus kann man nur folgern, dass die muslimische Welt nach wie vor Israel vernichten will. Es macht also wenig Sinn, dass der Westen die Muslimbrüder in Ägypten unterstützt, sondern nach einem anderen Partner Ausschau hält, wenn Israel überleben soll. Und da bietet sich momentan nur Sissi an, der im übrigen nicht wenig Unterstützung in der ägyptischen Bevölkerung genießt. Damit genießt Sissi denn auch durchaus Legitimität, die Gabriel ihm sicherlich nicht absprechen darf. Muslime, die eher den Muslimbrüdern anhängen, haben damit verständlicherweise ein Problem.
21.04.16
15:04
Manuel sagt:
In Ägypten gab bzw, gibt es leider nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, entweder es wäre zu einem islamistischen Gottesstaat unter den Moslembrüdern gekommen oder wie jetzt zu einer Militärdiktatur. Wenn man sich allerdings die Entwicklung im Iran als Blaupause dazu ansieht, dann ist die Diktatur des islamistischen Gottesstaates noch viel schlimmer als die des Schahs. Ähnlich wäre es wohl auch in Ägypten gekommen.
21.04.16
15:05
Mischket sagt:
War sie nicht eine Befürworterin von der SPD? Das hat man jetzt davon
21.04.16
16:04
Horst Schulte sagt:
Kaum einer wird das Verhalten Gabriels wirklich verstehen. Doch, eine Ausnahme gibt es. Die Waffenlobby bzw. die Wirtschaftsverbände Deutschlands. Denen sind moralische Kategorien offenbar schnuppe.
22.04.16
18:43