Kommentar

Die Zerrspiegel der Rechten zerbrechen

Europa verfällt immer stärker der Erstarkung der Rechten. Journalist Houssam Hamade erklärt, wie die momentane Krise überwunden werden und wie die Kenntnis der Geschichte Deutschlands dabei helfen kann.

07
05
2016
Steigender Rechtspopulismus in Europa. © Guido van Nispen auf flickr, bearbeitet by IslamiQ.

Als ich ein Kind war, erzählte mir meine schwäbische Großmutter von den „Männern aus dem Osten“, die nach dem Krieg gekommen seien „und sich die Häuser genommen“ hätten. Sie erzählte das mit Grabesstimme. Vor Augen hatte ich große, fremdartige Männer, die sich nehmen, was sie wollen. Gemeint waren die sogenannten „Ost-Flüchtlinge“, von denen 12 Millionen einwanderten, darunter Millionen „Volksdeutsche“, also Menschen, deren Vorfahren vor Jahrhunderten nach Osteuropa bis nach Sibirien ausgewandert waren. Diese wurden keineswegs als Volksgenossen willkommen geheißen, wie die Worte und der Tonfall meiner Oma illustrieren. Vielmehr wurden sie von vielen als fremd und bedrohlich wahrgenommen.

Wenn es ein nach dem Krieg ausgemergeltes Deutschland geschafft hat, zwölf Millionen Menschen erfolgreich aufzunehmen, drängt sich also die Frage auf, warum ein Bruchteil der Flüchtlinge heute bei so vielen für Weltuntergangsstimmung und massenhaft Zulauf für Rechtspopulisten sorgt. In Österreich war dieser Zulauf sogar so ungebremst, dass die rechtspopulistische erhalten hat.

Es ist stark anzunehmen, dass dieses Gefühl der Bedrohung in bestimmten Teilen der deutschen Bevölkerung schon vorher angelegt war. Die „Flüchtlingskrise“ funktioniert damit nur als ein Katalysator, der diese Stimmung zum lodern bringt. Schon davor haben in Dresden Tausende gegen eine herbeifantasierte „Islamisierung des Abendlandes“ demonstriert. Schon davor zeigten die repräsentativen Erhebungen der „Mitte-Studien“ , dass zwischen 18 und 26 Prozent der Deutschen zu rechtsextremen Einstellungen neigen . Ebenfalls vorher brach das fast schon lachhaft schlecht gemachte Buch „Deutschland schafft sich ab“ des Rechtspopulisten Thilo Sarrazin Verkaufsrekorde – ein Buch, das 2013 vom UN-Antirassismus-Ausschuss als rassistisch eingestuft wurde.

Auseinandersetzung mit rechten Denkweisen

Leider verstehen es die Rechtspopulisten von Pegida und AfD den falschen Anschein zu erwecken, dass sie „den Deutschen“ einen unverklärten Spiegel entgegen halten. Sie bilden dabei zunehmend eine Gegenöffentlichkeit, eine „Informationsblase“, in die kaum noch unpassende Informationen aufgenommen werden. Die eigenen Sichtweisen verfestigen sich damit bis hin zur absoluten Wahrheit. In einer Unmenge von Websites und Blogs wird mantraartig das Bild des rückständigen „Südländers“ und „Muslims“ wiederholt; mal als Behauptung, dass der Islam hoffnungslos faschistisch sei, mal als These eines kranken Verhältnisses zur Sexualität „der Araber“. Unterfüttert wird das mit Unmengen von oft gefälschten Einzelmeldungen über Deutsche, die Opfer von Ausländerkriminalität geworden seien.

Die Website „Deutsche Opfer, fremde Täter“ sammelt diese sogar auf einer Google-Map. Aber auch Zeitungen wie die „Welt“, die an sich den Anspruch haben, Qualitätsjournalismus zu verkaufen, lassen es mitunter an jedem Augenmaß fehlen, und veröffentlichen unverhältnismäßig oft radikal anti-islamische Artikel oder Berichte über kriminelle „Ausländer“. Dabei müsste gut ausgebildeten Journalisten klar sein, dass es bei sechs Millionen Straftaten jährlich in Deutschland keine Besonderheit sein kann, dass eben auch täglich Straftaten von „Ausländern“ verübt werden. Wer davon überzeugt ist, dass die als homogen gedachte „Kultur der Ausländer“ rückständig und hässlich sei, für den ist der befürchtete Zustrom Millionen aggressiver Araber notwendigerweise eine apokalyptische Vorstellung.

Ein zentrales Problem bei der Auseinandersetzung mit rechten Denkweisen ist, dass deren Behauptungen in der Regel auch einen wahren Kern enthalten. Beispielsweise stimmt es, dass Migranten durchschnittlich und in absoluten Zahlen tatsächlich krimineller sind als „Deutsche“. Betrachtet man das Phänomen aber differenzierter und bezieht beispielsweise Alter, Geschlecht und soziale Lage der Delinquenten mit in die Rechnung ein, vergleicht man also Äpfel mit Äpfeln, löst sich diese Ungleichheit mehr oder weniger im Nichts auf.

Die Bedrohung durch eingeschleuste Terroristen wird ebenfalls verzerrt wahrgenommen: Bisher gab es in Deutschland einen Toten durch „islamistische“ Anschläge, dem stehen mindestens zehn Ermordete durch die NSU und viele Tausende durch Autounfälle entgegen. Dennoch ist die Gefahr real und nicht zu unterschätzen, zumal die Anschläge durch die Verbrecher des IS besonders blutrünstig sind. Die Vorstellung aber, man könne in einer globalisierten Welt das teils selbstverursachte Elend und die Gefahr ausschließen, fehlt jeder Realitätsbezug.

Houssam Hamade

Houssam Hamade

Schon alleine das Schließen aller Grenzen, das ja noch lange keine Behebung des Problems mit sich bringen würde, würde die an sich schon chronisch instabile Konjunktur empfindlich treffen. Dazu kommt, dass empfundene Benachteiligung und Gewalterfahrungen neue Brandherde schaffen, sie radikalisieren und brutalisieren Menschen (statistisch gesehen). Das heißt, ein Europa, das den Flüchtlingen nicht auf die eine oder andere Weise zu Hilfe kommt, schiebt das Problem nur zeitlich nach hinten und erzeugt neue Konflikte – ganz abgesehen vom moralischen Imperativ, Menschen in größter Not zur Hilfe zu kommen. Ein Paradebeispiel für die rechte Strategie, sinnvolle Kritikpunkte zu kapern und zu verzerren, ist auch die Frage der Integration: Die rechte, völkische Bewegung stellt sich „Integration“ als das Einfügen in eine kulturell homogene Volksgemeinschaft vor.

Homogene Volksgemeinschaft?

Dabei ist die Idee einer homogenen Volksgemeinschaft schon immer ein gefährliches Hirngespinst gewesen, wie Migrationsforscher Jochen Oltmer in einem Interview für den „Freitag“ an verschiedenen Beispielen aufzeigt. Gesellschaften sind nun mal keine Gemeinschaften. Es gehört wohl zum Erwachsen werden dazu sich mit der Vorstellung anzufreunden, dass die Menschen eben auch nebeneinander leben können, ohne eine tiefe, quasi verwandtschaftliche Verbindung zu verspüren. Eine Gefahr besteht aber tatsächlich in einer feindseligen Zersplitterung der Gesellschaft; eine Zersplitterung, die gerade die Rechte derzeit vorantreibt. Dem muss entgegengewirkt werden. Zum einen sollten bestimmte Grundregeln betont werden, wie sie sehr sinnvoll in den ersten Artikeln des Grundgesetzes niedergeschrieben wurden, und zwar von und Gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppen (also nicht nur Migranten). Dazu gehören die Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, die Gleichwertigkeit der Menschen, die Unantastbarkeit der Privatsphäre, des Lebens und der Würde aller Menschen. Das sind nicht nur leere Worte, sondern Verpflichtungen für die Gegenwart und die Zukunft. Dafür müssen aber auch die materiellen Grundlagen hergestellt werden.

Hier kann von den Erfahrungen Nachkriegsdeutschlands gelernt werden: Damals bildeten die Zugewanderten zunächst eine Unterschicht. Erst der auch durch den Marshallplan angefeuerte Wirtschaftsaufschwung ermöglichte später deren soziale und ökonomische Integration. In der heutigen Situation muss das erste Mittel dieser Integration eine sozialere Politik sein. Es droht nämlich die Gefahr, dass die „Neuen“ sich auf Grund ihrer Handicaps im Wettbewerb um Arbeitsplätze zu einer neuen ethnisch konnotierten Unterschicht ausbilden. Deren Kinder würden dann zu den neuen Underdogs, was das verzerrte Bild der rückständigen „Ausländer“ weiter zementierte. Das gilt es zu verhindern. Darum ist ein Paket entschlossen durchgeführter Investitionen sinnvoll und notwendig – mit starken Investitionen in die Infrastruktur und soziale Dienstleistungen, um unter anderem die Bildungsabschlüsse der „Neuen“ entweder anzugleichen oder, auch orientiert am örtlichen Bedarf weiter zu entwickeln. Nur so kann die ökonomische und soziale Integration gelingen und das positive Potential dieser Zuwanderung ausgeschöpft werden.

Zusätzlich bedarf es zivilgesellschaftlicher Anstrengungen, die die derzeitige Dynamik der gesellschaftlichen Polarisierung durchbrechen, und der Rechten ihre derzeitige Dominanz im gesellschaftlichen Diskurs abtrotzen. Das kann nur gehen, wenn die Konfliktlinien neu gezogen werden. Es dürfen nicht Migranten gegen „Deutsche“ stehen, sondern Demokraten gegen Nicht-Demokraten. Sowohl Deutschstämmige als auch Menschen mit Migrationshintergrund müssen sich wechselseitig den Rücken stärken und sich gegen antidemokratische Kräfte in den „eigenen Reihen“ wenden. Krisen sind meistens auch Chancen. So wie nach dem Krieg die Lage in Deutschland erst einmal verzweifelt und bedrohlich schien, hat sich daraus viel Neues und oft Gutes entwickelt. Die derzeitige Chance für Deutschland liegt unter anderem darin, sich auf die Werte der Solidarität und der Freiheit zu besinnen, und diese nicht an nationalen oder völkischen Grenzen beginnen oder enden zu lassen.

 

Leserkommentare

Manuel sagt:
Es aber schon die Frage wer zuwandert, selbst ein Thomas de Maizière sagt, die Integration von arabischen Moslems wird viel schwieriger werden, als jene aus Bosnien oder der Türkei, da diese in keinem säkularen Staat sozialisiert worden sind.
09.05.16
12:48
Norbert sagt:
Es ist wohl ein Unterschied, ob "Volksdeutsche" zuwandern, die zumindest die Sprache beherrschen oder Araber die nicht einmal die Sprache lernen wollen. Außerdem ist es ein Unterschied, ob Menschen aus patriarchalischen Gesellschaften zu uns kommen, die ihre Frauen unter Kopftücher zwingen unter Verweis auf die Religion oder weltoffene Menschen, die durchaus mit Säkularismus und Demokratie halbwegs vertraut sind. Arabische Muslime tun sich schwer bei der Integration in Deutschland. Dies ständig zu leugnen ist sträflich. Die Muslime haben noch einen langen Weg vor sich, wenn sie in der Moderne ankommen wollen. Natürlich wollen sie das gar nicht. Dann ist es aber auch Unsinn, dass sie überhaupt nach Deutschland kommen, um sich dann hier nicht zurecht zu finden und nicht zu integrieren. Integrationsverweigerer können wir hier nicht brauchen. Die sollen bitteschön in Länder gehen, in denen sie sich wohlfühlen.
10.05.16
16:23
Bauzi sagt:
Was soll man dazu sagen? Das stimmt auf so vielen Ebenen nicht. 1. Ist glaube ich kaum, dass der Artikel sagen will, dass es völlig egal ist, wo jemand herkommt. Der Punkt ist eher, dass das nicht der einzige und beileibe nicht der zentrale Faktor ist 2. sind doch nicht alle arabischen Länder nicht-säkular. Bitte mal recherchieren, bevor man kommentiert. 3. Warum soll das so bedeutsam sein, wenn das ein rechtsgerichteter Politiker wie de Maizière sagt?
11.05.16
8:57
Ute Fabel sagt:
Auch Herr Hamade sieht den Islam unter einem Zerrspiegel, indem den Islam pauschal völlig unverdient heiligspricht. Solche Schönredner bilden in Wahrheit den Nährboden für Bewegungen wie die AfD. Alle monotheisten Religionen haben in der Tat eine starke faschistische Tendenz, erst recht jene die sich zusätzlich auf angeblich heilige Schriften berufen. Das ist kein rechtes Zerrbild, wie der Autor uns weismachen möchte, sondern nüchternes Ergebnis aufgeklärter Betrachtung. Saudi Arabien und der Iran sind faschistische Religionsdiktaturen. Staaten, in welchem der islamische Einfluss zu mehr Offenheit und Toleranz geführt hat, finde ich keine auf der Landkarte.
11.05.16
12:10
Bauzi sagt:
Na, was ist denn hier los? Hier tummeln sich ja lauter "Besorgte" mit gefährlichem Halbwissen. Man muss es wiederholen: Was soll man dazu sagen? Selbstverständlich stimmt das Bild der einheitlichen Masse rückständiger Muslime nicht. Wer das glaubt ist ganz schlicht und einfach ein Kulturrassist, der keine Ahnung von der Welt hat und zu viel Abdel-Samad liest. Es geht nicht darum, dass der Islam nur supertoll ist. klar sind der Iran und Saudi-Arabien abzulehnen, und klar gibt es faschistoide Auslegungen des des Islam, dennoch beweisen Statistiken, dass Muslime in Deutschland durchschnittlich mehr der Demokratie zugewandt sind, als AfD-Wähler. Das Problem ist nicht die kritische Betrachtung, sondern die undifferenzierte Dämonisierung. Wie beispielsweise die Zahlen zu den Terrorattacken in dem Artikel illustrieren.
12.05.16
12:19
Bauzi sagt:
Aber wie üblich ist die Diskussion mit halbwissenden Besorgten sinnlos. Auf Argumente wird nicht eingegangen, sondern nur längst widerlegte Behauptungen in anderen Worten wiederholt.
12.05.16
12:26
Carina sagt:
So richtig nimmt keiner der Vorkommentatoren (bis auf einen) Bezug auf den Artikel. Anscheinend wird der Artikel lediglich zum Anlass genommen, einmal mehr das zu sagen, was man schon immer mal sagen wollte. So ist mir z.B. nicht klar, welchen Bezug die vermeintlich faschistischen Religionsdiktaturen Saudi Arabien und Iran zu dem Artikel haben. Unabhängig davon, ob diese Behauptung den Tatsachen entspricht, ist es fragwürdig, diese Staaten mit dem Islam gleichzusetzen. Auch gibt es nicht wenige nicht-muslimische Staaten, die ähnlich regiert werden, wie diese beiden Länder. Nicht zuletzt auch Staaten, die sich zum Atheismus bekennen, wie China, Nordkorea oder Kuba. Zudem haben die meisten muslimischen Staaten die Last, die Zeit des Kolonialismus noch nicht wirklich überwunden zu haben.
12.05.16
13:42
Rex sagt:
Frau Fabel, ich sehe nicht, wo der Text irgendetwas heilig spricht. sie müssen schon auf die argumentation darin eingehen, anstatt strohpuppen zu bauen. außerdem frage ich mich, welche monotheistischen religionen sich nicht auf heilige schriften berufen.
13.05.16
10:03
Manuel sagt:
@Bauzi: Syrien ging ja noch einigermaßen ja, aber Afghanistan ist ein rückständiges, tiefreligiöses Land, wie soll da eine Integration in eine säkulare Gesellschaft funktionieren?
13.05.16
16:22
Ute Fabel sagt:
Saudi Arabien ist ja ganz begierig, überall wo es geht Moscheen zu errichten. Das ist kein Zerrbild der Rechten. China, Nordkorea und Kuba sind Diktaturen mit pseudoreligösem marxistisch-leninistischen Unterfutter. Man beruft sich auch auf heilige Schriften und vermeintliche Propheten. Saudi Arabien und der Iran sind im Übrigen genauso atheistisch im Bezug auf andere Götter außer Allah. Was mich an dem Artikel stört, ist, dass so ein einseitiges Opfer-Täter-Schema zugunsten des Islam mitschwingt.
17.05.16
16:18
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