Vier junge Menschen mit verschiedenen religiösen Überzeugungen, 32 Länder, 300 Tage und 400 interreligiöse Projekte: Lucie, Lea, Samir und Ariane aus Frankreich berichten über ihre interreligiöse Welttournee.
Katholisch, muslimisch, jüdisch und atheistisch: Die vier Jugendlichen Lucie Neumann (20), Samir Akacha (28), Lea Frydman (21) und Ariane Julien (28) aus Frankreich sind das zweite „Interfaith“ Team der Organisation Coexister. Interfaith heißt übersetzt interreligiös. Zusammen bereisten sie zwischen Juli 2015 und April 2016 32 Länder. Das Ziel: Interreligiöse Initiativen treffen, von anderen und über andere Religionen lernen. Die Reise begann in Europa und führte das Team über Moskau und den Nahen Osten nach Afrika. Nach Stationen in verschiedenen afrikanischen Ländern ging es weiter nach Asien und schließlich über Südamerika und die USA zurück nach Europa. Nun erzählen sie in 46 Städten in Frankreich, Belgien und der Schweiz von ihren Begegnungen und Erlebnissen.
Lea spricht klar, deutlich und überzeugt. Alle vier scheinen mehr denn je für das Projekt des interreligiösen Dialogs zu brennen. Von der anderen Religion lernen, wie andere denken. Etwa 25 Brüsseler haben es sich auf den grünen Plastikstühlen gemütlich gemacht, um zu erfahren, was die Jugendlichen zu berichten haben. Ariane berichtet über das Haus der Zusammenarbeit in London, Lucie über die hinduistische Verehrung des „Krishna“ in Russland und Samir über religiöses Leben auf den Philippinen.
Dort besuchten sie ein Projekt bei dem eine muslimische und eine christliche Schulklasse sich gegenseitig über Skype zu Bibel und Koran austauschten. In Tunesien sprachen die vier mit Familien über die Radikalisierung von Jugendlichen. In Burkina Faso besuchten sie eine Schule für muslimische, jüdische und christliche Kinder. Im Libanon waren sie in einem Flüchtlingscamp zu Gast. Die Moschee dort: Zeltplanen.
In Indien wurde Ariane von einem Einheimischen nach einer Diskussion und einem Essen am Arm berührt. Sie fand es komisch und fragte nach, warum er das getan habe. Er antwortete: „Ich habe noch nie einen Atheisten angefasst.“ Es sind Erlebnisse mit anderen Religionen und untereinander, die ihre Weltreise prägten. Die größte Herausforderung sei sicherlich gewesen, zehn Monate mit drei anderen Menschen alles zu teilen, sagte Ariane. Natürlich habe es auch Streit oder Spannungen gegeben, aber auch sehr viele schöne Momente. „Wir sind wie eine kleine Familie geworden“, sagt Samir. Man könne sich die Familienmitglieder nicht immer aussuchen, aber man schätze sie sehr.
Weihnachten verbrachte das Team in der Mongolei. In der Hauptstadt Ulan Bator besuchten sie zusammen die Christmette. Anschließend gab es Hühnchen halal und alkoholfreien Champagner. Schon zu Beginn der Reise in Norwegen lernten sie nur mit der linken Hand den Schinken zu berühren, der nicht halal war, und mit der rechten das Brot, damit Samir noch davon essen konnte. Sie besuchten Moscheen, Synagogen, religiöse Feste und Friedhöfe. Sie diskutierten über Laizismus, Religion in der Ausbildung und wie religiöse Gemeinschaften die Umwelt schützen können.
Was bleibt? Wurde die Atheistin bekehrt? Ist die Katholikin konvertiert? Nein. Ariane erklärt, dass sie darin bestärkt wurde, Atheistin zu sein. „Ich glaube an etwas, aber nicht an Gott“, beschreibt sie ihre Spiritualität. Bei Lucie, Samir und Lea ist es ähnlich. Sie fühlen sich in ihrem Glauben bestärkt. Für die Wirtschaftsstudentin Lucie hat die Reise ihren Lebensplan verändert: Anstatt Management wird sie ab September Jura studieren, um sich später auf Menschenrechte und Flüchtlinge zu spezialisieren. Der Besuch im Flüchtlingscamp im Libanon hat sie tief bewegt.
Finanziert hat das Team die Weltreise über Spenden und verschiedene Aktionen vor der Reise. Außerdem pflegten sie die Daten der interreligiösen Projekte in eine Datenbank ein. Nun überlegen sie, wie sie die Emissionen, die durch das Fliegen entstanden sind ausgleichen können. Vielleicht wollen sie Bäume pflanzen, sagt Lea.
Als das Team am 23. März zurückkehrte, hatte sich viel in Paris verändert, erzählt Lea. Während ihrer Reise sei Europa von Terroranschlägen erschüttert worden. „Unsere Botschaft, andere Religionen kennenzulernen und gemeinsam zu handeln, ist aktueller und wichtiger denn je“, sagt sie.
Die französische Jugendorganisation „Coexister“ – setzt sich nach eigenen Angaben seit Januar 2009 für ein friedliches Zusammenleben von Menschen mit verschiedenen Überzeugungen und Religionen ein. „Viele Überzeugungen, eine Aktion“ ist das Motto des Vereins mit 2.500 Mitgliedern. Nicht nur religiöse Jugendliche sind eingeladen, sich zu engagieren, sondern auch Atheisten. Freiwillige des Vereins besuchen in Frankreich Schulen und versuchen, im Gespräch mit den Schülern Vorurteile gegenüber anderen Religionen abzubauen.
Der Verein hat mittlerweile über 30 Ortsgruppen; hauptsächlich in Frankreich, aber auch in Belgien, Großbritannien und der Schweiz.
2013 initiierte der Verein zum ersten Mal die interreligiöse Welttournee „Interfaith“ mit fünf Jugendlichen verschiedener Religionen. Zusammen trafen sie interreligiöse Initiativen in 40 Ländern. (KNA/iQ)