Hamburgs Kirchtürme prägen die Stadt seit Jahrhunderten. Aber inzwischen kommen fast so viele Menschen zum Freitagsgebet in die Moschee wie sonntags zum Gottesdienst in die Kirche. Daher sollen laut den Grünen in jedem Stadtbezirk Minarette zu sehen sein.
Hamburg braucht nach Ansicht der Grünen mehr Moscheen. „Ich finde, dass wir sieben Stadtteilmoscheen brauchen, für jeden Bezirk eine“, sagt die religionspolitische Sprecherin der Bürgerschaftsfraktion, Stefanie von Berg. Derzeit gibt es nach Angaben der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung für die mehr als 150 000 Muslime in Hamburg etwa 50 Moscheen und Gebetsräume. Viele von ihnen platzen aus allen Nähten, wie der Architekt Joachim Reinig sagt. Er hat vor drei Jahren eine Studie erstellt und darin 42 islamische Gotteshäuser in Hamburg untersucht. Diese sei immer noch aktuell. Dringlich sei der Bau von mindestens sieben Stadtteilmoscheen.
Eine der größten ist derzeit die Al-Nour-Moschee in St. Georg. Zum Freitagsgebet kommen nach Angaben des Gemeindevorsitzenden Daniel Abdin regelmäßig etwa 2500 Gläubige, die in zwei Schichten beteten, teilweise sogar vor dem Gebäude auf der Straße. „Wir haben festgestellt, dass nicht weniger Muslime freitags beten als Christen sonntags in die Kirche gehen“, sagt Reinig. Die Kritik an Neubauten kann er nicht verstehen. Es seien nur Populisten und manche Politiker, die sich zusammen mit Rechten dagegenstellten. Doch in der Bevölkerung sei dieser Widerstand gar nicht da.
Dass in Hamburg-Wilhelmsburg eine gigantische Mega-Moschee gebaut werden solle, sei „völliger Quatsch“, meint der Architekt zu entsprechenden Äußerungen aus der CDU. „Das ist sozusagen eine Stadtteilmoschee.“ Sie werde Platz für 300 bis 400 Gäste bieten. „Das ist völlig angemessen für das Viertel.“ Er findet es dagegen skandalös, dass keine Moschee im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 2013 in Wilhelmsburg errichtet wurde. Auch in der Hafencity habe es die Stadt „verschlafen“, für ein Projekt zu sorgen. Immerhin sei nun eine Moschee für den geplanten Stadtteil Neue Mitte Altona vorgesehen.
Auch die Al-Nour-Gemeinde sucht nach einem neuen Gebäude, obwohl sie gerade an einem spektakulären Projekt baut: Die ehemalige Kapernaum-Kirche im Stadtteil Horn ist schon mehr Moschee als Kirche. Den Turm ziert bereits der goldene arabische Schriftzug für Allah. Im Inneren des fast ovalen Hauptgebäudes erinnern eigentlich nur noch die farbigen Fenster an den christlichen Ursprung.
Das Islamische Zentrum Al-Nour hatte die Kirche Ende 2012 von einem Investor gekauft. Die evangelisch-lutherische Gemeinde hatte kein Geld für die erforderliche Sanierung gehabt. Die Kirche aus dem Jahr 1961 stand gut zehn Jahre lang leer. Das Gebäude bröckelte, Obdachlose kampierten unter dem Vordach, wie sich der frühere Anwohner Benjamin Holm erinnert.
Derzeit ist der Umbau etwas ins Stocken geraten, weil die Kosten sehr viel höher sind als erwartet, wie Abdin sagt. Zwar hat Kuwait 1,1 Millionen Euro für einen neuen Anbau gegeben. Aber nun muss auch der Turm für 630 000 Euro saniert werden. Nur Gott allein wisse, wann das Gotteshaus fertig werde, sagt der Gemeindevorsitzende bei einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung auf der Baustelle. Er fügt aber hinzu: „Ich kann Ihnen versprechen, dass es ein wunderschönes Gebäude und eine interreligiöse Begegnungsstätte wird.“
Für den aus dem multikonfessionellen Libanon stammenden Kaufmann ist die Sichtbarkeit der Moschee wichtig. Nur so könnten Ängste und Vorurteile abgebaut werden. Es sei für die Gesellschaft schädlich, wenn die Muslime in dunklen Ecken beteten. „Ich muss Ihnen sagen, in manche Hinterhofmoschee traue ich mich als Muslim nicht rein“, bekennt er.
Auch von Berg findet diese Bauten wenig einladend. Wichtig sei, dass ein Dialog mit allen Beteiligten über neue Stadtteilmoscheen geführt werde, um Ängste abzubauen. Für naiv und oberflächlich hält ein Zuhörer in der Kapernaum-Kirche die Diskussion über Moscheeneubauten. „Dahinter steckt ein kultureller Umbruch, der sehr viel weitreichender ist, als wir das heute wahrnehmen“, meint der Rentner Helmut Flügger aus Rosengarten bei Hamburg. Seiner eigenen evangelischen Kirche wirft er vor, sich selbst aufzugeben. (dpa, iQ)