Islamfeindlichkeit in Europa

Musliminnen, die ungeschütztesten Personen

Der Vorfall in Kiel, bei dem eine muslimische Frau auf offener Straße verprügelt wurde ist kein Einzelfall. Sarah Isal, Vorsitzende des Europäischen Netzwerkes gegen Rassismus (ENAR) schreibt, wieso Musliminnen europaweit als erste den Preis für Islamfeindlichkeit zahlen.

10
07
2016
Symbolbild: Gamze wurde aufgrund ihres Kopftuchs attackiert. Islamfeindlichkeit by Adnan Durukan, Zaman Online
Symbolbild: Gamze wurde aufgrund ihres Kopftuchs attackiert. Islamfeindlichkeit by Adnan Durukan, Zaman Online

Muslimische Frauen leiden am stärksten unter der Islamfeindlichkeit in Europa. Wie andere Frauen auch, erfahren sie Ungleichbehandlung im Arbeitsleben und sind öfter verbaler und physischer Gewalt ausgesetzt als Männer. Aber bei den muslimischen Frauen gibt es noch zusätzliche Faktoren, die zu Diskriminierungserfahrungen führen, wie die religiöse- und ethnische Zugehörigkeit. Jedoch wurde zur Dokumentationen umfangreicher Daten und zur Bekämpfung dieser mehrdimensionalen Form des Rassismus bisher wenig unternommen. Dies ist das Ergebnis des neuen Berichts “Forgotten Women: the impact of Islamophobia on Muslim Women” des Europäisches Netzwerks gegen Rassismus (ENAR), das acht europäische Länder impliziert: Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Schweden und Großbritannien.

Rassismus auch eine Frage des Geschlechts

Das ENAR initiierte dieses Projekt, da wir merkten, dass Islamfeindlichkeit ebenso eine Frage des Geschlechts, wie eine der ethnischen Zugehörigkeit ist und weil muslimische Frauen die Unterstützung von Feministen und Antidiskriminierungsstellen verdienen. Allerdings wurden und werden Musliminnen bis heute von antirassistischen und feministischen Bewegungen gleichermaßen vernachlässigt, insbesondere aufgrund der negativen Stereotypisierung innerhalb des öffentlichen Mainstream-Diskurses. Dieses Projekt ist bestrebt diesen Umstand zu ändern und die Kooperationen zwischen antirassistischen und feministischen Bewegungen zu stärken, um die mehrfache Diskriminierung, von der muslimische Frauen oder Frauen, die als solche wahrgenommen werden, betroffen sind, besser bekämpfen zu können.

Der ENAR-Bericht

Der Bericht ist das Ergebnis von Forschungen und Dialogen in den genannten acht Ländern über anderthalb Jahre und beleuchtet die sehr spezifischen Diskriminierungserfahrungen, die muslimische Frauen sammeln. Sowohl bei der Diskriminierung im Arbeitsleben als auch bei Hassverbrechen tritt das Kopftuch als Trigger auf, da es als sichtbares Zeichen der Identität als Muslimin und Frau wahrgenommen wird.

Der Bericht zeigt, dass muslimische Frauen im Arbeitsleben Opfer von drei Arten von Benachteiligungen werden: geschlechtsspezifische, ethnische und religiöse Benachteiligungen.

In Vorstellungsgesprächen werden beispielsweise 12,5% der pakistanischen Frauen nach ihren Plänen in Bezug auf Ehe und Familienplanung befragt, wohingegen lediglich 3,3% der weißen Frauen solche Fragen gestellt werden, also beinahe vier Mal weniger. Demnach werden Frauen mit Kopftuch als familienorientierter betrachtet.

Das Kopftuch ist ein zusätzliches Hindernis bei der Suche nach und dem Erhalt eines Arbeitsplatzes. In Deutschland luden z.B. 18% der Unternehmen Bewerberinnen mit deutsch klingenden Namen zum Vorstellungsgespräch ein, während nur 13% der Bewerberinnen mit türkisch klingenden Namen eingeladen wurden. Bei Bewerbungen von muslimischen Frauen mit Kopftuch auf dem Bewerbungsfoto luden nur 3% der Unternehmen diese zum Vorstellungsgespräch ein.

 Geschlechtsspezifische Islamfeindlichkeit in Deutschland

In Deutschland hat das Verbot von religiösen Symbolen für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in acht Bundesländern durch Landesgesetze im Jahr 2003 teilweise auch andere Arbeitgeber in ihrer Einstellung gegenüber verschleierten Frauen beeinflusst. Zusätzlich erlaubt das Recht auf unternehmerische Freiheit öffentlichen und privaten Unternehmen und Institutionen, Bewerberinnen abzulehnen, solange sie die Unvereinbarkeit des Kopftuches mit unternehmensinternen Anforderungen und die Verbindung mit wirtschaftlichem Verlust oder Störungen der Arbeit rechtfertigen können.

Bezogen auf Hassverbrechen und -reden ist es in den meisten Ländern wahrscheinlicher, dass muslimische Frauen öfter zum Opfer fallen, als Männer, insbesondere, wenn sie ein Kopftuch tragen. Beispielsweise richtete sich in Frankreich, erfasst durch das „Kollektiv Gegen Islamfeindlichkeit in Frankreich“, im Jahr 2014 81,5% der islamfeindlichen Gewalt gegen Frauen, von denen die meisten ein sichtbares religiöses Zeichen trugen. Eine Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Landes Brandenburg stellte außerdem fest, dass 59% der Teilnehmerinnen beleidigt, beschimpft oder angepöbelt wurden. Da sind die Übergänge zwischen verbaler und physischer Gewalt nicht klar, ebenso wie rassistische und sexistische Beleidigungen oder Gesten. Das überraschende daran ist, dass diese Vorfälle größtenteils in öffentlichen Räumen auftreten.

Dennoch werden die meisten der Vorfälle nicht angezeigt. Im Rechtsrahmen Deutschlands werden zudem nur politisch motivierte Verbrechen erfasst, welche auf der Motivation des mutmaßlichen Angreifers gegenüber der „politischen Meinung, Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religion, Glauben, sexueller Orientierung, Erscheinung oder dem sozialen Status“ des Opfers basieren. Explizite islamfeindliche Verbrechen werden von der Polizei also nicht als solche erfasst. Hinsichtlich jener Verbrechen, die als rassistisch motiviert zur Anzeige kommen, gibt es nur einen schwachen Bezug zur rassistischen Voreingenommenheit, welche die geschlechtsspezifische Diskriminierung nicht berücksichtigt, wenn es zu Gerichtsurteilen kommt.

 Stereotype Darstellung der muslimischen Frau

Der Bericht zeigt zudem, dass starke Vorurteile und stereotype Darstellungen von muslimischen Frauen in den Medien und öffentlichen Diskursen verbreitet sind. Diese negative Aufmerksamkeit für muslimische Frauen in den Medien und im politischen Diskurs trägt zur Schaffung eines fruchtbaren Bodens für diskriminierende Praktiken und Gewalt bei und führt zu strukturellen Ungleichbehandlungen.

Wir hoffen nun, dass diese Ergebnisse Entscheidungsträger auf nationaler und europäischer Ebene dazu verleiten, in Aktion zu treten. Die Europäische Union kann es sich nicht leisten, muslimische Frauen auszuschließen und zu vergessen, wenn sie für die allgemeine Gleichbehandlung der Geschlechter und für den Kampf gegen Rassismus steht. Die mehrfache und überschneidende Diskriminierung und Gewalt, denen muslimische Frauen ausgesetzt sind, müssen in Gesetzen und der Politik angegangen werden, wobei die kombinierten Auswirkungen aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und Religion u.a. anerkannt werden müssen. EU- und nationale Gesetze, die gegen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und vor Hassverbrechen schützen, müssen auch die muslimischen Frauen effektiv schützen.

Deshalb hoffen wir auch, dass unsere Arbeit den Beginn einer fruchtbaren zukünftigen Zusammenarbeit zur Ausrottung von Diskriminierung und Rassismus gegenüber allen Frauen markiert.

Leserkommentare

Ute Diri-Dost sagt:
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10.07.16
20:46
Mareike sagt:
@Martina Mounir: Schön gesagt. Dann fangen Sie doch in den Reihen der Muslime an, wo es genügend Hass auf "Ungläubige" gibt. Da gibt es dann nicht nur eine Ohrfeige, sondern da werden Menschen ermordet und gefoltert. Und Frauen werden vergewaltigt und versklavt. Diesem Hass, der ganz eindeutig Grenzen überschreitet, sollten die vermeintlich friedlichen Muslime mit menschlichen Werten Grenzen setzen. Für die Taten eines Russen, den wir in Deutschland aufgenommen haben, wie jeden anderen Flüchtling auch, kann ich nichts. Er hat eben genauso wenig Respekt vor unseren Werten, wie Muslimische Zuwanderer. Da hilft eigentlich nur, unsere Asylpolitik zu überdenken.
11.07.16
11:48
Maria sagt:
Die Gewalt muslimischer Männer gegen Frauen wird hier gar nicht erwähnt. Die Kölner Silvesternacht ist da nur ein Beispiel von vielen. Wir erinnern uns, da haben Nordafrikaner, die bekanntlich Muslime sind, deutsche Frauen ausgeraubt und sexuell belästigt bis vergewaltigt. Oder muslimische Männer, die es vermehrt in Schwimmbäder zieht, wo sie es dann nicht beim gaffen belassen, sondern gerne auch einmal zugreifen bei den Frauen, als wären sie Freiwild. Wenn man schon Gewalt gegen Frauen kritisieren will, dann doch bitte nicht nur die muslimischen Opfer sehen, sondern auch die Opfer muslimischer Gewalt. Der muslimische Mann hat nämlich auch ein stereotypisches Bild von der deutschen Frau, die er für eine Hure hält, bei der man sich nach Belieben bedienen kann.
11.07.16
11:55
Margot sagt:
Woher weiß ich denn, ob die Frau auf dem Foto nicht von ihrem Ehemann verprügelt wurde? Oder ist sie gar ein Model, das geschminkt wurde? Was soll mit einem solchen Foto bezweckt werden? Die Muslime aufhetzen und den Hass gegen Nichtmuslime schüren? Und so dann dem IS in die Hände spielen?
11.07.16
16:11
Manuel sagt:
Es ist ja neuerdings Diskrimierung, wenn man fordert, dass sich auch Moslems unserer Kultur anzupassen haben und das islamische Kopftuch ist nunmal nicht Teil unserer Kultur.
12.07.16
18:38
Manfred Schmidt sagt:
Es ist schon erstaunlich, wie sich die Gruppe von Menschen, aus der die meiste religiöse Intoleranz und größte Gewaltanwendung gegen nichtsahnende Menschen in dieser Welt hervorgeht, sich hier eine Opferrolle zuschreiben will. Was ist mit der interislamischen Intoleranz in FLÜCHTLNGSHEIMEN -das muss man sich einmal vorstellen- getragen von sunnitischen und schiitischen Muslimen in gegenseitigen Angriffen? Was mit den Bedrohungen, denen christliche oder jesidische Mitflüchtlinge durch Muslime ausgesetzt sind? Zu zitieren ist ein Mann aus Bangladesh, der nach den blutigen Attentaten von Dhaka in die Fernsehcamera sprach: "Wer unsere Religion beleidigt, hat den Tod verdient". Wie viele der Zuwanderer aus der muslimischen Welt teilen diese Ansicht oder haben eine ähnliche? Spielt sich das alles außerhalb der Wahrnehmung von Muslimen und vor allem ihrer Vertreter ihrer Vereinigungen ab? Silvester in Köln, Hamburg und weiteren Städten in Deutschland und Europa nicht zu vergessen... Ich zitiere Halil D. aus Oberursel/Ts, dessentwegen im vergangenen Jahr der Radklassiker um Frankfurt/M abgesagt wurde: "Eure Gesetze interessieren mich nicht, für mich gilt nur die Scharia", geäußert gegenüber einem ihn kontrollierenden Verkehrspolizisten... Es wäre m.E. angebracht, dass jemand wie Herr Mazyek sich hier einmal auslässt, aber er fühlt sich augenscheinlich nicht angesprochen (im Grunde genommen nie). Solange Menschen, die ihre Religion so archaisch und unhinterfragt leben wollen, solange wird es für Muslime schwer sein, nicht nur in Deutschland Akzeptanz zu erfahren. Ich nehme ausdrücklich diese Muslime aus, die ihre Religion weniger von Dogmen geprägt -ich nenne es mal lässiger- leben, sie sehen sich kaum Skepsis von seiten des "alteingesessenen" Bevölkerungsteils ausgesetzt. Die Larmoyanz wegen der Gewalt die diese muslimische Frau erfahren hat (von wem eigentlich?), ist vor dem Hintergrund all dessen, was islamische Gewalt in der Welt ausmacht, einfach nur heuchlerisch.
13.07.16
15:11
non important sagt:
es ist bekannt, dass sehr viele muslimische frauen vor der gewalt ihrer männer in frauenhäuser flüchten. die gewalt gegen frauen ist ja durch den koran legitimiert. so erklärt ein sheik faktenreich per video wie eine frau richtig zu schlagen sei. ist das auch gegenstand dieser studie sowie die sogenannten "ehrenmorde"? ist auch dokumentiert wie mädchen und frauen gezwungen werden das kopftuch zu tragen usw-usw. ? stellt das keine diskriminierung dar ?!!!
13.07.16
20:18
Andreas sagt:
@non important: Es fliehen neben muslimischen Frauen auch sehr viele nicht muslimische Frauen vor der Gewalt ihrer Männer in Frauenhäuser. Neben dem von Ihnen genannten Sheik gibt es genügend muslimische Gelehrte, die Gewalt gegen Frauen ablehnen und verurteilen. Das, was Sie "Ehrenmorde" nennen, ist durch den Islam meines Wissens keineswegs legitimiert. Angesehen davon wird hier mit zweierlei Maß gemessen. Vergleichbare Morde gibt es nämlich auch bei Nichtmuslimen. Da werden sie dann "Familiendrama" genannt. Wenn ich mir die Frauen mit Kopftuch in Deutschland so anschaue, habe ich nicht das Gefühl, dass die zum Tragen des Kopftuches gezwungen werden. Das soll natürlich nicht heißen, dass es dieses Phänomen nicht gebe. Jedenfalls ist es sicherlich nicht der richtige Weg, eine Frau von ihrem Kopftuch zu "befreien", indem man sie verprügelt und/oder ihr das Kopftuch mit Gewalt runterreißt.
14.07.16
15:48
Manuel sagt:
@Andreas: Ehrenmorde sind sehr wohl durch die Scharia gedeckt oder warum glauben Sie denn werden Vergewaltigungsopfer in Scharia-Staaten wegen Ehebruch gesteinigt?
14.07.16
18:50
Johannes Disch sagt:
@Manuel "Ehremord" ist ein unsäglicher Begriff, da ein Mord per se nichts ehrenvolles ist. "Ehrenmorde" sind nicht durch die "Scharia" gedeckt. Wobei "Scharia" ein sehr allgemeiner Begriff ist. Und der Begriff "Scharia-Staat" ist ebenfalls problematisch. "Ehrenmorde" haben ihre Ursache in patriarchalischen Strukturen und patriarchalischen Traditionen. Sie finden dieses Phänomen beispielsweise auch bei Jesiden. Und das sind keine Muslime. lg Johannes Disch
16.07.16
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