In Niedersachsen sollte ein Staatsvertrag zwischen der Landesregierung und den islamischen Religionsgemeinschaften abgeschlossen werden. Während der Verhandlungen mussten viele Hürden genommen werden. Nun möchte man eine „Denkpause“ einlegen. Wie kam es dazu?
Islamische Religionsgemeinschaften bemühen sich seit Jahrzehnten um den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR). Ein erster Schritt Richtung Körperschaft wäre der Staatsvertrag.
Mit dem Staatsvertrag werden Regelungen in Bezug auf den bekenntnisorientierten Religionsunterricht an Schulen, die islamische Bestattung, die theologischen Studiengängen an Hochschulen, die Seelsorge im Justizvollzug, das Recht, Moscheen zu bauen usw. vereinbart. Auch eine finanzielle Unterstützung der Religionsgemeinschaften ist in dem Vertrag festgeschrieben.
Einen gültigen Staatsvertrag mit islamischen Religionsgemeinschaften gibt es bisher nur in Bremen und Hamburg.
Das Land Niedersachen verhandelt mit der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) und dem Landesverband der Muslime in Niedersachsen (Schura) über einen Staatsvertrag. Die Verhandlungen begannen im Jahre 2013, aber ein Vertragsabschluss ist noch immer nicht in greifbarer Nähe. Neben Fortschritten in den Verhandlungen mussten die islamischen Religionsgemeinschaften herbe Rückschläge einstecken.
Nach anfänglichen Verhandlungen und Vertragsentwürfen hieß es Ende 2014, dass der Vertrag Anfang 2015 unterzeichnet werden sollte. Die geplante Unterzeichnung fand nicht statt. Der neue Termin wurde auf Ende des Jahres 2015 verschoben, doch auch dieser Termin wurde nicht eingehalten.
April dieses Jahres stockten die Vertragsverhandlungen schon wieder. Als Grund nannte die Regierung den Führungswechsel innerhalb der Schura Niedersachsen. Die Nähe des neuen Vorsitzenden Recep Bilgen, der zuvor Geschäftsführer der Schura war, zur Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) führte zu offenen Fragen innerhalb der Landesregierung. Laut Aussagen aus den Reihen der Landesregierung müsse sie die Arbeit des neuen Vorstands in Ruhe überprüfen.
Nach dem Unstimmigkeiten im Vertragsentwurf wie z. B. das Vorgehen gegen Extremismus, das Kopftuchverbot für Lehrerinnen und das Einrichten von Gebetsräumen in Schulen beseitigt wurden, forderte die Opposition, einen neuen Aspekt in den Vertrag aufzunehmen. Die Vertragspartner sollten sich auf eine Partnerschaft gegen „Islamismus“ und Islamfeindlichkeit verständigen. Dies ist in Staatsverträgen, wie es sie auch mit den Kirchen gibt, nicht üblich.
Nach den inzwischen verstummten Zweifeln an der Führung der Schura Niedersachsen wird nun die DITIB als Problem gesehen. Sie wird als „verlängerter Arm Erdoğans“ bezeichnet. Die Diskussion über ihre angebliche Nähe zur türkischen Regierung wird dem Anschein nach die ohnehin schleppenden Verhandlungen über den Staatsvertrage weiterhin in die Länge ziehen.
Noch letzte Woche bezeichnete der Grüne-Chef Cem Özdemir die DITIB als „türkische Pegida“ und warnte davor, mit der DITIB Verträge über islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen abzuschließen. Nun fordert auch die CDU eine klare Unabhängigkeitserklärung seitens DITIB, bezüglich ihrer Nähe zur türkischen Regierung. Außerdem rät Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU) bei dem Islam-Vertrag zu einer Denkpause bis zum Jahresende.
Indes wies das Kultusministerium die von der CDU vorgebrachten Bedenken zurück. Es bestehe kein Grund zur Sorge. Laut einem Rechtsgutachten des Ministeriums sei DITIB unabhängig. Der niedersächsische DITIB-Verband besitze in seiner Satzung den Aspekt, dass eine Einmischung der DITIB-Bundesebene und damit mittelbar von der türkischen Diyanet in der Frage des muslimischen Religionsunterrichts ausschließe.
Wie sich die neue Diskussion auf den weiteren Verlauf der Verhandlungen übertragen wird, ist offen. Die islamischen Religionsgemeinschaften in Niedersachen warten seit 2013 auf die Unterzeichnung des Staatsvertrages. Nun stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch zu einem Vertragsabschluss kommen wird.