Interview mit Sven Speer

DIK – Staatliche Steuerung durch Kooperation

Vor 10 Jahren wurde die Deutsche Islam Konferenz (DIK) einberufen. IslamiQ beleuchtet in einer Beitragsreihe die Hintergründe und Entwicklungen. Heute ein Interview mit Sven Speer über die DIK und die deutsche Islampolitik.

18
09
2016
Deutsche Islam Konferenz
Einige Texte, die in der DIK ausgearbeitet wurden © Quelle: IMO | photothek.net

IslamiQ: Wozu hat die DIK Ihrer Meinung nach bis heute beigetragen?

Sven Speer ist Gründer und Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR). Bis Ende 2013 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag mit den Schwerpunkten Integration und Islam.

Sven Speer: Die Deutsche Islam Konferenz hat wesentlich dazu beigetragen, dass islamischer Religionsunterricht und islamische Theologie in einigen Bundesländern etabliert worden sind – wenn auch nicht immer grundgesetzkonform. Die Deutsche Islam Konferenz hat aber vor allem gezeigt, wie der Staat mit dem Islam nicht umgehen kann. Dezidiert religiöse Organisationen waren zu Beginn der Islamkonferenz in der Minderheit. Die sogenannten „nicht-organisierten Muslime“ waren hingegen in der Mehrheit, darunter mit Necla Kelek sogar eine profilierte Islamkritikerin. Die Ahmadiyya fehlte in der DIK am Anfang völlig. Später ließen der Islamrat und der ZRM seine Mitgliedschaft in der DIK ruhen.

Inzwischen beschränkt sich die Mitgliedschaft in der DIK auf diejenigen Verbände, die tatsächlich eine Religionsgemeinschaft sind oder zu einer solchen werden können. Eine wesentliche Erkenntnis der DIK ist in meinen Augen – sowohl auf Seiten vieler Muslime als auch auf Seiten des Staates –, dass eine einheitliche und umfassende islamische Organisation weder notwendig noch realistisch ist. Letztlich ist die Enttäuschung über die DIK groß: bei den islamischen Verbänden wegen der nach wie vor mangelnden Anerkennung und bei den staatlichen Akteuren über die mangelnde politische Steuerbarkeit.

Die Deutsche Islam Konferenz hat aber vor allem gezeigt, wie der Staat mit dem Islam nicht umgehen kann.

IslamiQ: Nach 10 Jahren intensivem Dialog zwischen Staat und Muslimen herrscht auf beiden Seiten immer noch Misstrauen. Wie bewerten Sie diese Tatsache?

Speer: Die staatlichen Akteure in Deutschland suchen seit Jahrzehnten händeringend nach einem ihnen genehmen Kooperationspartner auf islamischer Seite. Den sich ab den 1970er Jahren von der Politik weitestgehend unbehelligt gründenden Verbänden IGMG und VIKZ wurde in Deutschland traditionell misstraut. Deshalb haben deutsche Bundesländer nach den Unruhen und dem Militärputsch in der Türkei 1980 türkischen Imamen die Einreise verwehrt, sofern sie nicht von der türkischen Religionsbehörde autorisiert waren. Der sich dann gründende Verband DITIB wurde schnell zum bevorzugten Kooperationspartner deutscher Politiker, nicht obwohl, sondern weil die türkische Regierung großen Einfluss auf den Verband hat.

Erst als die deutsche Politik realisierte, dass die Muslime keinesfalls alle Deutschland verlassen würden, wurde der fremdstaatliche Einfluss negativ gesehen. Neben DITIB, als vom deutschen Staat unterstützte Sammlungsbewegung von Moscheevereinen, konnten aber nur religiöse Gemeinschaften bestehen, die über ein ausreichend anderes Profil verfügten – in der Regel waren sie konservativer (VIKZ, IGMG), unterschieden sich ethnisch oder waren keine Sunniten (Teile des ZRM, AMJ).

Der deutsche Staat hatte sich in eine problematische Situation manövriert, die regional durch Schuren überwunden werden sollte. Der Einfluss der in der Politik unbeliebten Dachverbände sollte reduziert werden, indem sich die Moscheevereine zu regionalen Verbände zusammenschlossen. Der Erfolg war jedoch bescheiden: DITIB-Moscheen entzogen sich den Schuren ebenso wie die des VIKZ in einigen Ländern. In den Schuren gelangten jedoch nach und nach Anhänger der IGMG bzw. des Islamrats an die Spitze – zum Missfallen der Politik.

Auch die DIK hat keinen neuen islamischen Akteur hervorgebracht, der die alten ersetzen oder zumindest verdrängen könnte. Anstatt mit denjenigen Akteuren zu arbeiten, die existieren, hat die deutsche Politik wertvolle Jahrzehnte damit verbracht, neue Akteure zu generieren, um an bestehenden Akteuren vorbei zu agieren. Dieses Ereignis trug dazu bei, dass der Islam in Deutschland derart unübersichtlich und das Misstrauen vieler islamischen Organisationen groß geworden ist.

IslamiQ: Jahrelang wurden in der DIK sicherheits- und migrationspolitische Themen diskutiert. Ist ein Dialog mit dem Islam, der nicht unter den Anzeichen von „Gefahrenabwehr“ oder „Sicherheit“ steht, unmöglich?

Speer: Nicht nur die DIK, sondern die gesamte deutsche Islampolitik zeichnet sich durch eine Islamisierung der Integrationsdebatten und „securitization“, also eine Betonung des Sicherheitsaspekts, aus. Es sind nämlich keineswegs die Repräsentanten des Islams, die für die Einführung des islamischen Religionsunterrichts, der islamischen Theologie oder auch nur die Einrichtung der DIK gesorgt haben. Dazu ist ihr Einfluss viel zu gering. Zum Vergleich: Allein die katholische Caritas hat etwa 590.000 hauptamtliche Mitarbeiter, gemeinsam mit der evangelischen Diakonie hat sie einen Jahresumsatz von etwa 44,5 Milliarden Euro. Daran gemessen sind die islamischen Verbände nicht klein, sondern winzig.

Die Triebfeder der deutschen Islampolitik ist vielmehr die Angst vor dem Islam: Knapp drei Viertel der Deutschen sieht in der Zunahme von Muslimen eine Bedrohung. Mehr als 60 Prozent befürchten, dass unter den Muslimen viele Terroristen sind. Die Einschätzung der Gefahr wird zudem dadurch erhöht, dass die Zahl der Muslime deutlich überschätzt wird: Deutsche ohne Migrationshintergrund gehen im Durchschnitt von elf Millionen Muslimen in Deutschland aus. Türkeistämmige liegen mit einer Schätzung von neun Millionen übrigens ebenfalls deutlich daneben.

„Gefahrenabwehr“ und „Sicherheit“ sind vor diesem Hintergrund aus islampolitischen Diskussionen nicht wegzudenken. Der Vorteil für die islamischen Religionsgemeinschaften ist jedoch, dass sich im Schatten des Sicherheitsdiskurses durchaus Erfolge erreichen lassen. Islamischer Religionsunterricht und islamische Theologie sind dafür Beispiele, auch wenn die Umsetzung häufig mit dem Grundgesetz schwer in Einklang zu bringen ist. Aber es sind Ansatzpunkte für eine spätere Verbesserung der Position.

IslamiQ: Hat Deutschland eine Islampolitik? Falls ja, wie bewerten Sie diese?

Speer: Die Islampolitik in Deutschland unterscheidet sich deutlich von der Religionspolitik gegenüber anderen religiösen und weltanschaulichen Traditionen. „Religionspolitik“ als Politikfeld in Deutschland ist ohne den Islam gar nicht denkbar. Spätestens seit dem 11. September 2001 erleben wir in Deutschland eine Re-Formation von Religionspolitik als Integrationspolitik, die sich im Kern auf die Muslime und den Islam richtet. Mit Religionspolitik wird eine Form der politischen Steuerung assoziiert, die noch bis zu den 2000er Jahren in Deutschland mit Verweis auf die „schiedlich-friedliche Trennung“ von Staat und Religion abgelehnt wurde. Im Zuge der Sektenhysterie und der beginnenden Neubewertung der islamischen Einwanderung werden einzelne Rufe nach Religionspolitik in den 1990er Jahren laut. Der sprunghafte Anstieg der Nichtreligiösen in der Gesellschaft durch Säkularisierung und Wiedervereinigung spielt hingegen keine Rolle.

„Religionspolitik“ als Politikfeld in Deutschland ist ohne den Islam gar nicht denkbar.

Die deutsche Religionspolitik zeigt große Unterschiede zwischen dem Islam und den etablierten Traditionen, aber auch zu anderen nichtetablierten Minderheiten auf. Die religionspolitischen Entscheidungen von Parlamenten und Regierungen seit 1990 sind letztlich allesamt positiv für die beiden großen Kirchen, den Zentralrat der Juden u.a. ausgegangen. Andere Minderheiten – abgesehen vom Islam – waren oft ausschließlich negativ betroffen (Jehovas Zeugen, Humanistischer Verband, so genannte Sekten). Nur beim Islam gibt es eine Mischung aus positiven und negativen religionspolitischen Entscheidungen. Dies zeigt den Versuch der staatlichen Steuerung durch Kooperation. Während den Humanisten ein Weltanschauungsunterricht bspw. in Nordrhein-Westfalen ebenso vorenthalten wurde wie die Einrichtung einer Konfessionsfreienkonferenz, werden für Muslime ebendiese Maßnahmen trotz verfassungsrechtlicher Bedenken umgesetzt.

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
Erklärungen von Politikern, dass "der Islam zu Deutschland" gehöre, halte ich genauso unangebracht wie es eine entsprechende Äußerung wäre, wonach "die Linkspartei zu Deutschland" gehöre. Jeder Deutsche hat das Recht sich selbst eine Meinung zu bilden. Keine Religion oder Weltanschauungen hat einen Anspruch auf Verleihung eines staatlichen Gütesiegels
19.09.16
14:59