Moscheeangriffe in Deutschland

Die Notwendigkeit der gesonderten Erfassung antimuslimscher Straftaten

Moscheeangriffe sind jene Anzeichen, die einen signifikanten Anstieg der Islamfeindlichkeit illustrieren. Gibt es einen adäquaten Ansatz, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten? Taner Aksoy ist sich sicher, dass die gesonderte Erfassung antimuslimischer Straftaten ein elementarer Schritt zur Bewältigung des Problems sein kann.

02
10
2016

In den vergangenen Jahren kann auf globaler Ebene eine “antiislamische“ Haltung verzeichnet werden, die durch bestimmte Ereignisse und Anschläge in Europa forciert wurden. Das lässt sich auch auf die deutsche Gesellschaft und den innerdeutschen Islam- und Integrationsdiskurs projizieren.Medien einerseits, AfD, Pegida sowie Identitäre andererseits, kreieren ein negativ konnotiertes Islambild, was innerhalb unserer Gesellschaft zur Ablehnung einer gesamten Religion führt.

Aus einer Umfrage der Studie „Deutschland Postmigrantisch I.“ vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung geht hervor, dass knapp 70 Prozent der befragten Personen den Anteil der Muslime an der Bevölkerung in Deutschland überschätzen. Zwischen dem geschätzten Anteil der Muslime in Deutschland und einem subjektiven Bedrohungsgefühl besteht ein Zusammenhang: Die Personen, die den Bevölkerungsanteil der Muslime deutlich höher schätzen, […] stimmen auch eher der Aussage „Muslime in Deutschland bedrohen viele Dinge, die ich in dieser Gesellschaft für gut und richtig halte.“ zu.

Der Islamwird dabei als eine restriktive, rückständige, mittelalterliche und überholte Ideologie perpetuiert, die mit der so genannten westlichen Wertegrundlage nicht kompatibel zu sein scheint. Folglich werden als Muslime markierte Menschen ohne näheres Hinterfragen als „Terroristen“ und „Unzivilisierte“ gebrandmarkt.

Islamfeindlichkeit bedrohlich angestiegen

Insbesondere ab Mitte der 2000´er Jahre konnte europaweit ein Anstieg des antimuslimischen Rassismus verzeichnet werden, dessen Auswüchse sich jüngst insbesondere in Deutschland u.a. in Angriffen auf Muslime und islamische Gebetshäuser bemerkbar machten. Folglich sind Anschläge auf Moscheen immer wieder Gegenstand der medialen Berichterstattung. Neben Medien illustrieren zahlreicher Studien den Anstieg antiislamischer Ressentiments.

In seinem Bericht „Moscheeanschläge: schleichende Kristallnacht“ vom 10.09.2011 konstatiert Gerhard Piper vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit, das zwischen 1981 und 2011 insgesamt 122 Moscheeangriffe zu verzeichnen sind. Ferner merkt er an, dass sich die Anzahl der Moscheeanschläge in der Dekade 2001- 2011, also seit dem 11. September 2001, mehr als verdoppelt haben als im Gegensatz zur Dekade davor (1991- 2001). Von Anfang 2012 bis März 2014 wurden zudem 78 Attacken registriert. Im Jahr 2015 wurden insgesamt 75 Anschläge auf Moscheen verübt. . Im vergangenen Monat ereigneten sich innerhalb weniger Tage gleich vier Moscheeanschläge. Bereits am Freitag, den 16.09. wurde ein Schweinekopf an eine noch im Bau befindliche Moschee in Essen befestigt. Am vergangenen Wochenende ereigneten sich gleich zwei Übergriffe auf Moscheen: Im baden-württembergischen Schwäbisch Gmünd wurde die Fassade einer Moschee mit Hakenkreuzen sowie beleidigenden Sprüchen beschmiert und im hessischen Bebra ereignete sich ein Brandanschlag auf ein türkisch-islamisches Kulturzentrum, in der sich ebenfalls eine Moschee befindet.

Trotz der aufgezeigten verheerenden Bilanz, bleibt unbekannt, wie oft Muslime und muslimische Gebetshäuser zum Ziel rassistischer Übergriffe werden

Statistische Erfassung antimuslimischer Straftaten

Seit der Einführung des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes im Jahre 2001 werden antimuslimische Straf- und Gewalttaten nicht als solche erfasst, sondern unter dem Oberbegriff „Hasskriminalität“ subsumiert. Demzufolge können antimuslimische Übergriffe nicht ausgewiesen,- und darüber keine Statistik geführt werden. Vorbildlich wird dies allerdings bei antisemitisch motivierten Straftaten gehandhabt, wobei jeder antisemitischer Übergriff richtigkeitshalber gesondert erfasst wird. Das Land Berlin registriert zudem seit einigen Jahren Straftaten aufgrund sexueller Orientierung als ein Unterthema „sexuelle Orientierung“, welches das Oberthema „Hasskriminalität“ ergänzt. Nach diesem Prinzip können die bisher unberücksichtigten und daher in den polizeilichen Statistiken nicht erwähnten antimuslimischen Übergriffe erfasst und als Unterthema der „Hasskriminalität“ offengelegt werden.

Führt man die Antwort der Bundesregierung vom 22.12.2010 auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion vor Augen, scheint die Bundesregierung kein Interesse daran zu haben, am gegenwärtigen status quo Änderungen vorzunehmen. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion am 3. Juni 2013 weist die Bundesregierung zudem daraufhin, dass entsprechende Änderungen bzw. Erweiterungen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes „Politisch motivierte Kriminalität“ (KPMD-PMK) nur mit Zustimmung aller Länder möglich sind. Eine derartige Erweiterung des PMK-Themenfeldkataloges sei von den zuständigen Gremien der Innenministerkonferenz bereits im Jahr 2011 erörtert worden, aber letztlich einvernehmlich nicht weiter verfolgt worden. Jetzt – sechs Jahre später- sollen antimuslimische Straftaten erfasst werden. Die Forderungen nach einer gesonderten Erfassungen gibt es jedoch schon seit Jahren.

Forderungen nach gesonderter Erfassung

Der Landtag in Nordrhein-Westfalen (NRW) hat am 04.07.2014 einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen der SPD, der Grünen und der Piraten angenommen. In dem Antrag wird die Landesregierung dazu aufgefordert auf Bundesebene darauf hinzuwirken, dass die Erfassung von Politisch Motivierter Kriminalität (PMK) überarbeitet und geändert wird. „Antimuslimisch motivierte“ Straftaten sollen unter dem Themenfeld der Hasskriminalität als eigener Straftatbestand aufgeführt werden. Sollte eine bundesweit einheitliche Regelung nicht möglich sein, so sei die Landesregierung dazu aufgefordert, zu prüfen, ob eine eigene Statistik für NRW umsetzbar ist.

Auch im bayerischen Landtag fordern Landtagsabgeordnete der „Bündnis 90/ DIE GRÜNEN“ mit einem Antrag, das Themenfeldkatalog zur politisch motivierten Kriminalität um antimuslimische Straftaten zu ergänzen.

In Niedersachsen setzt sich die Forderung fort. Auch dort fordern die „DIE GRÜNEN eine gesonderte Erfassung islamfeindlicher Straftaten durch die Polizei. Auf der Internetplattform islamiq.de ist dazu Folgendes zu lesen: „Die Grünen fordern ebenso wie Experten und muslimische Religionsgemeinschaften eine eigenständige Erfassung von islamfeindlich motivierten Straftaten in der PMK. Gegenüber NDR Info plädierte der Grünenabgeordnete Belit Onay für eine präzisere Erfassung der Straftaten. Es sei notwendig, auch das Kriterium der Islamfeindlichkeit in die Erfassung politisch motivierter Straftaten einzuführen.“ In seiner Antwort vom 17.09.2015 führt der niedersächsische Innenminister Pistorius an, dass eine Erfassung antimuslimischer Straftaten nicht erfolge. „Anschläge auf Moscheen“ stellen ebenso wie die „Schändung von Moscheen“ kein eigenständiges Delikt dar; vielmehr werden durch einen Anschlag bzw. eine Schändung – je nach den Umständen des konkreten Einzelfalles – unterschiedliche Straftatbestände verwirklicht“, so Pistorius weiter. Hingegen produziere man laut Grünen- Landtagsabgeordnete Belit Onay durch dieses Vorgehen eine „hausgemachte Dunkelziffer“.

Polizeilicher Vorgang bei Ermittlungen

Bei einigen Moscheeangriffen bedarf das Verhalten der ermittelnden Beamten einer näheren Erklärung. So wurde der erste Moschee- Angriff in Mölln (16.-17. August 2014) zwei Wochen lang geheimgehalten. Die Polizei erklärte, dass man dadurch Nachahmern entgegenwirken wollte. Bei dem Brandanschlag in Bielefeld (11. August 2014) ging die Polizei gleich von einem Diebstahl aus, obwohl Koranexemplare verbrannt wurden.

Die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann bemerkte in ihrem Statement anlässlich des Brandanschlags auf die Berliner Mevlana- Moschee, keine Verschwörungstheorien entwickeln zu wollen und auf die Ermittlungsergebnisse zu vertrauen. Hier schloss die Polizei zunächst ein rassistisches Motiv aus und hielt einen technischen Defekt oder eine fahrlässige Handhabung mit brennbarem Material für die Branduhrsache. Der Polizeipräsident sprach erst nach zwei Wochen von einer „Vorsatztat“, nachdem die kriminaltechnische Untersuchungsstelle der Polizei in den Brandresten Spuren einer brennbaren Flüssigkeit festgestellt hatte. Die betroffene Gemeinde hatte darauf bereits zu Beginn der Ermittlungen hingewiesen.

Die betroffene Gemeinde

Vor dem Hintergrund, dass innerhalb einer Zeitspanne von nur zwei Wochen insgesamt vier Moscheen das Ziel von Angriffen, Schmähungen und Brandanschlägen wurden, gibt es innerhalb der betroffenen Gemeinden einerseits und der deutschlandweiten islamischen Gemeinschaften andererseits Anlass zur Sorge. Wünschenswert ist es, wenn die Sorgen und Ängste betroffener Moscheegemeinden als hinreichende Signale seitens der Politik verstanden werden, um im weiteren Verlauf die vieldiskutierte Forderung nach der Aufnahme antimuslimische Straftaten im PMK- Themenkatalog zu realisieren.

Ist der oben beschriebene Schritt einmal vollzogen, wird eine statistische Grundlage für Auswertungen, umfangreiche Studien und nachhaltige Projekte existieren.In diesem Zusammenhang werden die unzureichenden Vorgehensweisen der polizeilichen Ermittlungen anhand von Statistiken zu hinterfragen sein. Dadurch können Empfehlungen ausgesprochen, und Verbesserungsvorschläge gemacht und somit zur Optimierung der polizeilichen Arbeit in diesem Feld beigetragen, wodurch die Dunkelziffer reduziert werden könnte

Die separate Erfassung von antimuslimischen Straftaten wird von Muslimen seit jeher gefordert. Begründet werden diese Forderungen damit, dass es aktuell kein explizites Instrument zur Messung von antimuslimisch motivierten Straftaten gebe. Die Ursache hierfür sei das unzureichende Definitionssystem der politisch motivierten Kriminalität (PMK), denn Angriffe auf Moscheen werden, ohne weitere Kennzeichnung, unter der Kategorie „Hasskriminalität“ erfasst.

Als Beispiel können hier die Ereignisse des 11. Septembers 2001, sowie die Anschläge von Madrid (2004), London (2005) und die Pariser Anschläge (Charlie Hebdo und Bataclan 2015).
https://www.projekte.hu-berlin.de/de/junited/deutschland-postmigrantisch-1/ (l.Z. 20.03.2016).
Ebenda.
Der Begriff „antimuslimischer Rassismus“ setzt das Phänomen zudem in Beziehung zu anderen
Phänomenen, wie z.B. dem Antiziganismus oder dem Rassismus gegen Schwarze. Der Begriff
verdeutlicht damit, dass es weniger um Fragen der Religion geht als um einen Ausgrenzungsprozess
gegenüber Minorisierten, für den die Religion oftmals nur die Folie bietet, auf deren Hintergrund
Kollektivzuschreibungen vorgenommen werden; auf:
http://heimatkunde.boell.de/2011/07/01/islamophobie-antimuslimischer-rassismus-oder-
muslimfeindlichkeit-kommentar-zu-der (letzter Zugriff: 18.02.2015).
http://www.heise.de/tp/artikel/35/35449/3.html (letzter Aufruf: 09.10.2014).
Ebenda.
http://www.welt.de/politik/deutschland/article130660759/Zahl-der-Angriffe-auf-Moscheen-steigt-
deutlich.html, 29.07.2014, (letzter Aufruf: 11.09.2014).
http://www.taz.de/!5299037/ (letzter Aufruf: 02.10.2016).
https://www.islamiq.de/2016/09/27/ruft-doch-die-polizei-die-moegen-euch-auch-nicht/ (letzter Aufruf: 02.10.2016).
Ebenda.
https://www.islamiq.de/2016/09/27/ruft-doch-die-polizei-die-moegen-euch-auch-nicht/ (letzter Aufruf: 02.10.2016).
Vgl. Wahl, Klaus, Einleitung, in: Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rechtsextremismus,
Bundesministerium des Inneren (Hrsg.), Berlin 2001, S. 21.
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/043/1704335.pdf (letzter Aufruf: 09.10.2014).
http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD16-6122.pdf (letzter
Aufruf: 24.09.2014).
http://www.gruene-fraktion-bayern.de/sites/default/files/0000001959.pdf (letzter Aufruf: 15.10.2015).
https://www.islamiq.de/2014/09/26/gruene-polizei-soll-islamfeindlichkeit-erfassen/ (l.Z.: 04.03.2015).
Vgl. Kleine Anfrage der Abgeordneten Belit Onay, Filiz Polat, Meta Janssen-Kucz, Helge
Limburg und Julia Wilie Hamburg (GRÜNE) vom 17.09.2014, LT-Az.: II / 725-856
Vgl. Ebenda.
Vgl. https://www.islamiq.de/2014/08/30/moelln-anschlag-auf-moschee-wurde-verheimlicht/,
30.08.2014, (letzter Aufruf: 11.09.2014).
https://www.islamiq.de/2014/08/27/mevlana-moschee-ein-brandanschlag-23-brandstifter/ (letzter
Aufruf: 26.09.2014).
Ebenda.
https://www.islamiq.de/2015/05/05/erfassung-von-antimuslimischen-straftaten-noetig/ (letzter Aufruf: 05.10.2015).
https://www.islamiq.de/2015/05/05/erfassung-von-antimuslimischen-straftaten-noetig/ (letzter Aufruf: 05.10.2015).

Leserkommentare

Holger Berger sagt:
Ein elementarer Schritt zur Bewältigung des Problems ist es garantiert auch zu überlegen, was Islam-Koran-Anhänger selber dazu beitragen können, daß ihre Aktivitäten, Lebensformen und kulturellen Gepflogenheiten nicht auf Kritik oder Ablehnung - in einer freiheitlichen Gesellschaft - stoßen.
03.10.16
13:45
Ute Fabel sagt:
Warum soll man nur antiislamische Straftaten gesondert erfassen, aber nicht ausländerfeindliche Straftaten, die gegen laiizistische Ziele gerichtet sind? In Wien gab es einen Brandanschlag gegen einen säkulären türkischen Verein . Den entstandenen Schaden beziffert der Obmann des Vereines „Atatürk“ mit etwa 40.000 Euro, denn auch die Räume sind vollkommen verwüstet. Dabei handelte es offenbar um keine antiislamisch motivierte Straftat, den der der türkische Verein hat selbst eine religionskritische Ausrichtung und setzt sich für die strikte Trennung von Religionen und Staat ein. Wohl aber um eine ausländerfeindliche Straftat. Verdienen ungläubige türkische Anschlagsopfer weniger Aufmerksamkeit als gläubige?
06.10.16
10:47
Chris sagt:
@ Ute Fabel und schon wieder die xte Relativierung von Ihnen wie armselig Es ist so wie wenn mein Sohn in der Schule von Nazis verprügelt wird und ich zum Lehrer gehe und der sagt, dass auch in anderen Städten Nazis von anderen Menschen verprügelt werden haha
06.10.16
23:47
Ute Fabel sagt:
Ich finde Straftaten gegen Ausländer schlimm, egal ob diese Delikte gegen Moscheen oder säkularistische Vereine gerichtet sind. Man sollte Straftaten gegen Ausländer gesondert erfassen, aber nicht unterscheiden, ob diese Straftaten gegen religiöse oder ungläubiger Ausländer gerichtet sind. Eine solche unsachliche Unterscheidung würde ich armselig finden.
10.10.16
10:49
Grünschnabel sagt:
@UteFabel Sie werden doch eingestehen, dass die Islamfeindlichkeit in westlichen Gesellschaften ein wachsendes Problem ist. Fasst man jegliche Angriffe, die aus diesem Grund erfolgen, allgemein unter die Kategorie "Rassismus/Ausländerfeindlichkeit o.Ä.", kann keine Analyse hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des Phänomens Islamophobie erfolgen. Um ein Phänomen jedoch bekämpfen zu können, muss man erst einmal wissen, womit man es zu tun hat. Dazu ist eine separate Erfassung unerlässlich. Außerdem werden "Straftaten gegen Ausländer", wie Sie es bezeichnen, ohnehin bereits erfasst. Es geht hier darum, das Motiv der Islamfeindlichkeit nochmal gesondert zu erfassen, so wie es beispielsweise hinsichtlich des Antisemitismus bereits seit geraumer Zeit praktiziert wird.
13.10.16
11:21