Bombenanschläge, versuchte Brandstiftung und Schüsse vor Moscheen. Musliminnen werden rassistisch beleidigt und angegriffen. Esra Lale ist der Meinung, dass Deutschland ein Gewaltproblem hat und Muslime nicht die Bedrohung darstellen, sondern diejenigen sind, die geschützt werden müssen.
Die letzten zwei Wochen waren geprägt von Gewalt und Ausschreitungen gegenüber Muslimen. In Dresden wurde die Fatih-Moschee von einem Unbekannten mit selbstgebauten Sprengstoffsätzen angegriffen, in Remscheid fielen bei einem Wohltätigkeitsbasar einer DITIB-Moschee Schüsse und verletzten laut Polizeiberichten zwei Frauen nur leicht. Glücklicherweise gingen die Anschläge glimpflich aus. Oberflächlich betrachtet gab es zwar keine Verletzungen, doch wie ist die seelische Verfassung der Betroffenen?
Stellen Sie sich vor, dass Sie in ihrem gewohnten Umfeld, indem sie wohnen, leben, zur Schule gehen, arbeiten und jeden Morgen den Bäcker grüßen plötzlich Angst haben müssen. Eine traumatische Belastung bei den Betroffenen bleibt immer, denn der Angriff demonstriert: Wir wollen euch hier nicht, wir hassen euch. Hass, dessen Wucht an der verrußten Haustür der Moschee in Dresden erkennbar ist. Hass war es auch, der eine Frau in der Wiener U-Bahn dazu trieb, eine Muslima neben ihrem Kind rassistisch zu beleidigen und sie gewalttätig anzugreifen.
Genau dieses Gefühl hatte auch der Mann der Muslima Gamze K. vor ein paar Monaten ins Gesicht schlug und ihre Nase brach. Die Bilder ihrer blutunterlaufenen und geschwollenen Augen werden nicht so schnell vergessen werden. Ob es Hass war, der jemanden dazu trieb, gezielt auf einen Wohltätigkeitsbasar einer Moscheegemeinde zu schießen, wo sich hauptsächlich Frauen und Kinder aufhalten, ist noch unklar. Die allgemeinverbreitete Hoffnung ist, dass es keine islamfeindliche Gewalt war. Doch es allein schon anzunehmen, zeigt in welcher miseren Lage wir uns befinden. Denn es markiert eine ungeahnte Gewalt und Aggression im rassistischen Dunkel.
Moscheeangriffe sind die exemplarischsten Beispiele für den Hass auf den Islam und die Muslime, denn „der innere Hass richtet sich gegen den Islam als Ganzes, die äußeren Taten legen dafür Zeugenschaft ab. Während bei einer muslimischen Person als Angriffsopfer außer seinem religiösen, ethnischen oder politischen Charakter auch persönliche Beweggründe zur Tathandlung motiviert haben könnten, ist eine derartige Erwägung in Bezug auf Gotteshäuser nicht plausibel“, erklärt der juristische Mitarbeiter der Antisdiskriminierungsstelle Federation against Injustice and Racism e.V. (FAIR international), Burak Altaş. Und die Zahl der gezielten Moscheeangriffe ist in den letzten Monaten bedrohlich gestiegen.
FAIR allein zählte im Jahr 2015, 42 Angriffe, im Vorjahr waren es lediglich 23. Die Bundesregierung zählte 2015 sogar 60 Moscheeangriffe, ausgehend von den Antworten auf Kleine Anfragen. Die unterschiedlichen Zahlen belaufen sich darauf, dass FAIR ihre Fälle aus der täglichen Medienanalyse bezieht. Dies wiederum zeigt, dass nicht alle Angriffe medial aufgenommen werden. Angesichts der Tatsache, dass islamfeindliche Angriffe nicht separat erfasst werden, ist auch die Zahl der Bundesregierung höchstwahrscheinlich nicht die reale Zahl. Außerdem werden Sachbeschädigungen an Moscheen oftmals nur als solche bearbeitet, dass hinter diesen Beschädigungen eine islamfeindliche Motivation sein könnte, ist unter anderem dem Ermessen des jeweiligen Polizeibeamten überlassen.
Islamfeindliche Straftaten können also bis zur separaten Erfassung nicht vollständig erfasst werden können. Das dies ab 2016 geschehen soll ist angesichts der komplexen Thematik ein denkbar schwieriges Vorhaben, aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Wer sind die Menschen, die Moscheen als Ziel ihres Hasses ausmachen? Im dritten Quartal belief sich die Zahl der Angriffe auf Moscheen und islamische Einrichtungen auf 13. Dies ging aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke hervor. Der Schwerpunkt der Straftaten lag demnach mit acht Fällen auf der politisch rechts motivierten Kriminalität. Die meisten davon wurden als Hasskriminalität eingestuft. Drei Angriffe wurden der politisch motivierten Kriminalität durch Ausländer zugeordnet, eine Tat konnte nicht eingeordnet werden. Auch bei den Moscheeangriffen aus den restlichen Quartalen stellt die rechtsextreme Motivation ausnahmslos den Schwerpunkt dar. Doch das ist nicht nur bei islamischen Gotteshäusern der Fall.
Aus der Antwort auf die Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die den Titel „Rechte Gefahr in Deutschland“ trägt, ging nämlich hervor, dass von Anfang Januar 2016 bis Mitte September des gleichen Jahres insgesamt 37 Straftaten „gegen religiöse Gemeinden, deren Einrichtungen und Repräsentanten“ aufgenommen wurden. „Eine Differenzierung nach den verschiedenen Religionen ist im Kriminalpolizeilichen Meldedienst Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) nicht bekannt“, teilte uns eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums mit. Dies gilt jedoch auf Bundesebene.
Denn auf eine schriftliche Anfrage der Grünen-Abgeordneten Clara Herrmann an den Berliner Senat, in der sie in Erfahrung bringen will, wie viele Anschläge auf Kirchen im Jahr 2015 verzeichnet wurden, gab dieser an, dass in Berlin in dem genannten Zeitraum auf Berufung auf den Kriminalpolizeilichen Meldedienst 17 Kirchenangriffe gezählt wurden. Von diesen 17 Angriffen wurden 16 der rechten politisch-motivierten Kriminalität zugeordnet und nur ein Angriff konnte nicht zugeordnet werden. Oftmals wurden Hakenkreuze und fremdenfeindliche Sprüche auf die Wände geschmiert.
Der Hass gilt dem Fremden und allen die den Fremden helfen oder für Liebe, Einheit und Harmonie predigen. Der Hass gilt uns allen.
Dass Hass existiert ist keine neue Erkenntnis, doch dass sie immer weiter ansteigt ist beängstigend und dass sie immer stärker in rechtsextremer Gewalt mündet eine traurige Festnahme. Einem Bericht des Magazins „Spiegel“ zufolge hat die rechtsextreme Gewalttätigkeit drastisch zugenommen. Demnach habe die Polizei von Januar bis Mitte September 507 Fälle fremdenfeindlicher Gewalt registriert – damit hat sich die Zahl gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelt. Die Zahl aller politisch motivierten Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge habe in diesem Zeitraum bei mehr als 1.800 gelegen. Das gehe aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums an die Grünen-Fraktion im Bundestag hervor.
Demnach legten rechtsextreme Kräfte und Asylgegner in diesem Jahr bisher 78 Mal Feuer, 7 Tötungsdelikte wurden gezählt. Im rechtsextremen Spektrum habe vor dem Hintergrund der Flüchtlingsdebatte „die Widerstandsrhetorik zugenommen“, so das Ministerium.
Bei einer Darstellung der Fallzahlen von „Hasskriminalität“ gab das Bundesministerium des Innern in einer Pressemitteilung im Mai diesen Jahres bekannt, dass rechtsextreme Straftaten unter der Kategorie „Hasskriminalität“ von 2001 bis 2015 stetig angestiegen sind. Neben der rechten Motivation (PMK-rechts) werden auch die Unterthemen „PMK-links“, „PMK-Ausländer“ und „PMK-sonstige“ aufgelistet. Auffällig ist sofort, dass rechtsextreme Hasskriminalität sich vor allem von 2014 bis 2015 nahezu verdoppelt hat. Waren es 2014 noch 5.858 bekannte Fälle, zählte man ein Jahr später 10.373. Im gleichen Zeitraum sanken die Fälle unter der Kategorie „PMK-Ausländer“ von 402 auf 301. Doch auch bei der Abfrage nach explizit gewalttätigen Straftaten wurden 2015, 980 rechtsextreme Straftaten gezählt. Im Vorjahr waren es noch 549. Von den 980 bekannten Fällen in diesem Jahr hatten 934 eine gezielt fremdenfeindliche Motivation.
Die Zahlen sind überwältigend. Vor allem vor dem Hintergrund, dass rechtsextreme Gruppierungen sich immer stärkeren Zuwachses erfreuen können. Das gelte besonders für die fremden- und islamfeindliche „Identitäre Bewegung Deutschland“, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird, teilte das Bundesinnenministerum zuvor mit. Das läge hauptsächlich daran, dass frühere Mitglieder der NPD oder neonazistische Kameradschaften sich den „Identitären“ anschlössen. Bei den hohen Zahlen der rechtsextremen Übergriffe mit gezielt fremdenfeindlichen und rassistischen Motivationen und dem starken Zuwachs eben dieser Gruppen ist es verwunderlich, dass momentan nur 20 Personen aus der rechtsextremen Szene als Gefährder eingestuft werden.
Die repräsentative „Leipziger Mitte Studie“ quittierte dieses Jahr außerdem, dass die Islamfeindlichkeit in Deutschland stark angestiegen ist. Jeder zweite fühlt sich von Muslimen in Deutschland bedroht. Im Grunde müsste man aber nur eins und eins zusammenzählen, um zu erkennen wer in Deutschland momentan die gefährdete Gruppe und wer die Gefährder darstellt. Rechtsextreme Kräfte verursachen mit Abstand die größten Straftaten in Deutschland und sie steigen immer stärker an.
Doch nicht nur Muslime und Migranten sind Zielscheibe des aufkochenden Hasses, sondern auch Kirchen, Synagogen und alle die zur Einheit halten. Daher ist es unser aller – die sich für eine funktionierende, pluralistische Gesellschaft einsetzen – Aufgabe, diesen Hass und die Gewalt zu bekämpfen. Der erste Schritt ist die klare Ansprache der realen Probleme in Deutschland und keine stetige Verharmlosung des braunen Gedankenguts in Deutschland. Der Vorsitzende der Initiative „Gesicht zeigen“, Uwe-Karsten Heye, erklärte schon von ein paar Monaten im WDR-Interview, dass der Rechtsextremismus eine furchterregende Entwicklung aufweist und gleichzeitig nicht ausreichend beachtet wird.
Vor allem den Begriff der „besorgten Bürger“ hält Heye für eine Verharmlosung. Es gebe höchstens „besorgte Flüchtlinge“. „Die können auch besorgt sein, weil vor ihren Unterkünften sich mancher Mob zusammenrottet und ihnen mitteilt, sie sind nicht willkommen, was ich für eine ganz schreckliche und furchterregende Entwicklung halte“, so Heye weiter.
„Ihr seid nicht willkommen, wir hassen euch“, die Botschaft, die auch der Täter vor der Dresdner Moschee in seine Sprengstoffsätze legte und durch die abermals vor Moscheen abgelegten Schweinsköpfe symbolisiert wird, in den zerbrochenen Gläsern der islamischen Gotteshäusern zu erkennen ist und die lauthals geschrien wird, wenn Musliminnen auf offener Straße angepöbelt und geschlagen werden. Deutschland, du hast ein Gewaltproblem und nicht Migranten, Flüchtlinge und Muslime sind die Bedrohung, sondern diejenigen, die am stärksten geschützt werden müssen.
Wie stark, das kann man anhand unserer neuen Karte sehen. IslamiQ hat alle Moscheeangriffe von 2015 und 2016 ausfindig gemacht und auf der Deutschlandkarte zusammengetragen. Die Karte wird stetig aktualisiert.
Falls Ihnen ein Moscheeangriff bekannt ist, der nicht auf unserer Karte zu sehen ist, dann können Sie die nötigen Informationen (Wo? Was? Wann?) an info@islamiq.de schicken.