Köln steht wie im letzten Neujahr im Mittelpunkt vieler Nachrichten. Diesmal beschäftigt das Wort „Nafri“ die Gemüter. Für Esra Lale zeigt dies vor allem, dass nichts aus den Debatten vom Vorjahr gelernt wurde und die Verbreitung des Wortes „Nafri“ nicht förderlich ist.
Es scheint, als würde jedes neue Jahr eine neue Diskussion mit sich bringen. War es Anfang 2016 noch die Debatte über Sexismus als „importierte Unsittlichkeit aus dem arabischen Raum“, ist es jetzt die Debatte um Racial-Profiling. Damals wurde zu recht kritisiert, dass Sexismus als „importierte“ Unsittlichkeit gesehen wurde und versucht klarzustellen, dass es in jedem Land zu solchen Straftaten kommt. Die allgemeine Stimmung war nämlich, als hätten die „nordafrikanischen Grabscher“ an Silvester das Rad neu erfunden. Falsch war auch, dass nicht über die Opfer – die Frauen – diskutiert wurde, was auch dieses Jahr nicht anders ist. Es wird nicht über das hauptsächliche Problem gesprochen, sondern eine Scheindebatte nach der anderen angefeuert.
Das eigentliche Problem ist doch, dass – und die „Nafri“-Debatte zeigt das sehr deutlich – diejenigen, die Racial-Profiling als gerechtfertigte Folge des letzten Jahres deuten, dies untereinander diskutieren und alle anderen, die es ablehnen, es genauso untereinander diskutieren. Wo ist die Schnittstelle? Meinungen kundzutun ist wichtig, doch inwiefern wird damit ein konstruktiver Austausch in der Gesellschaft angetrieben? Diese bilateralen Argumentationsstränge erwecken eher das Gefühl, dass sich nur die Fronten erhärten, ohne dass die eigentliche Ursache beachtet wird.
Natürlich wäre es wünschenswert, dass wir als Gesellschaft auf dem Stand wären, Racial- Profiling nicht erklären zu müssen. Während die Betroffenen ein Lied davon singen können, wie ermüdend das sein kann, sind diejenigen, die nie verdachtsunabhängig kontrolliert wurden, nicht genug sensibilisiert. Sie argumentieren sogar damit, dass es beispielsweise Muslimen doch eine Hilfe wäre, da somit die „schwarzen Schafen“ aussortiert würden. Nach dem Motto: einen Tod musst du sterben. Im Vorfeld wird jeder verdächtigt und später selektiert.
Das eigentliche Problem liegt hier aber auch wieder tiefer. Muslime, Flüchtlinge, Nordafrikaner etc. werden hierzulande kriminalisiert. Ist das der Fall, wird jede rechtswidrige Behandlung gerechtfertigt. Denn – und auch dies wird immer wieder ausgeblendet – Racial-Profiling ist rechtswidrig. Das sollte eigentlich kein Gegenstand einer Diskussion sein. Doch Gesetze verlieren ihre Rechtswirksamkeit, wenn Angst sich dazu gesellt. Wurde erst mal erfolgreich das Bild von dem sexual geladenen „Nordafrikaner“ installiert, was Silvester 2015 erfolgreich getan wurde, so ist jede polizeiliche Maßnahme berechtigt – auch wenn sie nur auf oberflächlichen Merkmalen basiert.
Dieses Jahr gab es dann noch die twitterkonforme Abkürzung „Nafri“ auf die Mütze. Ein Wort, das wie ein Hipster-Ausdruck klingt und auf Jute-Beutel und T-Shirts ganz schick aussehen würde. Die Polizei hat unbewusst ein Schlagwort geschaffen, das sich wie ein Feuer ausgebreitet hat und innerhalb von Millisekunden Assoziationen zur Silvesternacht, zu Köln, gefährlichen Nordafrikanern und sexueller Gewalt aufruft. Der Sprachwissenschaftler Thomas Niehr definierte für die Bundeszentrale für politische Bildung, Schlagwörter wie folgt: „Schlagwörter dienen in der politischen Kommunikation dazu, Forderungen und Programme unter das Volk und damit unter die potentiellen Wählerinnen und Wähler zu bringen. Dabei haben Schlagwörter den entscheidenden Vorteil, dass sie Forderungen und Programme so verkürzen, dass diese mithilfe nur eines Wortes ausgedrückt werden können.“ Da dieses Jahr die Bundestagswahlen stattfinden werden, kann die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit also als Keimling für den aufblühenden Wahlkampf der Parteien gesehen werden.
Ein Wort erhält seine politische Schlagkraft vor allem durch die massenhafte Verwendung. Demnach ist es nicht sinnvoll, diese weiter anzufeuern. Oder es gelingt den Muslimen in Deutschland, den Begriff positiv zu besetzen. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass das Wort ein lange bekanntes Wort für „nordafrikanische Intensivtäter“ ist und in diesem Kontext „nur“ benutzt wurde, „um Platz zu sparen“, wie die Polizei Köln angab. Gleichzeitig war es aber auch ein Paradebeispiel für die Kriminalisierung aller dunkelhäutigen Männer am Kölner HBF. Ein Teufelskreis. Die Verlierer bleiben die gleichen und die Gewinner bleiben die gleichen.