Minderheitenschutz

„Wir müssen uns gegen die Sprache des Hasses auflehnen“

Minderheiten fordern und verdienen einen besonderen Schutz. Um sich in die Situation einer Minderheit hineinzuversetzen, bedarf es der Empathie und der Selbstkritik, meint der türkische Politiker Mustafa Yeneroğlu.

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2017
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Der Kampf gegen Rassismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe © by AK Rockefeller auf Flickr (CC BY-SA 2.0), bearbeitet islamiQ

40 Jahre habe ich als Angehöriger einer Minderheit in Deutschland gelebt. Als Muslim habe ich hautnah erlebt, wie verletzend und aufreibend es ist, wenn der Islam und die Muslime pauschal als potentielle Bedrohung abgestempelt werden und Pluralität problematisiert, ja sogar von einem stetig wachsenden Teil der Bevölkerung  als Gefahr betrachtet wird. Und ich weiß,wie eine ausgrenzende Rhetorik als Mittel der Identitätsstiftung auf dem Rücken von Minderheiten den gesellschaftlichen Frieden und Zusammenhalt gefährdet.

25 Jahre habe ich mich mit vielen anderen Gleichgesinnten gegen Ressentiments und Anfeindungen gegenüber Muslimen in Europa engagiert ohne der Versuchung der „Dämonisierung des Anderen“ zu erliegen. Wir haben uns beherzt denen entgegen gestellt, die sich als Hüter einer angeblich überlegenen Leitkultur verstanden und eine homogene Gesellschaft anstrebten, ohne zu erkennen, dass diese Illusion eigentlich einem gesellschaftlichem Alptraum gleichkam.

Die Quintessenz aus dieser Zeit war und ist, dass jemand der den Lebensstil des Anderen nicht respektiert, auch keinen Respekt für seinen eigenen Lebensstil erwarten kann. Hass und Abgrenzung vernebeln die Wahrnehmung und machen eine objektive Betrachtung sowie eine ausgewogene Analyse von gesellschaftlichen Herausforderungen unmöglich. So wird dann alles nur noch in Schwarz- und Weiß wahrgenommen, Grautöne blendet man gänzlich aus. Der Respekt vor anderen Lebensweisen wird infrage gestellt oder wütend als Auswuchs von naivem Gutmenschentum bzw. Selbstverachtung diffamiert. Die Sprache radikalisiert sich, findet dennoch wachsenden Zuspruch und vergiftet die politische Kultur. Zurecht fühlen sich diejenigen, gegen die sich die Wut richtet, bedroht. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird schwächer – und zwar nicht durch die Hand der vermeintlich Anderen, sondern durch das eigene Tun.

Ausgrenzungserfahrungen von Muslimen in Europa

Um diesen verheerenden Teufelskreis  besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Erfahrungen der Muslime in Deutschland. Die gegen Muslime gerichtete feindselige Rhetorik von Pegida, der NSU-Skandal, die Brandanschläge in Solingen und Mölln, fast 1000 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im Jahr 2016 – all das sind Folgen einer zügellosen Feindschaft eines Teils der Gesellschaft. Ähnliche Erfahrungen gibt es in vielen Staaten Westeuropas. Die Wahlergebnisse in Österreich sowie die Umfrageergebnisse für die anstehenden Wahlen in Frankreich und der Niederlande verheissen nichts beruhigendes. Erklärungsmuster wie die „Bewahrung vor dem kulturellen Untergang“ “ oder die „Verteidigung der Gesellschaft vor Überfremdung“ finden sich in ähnlicher Form auch in anderen Ländern wieder, wenn es darum geht, die eigene Empörung zu rechtfertigen. Der gesellschaftliche Frieden – auch in der Türkei  – kann nur gewahrt werden, wenn wir uns dieser Muster bewusst sind und uns ihren perfiden Mechanismen durch die Stärkung unserer Empathiefähigkeit verweigern.

So lautstark wie wir uns gegen den Hass und die Diskriminierung gegenüber Muslimen in Europa erheben, genauso laut müssen wir der Diffamierung von Christen, Juden und anderen Lebensstilen in der Türkei widersprechen. Unabhängig davon wie Identitäten definiert wird, verbietet sich jede Form von Hierarchisierung. Diese Einstellung bildet das Fundament einer gleichberechtigten Gesellschaft und muss über der politischen Haltung, der Ideologie oder sonstiger Zugehörigkeiten stehen: Der Einsatz gegen Hass und Ausgrenzung ist ohne Alternative. Es ist an uns, der ausgrenzenden Empörung von „Gleichmachern“ und ihrem „Assimilationswahn“ mit Offenherzigkeit und Wertschätzung für unsere Vielfalt zu begegnen.

Empathiefähigkeit für gesellschaftlichen Zusammenhalt

Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist nicht einfach. Die größte Schwierigkeit besteht darin, sich von den Herausforderungen unserer Zeit nicht einschüchtern zu lassen und uns bei der Lösung von Konflikten auf Prinzipien zu besinnen, empathiefähig zu bleiben und zu erkennen, wie negativ sich Hass und Ausgrenzung auf die gesellschaftliche Integration und gleichberechtigte Teilhabe auswirken. Selbstkritisch müssen wir hinterfragen, welche Auswirkungen der Volkszorn als globales Phänomen auf Minderheiten entfaltet, warum wir uns von selbigem immer mehr vereinnahmen lassen und nicht gerade aufgrund seiner verheerenden Wirkung uns zur versöhnenden Empathie anstrengen. Nur solange wir diese Fragen ruhigen Gewissens beantworten können und nicht reflexhafter Ablehnung verfallen, erkennen wir in der Wahrung unserer Vielfalt den Schlüssel für die Stärkung unserer Zusammenhalts.

Der Text entstand als Beitrag für die türkische Zeitung Yeni Şafak, erschienen am 4. Januar 2017. Die Übersetzung ist durch den Autor weiter überarbeitet worden.

Leserkommentare

Manuel sagt:
Das Problem ist nur, wenn einige in den Minderheiten meinen ihre Ideologie würde über dem Staat stehen und auch noch meinen der Staat müsste sich ihren Vorstellungen und Dogmen anpassen, statt umgekehrt, dann gibt es ein Problem. Es muss auch klar sein, dass wir hier in Europa das mittelalterlich-islamische Lebensmodell und Frauenbild der Islamischen Welt nicht wollen und das haben auch Moslems zu akzeptieren und auch zu respektieren. Außerdem frage ich mich, wieso es eigentlich ständig in allen eurpäischen Ländern Probleme bei der Integration vorrangig bei Moslems gibt? Während man bei Buddhisten oder Hindus selten etwas hört, darüber sollte der Autor auch einmal nachdenken. Positiv ist jedoch, dass er auch die Unterdrückung der Minderheiten in den islamischen Ländern anspricht, danke dafür.
11.01.17
18:04
Johannes Disch sagt:
Grundsätzlich hat der Erdogan-Vertraute Yeneroglu Recht. Man sollte zwar nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, aber mit Sprache bedächtig und verantwortungsvoll umgehen. Es wäre aber angenehm-- und vor allem auch glaubwürdiger-- würde Herr Yeneroglu dieselbe Empathie und vor allem Selbstkritik an den Tag legen, wenn es um die aktuelle Politik der türkischen Regierung und des türkischen Präsidenten geht. Da ist Herr Yeneroglu leider alles andere als selbstkritisch, sondern agiert als Sprachrohr von Staatspräsident Erdogan. Das war bei mehreren Talkshow-Auftritten von Herrn Yeneroglu eindrucksvoll zu beobachten.
11.01.17
18:47
Holger Berger sagt:
Es ist sehr begrüßenswert, wenn sich türkische Politiker für Minderheitenschutz engagieren. Da werden erfreulicherweise auch die Rechte von Homosexuellen respektiert und gewürdigt. Homosexuelle verdienen einen besonderen Schutz, den jetzt auch islamiq.de mit Empathie und Sebstkritik deutlich herausstellt. Die Akzeptanz der Vielfalt an Lebensstilen und Identitäten wird nunmehr sogar in islamischen Ländern immer mehr eine Selbstverständlichkeit. All das ist Anlaß für große Hoffnung auf ein friedliches Miteinander.
11.01.17
21:23
Selcuk sagt:
Ich habe wirklich viiieeele Bekannte und Verwandte und niemand absolut niemand ist ein Separatist. Werder gegen Juden, Christen etc. Eine Sache möchte ich dazu sagen, unsere Jugend muss lernen, sich gut Ausbilden und ein normales Leben hier führen. Wer dies nicht macht, wird es nirgendwo schaffen. Dann kann er/sie in das eigene Land zurück. Aber ich sehe Fortschritte, viele bilden sich weiter. Je klüger der Kopf desto weniger Probleme.
12.01.17
18:56
Mads sagt:
Gemeint ist natürlich nicht die hasserfüllte Sprache von Muslimen, sondern die der bösen Deutschen, die sich anmaßen den Islam zu kritisieren. Aber schon Mohammed hatte Probleme damit, kritisiert zu werden. Kritik geduldig ertragen hat er nur, solange er machtlos war. Später ist er mit aller Härte gegen seine Kritiker vorgegangen.
16.01.17
10:57
Irene sagt:
Der Autor ist Milli-Görüs-Mann und AKP-Abgeordneter. Er braucht uns also nicht über die Sprache des Hasses zu belehren. Stattdessen sollte er vor der eigenen Haustüre kehren. AKP-Politiker sind nämlich Meister des hate speech, allen voran Erdogan. Aber auch über türkische Jungs auf deutschen Straßen gibt es einiges zu sagen. Sie legen nicht selten ein sehr aggressives Verhalten an den Tag.
16.01.17
11:02
Ali sagt:
Als in Deutschland geborener Mensch mit türkischem Migrationshintergrund kann ich Herrn Yeneroglu weitestgehend Recht geben. "Respekt" ist eines der wichtigsten Grundpfeiler, um in Harmonie mit den unterschiedlichsten Religionen und Kulturen, die wir nun einmal in Deutschland haben, zu leben. Ich habe Deutschland einiges zu verdanken. Ich habe hier Abitur gemacht, eine Berufsausbildung sowie ein Studium absolviert und bin voll berufstätig. Und ich muss zugeben: In den vergangenen 2 Jahren sehe ich immer mehr wie sehr in Deutschland die Türkei schlecht gemacht und dargestellt wird. Die Berichterstattung ist sehr einseitig, positive Dinge in der Türkei (und davon gibt es eine Menge) werden nicht aufgeführt. Stattdessen werden Halb-Wahrheiten gezeigt und provoziert, obwohl die Türkei an sich den Deutschen nichts getan hat: - PKK-Problematik: In dt. Verfassungsdokumenten wird eindeutig auf diese extremistische und terroristische Vereinigung hingewiesen. Die Anschläge in der Türkei sind bekannt. Und dennoch unterstützt Deutschland diese Terrorgruppe, direkt und indirekt. So gibt es lt. Verfassungsbericht über 100 PKK-nahe Vereine, Geldzuwendungen werden in diese Region problemlos überwiesen usw. --> Sorry, aber Freundschaft zu einem Land wie Türkei sieht anders aus. - Böhmermann-Gedicht: Das hat mit Kunst und Meinungsfreiheit überhaupt nichts zu tun. Das ist pure Provokation und Beleidigung. Weswegen sonst wurde in den Medien der Text weitestgehend entfernt. Viele dt. Bürger wissen nicht einmal was genau drin steht. Wenn anstatt "Erdogan" der Name "Netanjahu" stehen würde, wäre der Böhmermann schon längst seinen Job los und wäre als höchster Antisemit agbestempelt. Vieles wäre in DE anders, gäbe es eine Partei-Lobby für die Türkei. Die Kurden (z.T. auch die PKK) hat eine Lobby bei den Grünen und Linken gefunden. Nicht umsonst gibt es hier kurdisch-stämmige Politiker, die die Taten der PKK verteidigen bzw. rhetorisch so darstellen, als wäre die Türkei Schuld. Ich bin in zwei Ländern beheimatet und warum soll ich mich für genau eins entscheiden?! Um den Kreis zu schließen: Respektiere jeden, der dich respektiert. Darauf aufbauend bilden sich konstruktive Beziehungen; Ansonsten spaltet sich die Gesellschaft immer mehr.
17.01.17
12:32
Johannes Disch sagt:
@Ali -- Zu Böhmermann: Was bei uns Kunst und Meinungsfreiheit ist, das entscheiden wir und nicht der türkische Präsident. -- Zur PKK: Es ist kein Wunder, dass die Kurden wieder zu aggressiven Mitteln greifen, da die Türkei eine politisch-parlamentarische Lösung unmöglich macht. Siehe Verfolgung der kurdischen Partei und ihrer Abgeordneten. Erdogan hat sich leider gewandelt von einem, der den Friedensprozess mit den Kurden anstrebte zu einem zunehmend autoritär agierenden Präsidenten. -- Das Vorgehen Erdogans gegen jegliche demokratische Opposition-- kritische Presse, etc.-- entspricht nicht den Werten der EU und des Westens. -- Das türkische Parlament stimmt offenbar einer Verfassungsänderung zu hin zu einem Präsidialsystem und entmachtet sich somit selbst. Die Türkei hat inzwischen Probleme an mehreren Fronten: IS, Flüchtlinge, PKK, Kurdenfrage.... Und mit seinem Hardliner-Kurs wird Erdogan diese Probleme nicht lösen. Es ist richtig, dass die Berichterstattung über die Türkei bei uns inzwischen weitestgehend negativ ist. Daran hat die Türkei aber auch einen gehörigen Anteil.
18.01.17
14:44
portago sagt:
@Ali Was ich feststelle - sowohl in Ihrem Kommentar als auch in dem von Herrn Yeneroglu - ist eine zunehmende Dauerbefindlichkeit speziell islamischer Mitbürger. Ich will hier nicht auf den Klage-Hohn von Herrn Yeneroglu eingehen, der die deutschen Verfassungsorgane verantwortlich macht, weil sie seine gehobene Stellung in Milli Görüs beäugt haben. Darauf will ich nicht eingehen - es darf sich ein jeder bei Google, Wikipedia etc ein Bild machen, wie es um das demokratische Selbstverständnis und Frauenbild von Milli Görüs steht. Was Böhmermann betrifft, sehe ich es genau so, wie Johannes Disch es schreibt. Da hat Herr Erdogan die Fr.. zu halten - zumal er sich erdreistet, Deutsche, die ihn mit Milliarden über Milliarden füttern, als Köterrasse und Nazis zu bezeichnen! Letzteres ist er selbst in Reinkultur. In früheren Zeiten - ohne den Schuldkomplex einer Dritte Reich-Hinterlassenschaft - hätte die stärkste Nation eines Kontinents diesen Großmacht-Darsteller auf die Größe seines Bruttosozialprodukts eingedampft! Was mir gerade bei Herrn Yeneroglu - der ja stets mit seiner Heimat in beiden Kulturen kokettiert - nicht einleuchtet, ist die Nichtbeantwortung seiner Haltung, wieso der türkische Präsident mehr Macht braucht - und wieso zur Erlangung dieser Macht türkische politiker hier aggressiv eine Plattform fordern.
28.03.17
13:37
portago sagt:
Ich habe da noch einige Fragen an Herrn Yeneroglu in der Funktion seiner Dauerbelegung deutscher Talkshows. Diese Fragen würden sich nicht ergeben, wenn heutige Doppelpass-Türken hier ihre Lebenserfüllung ebenso leben würden wie die Erste Generation, die hier her kam, sich durch Fleiß einen in der Türkei damals nicht vorstellbaren Lebensstandard leisten konnte und in Dankbarkeit mit seinem Gastland verwoben blieb. Ich gehe sehr viel mit Menschen um - ich habe einen höchst sozialen Beruf - und ich weiß, wie diese Erste Generation tickt. Die freute sich damals, dieses Glückslos gezogen zu haben - und terrorisierte ein kulturell völlig anderes Land nicht mit Kopftüchern und dem dreisten Bau einer Moschee an jeder Straßenkreuzung. Rede ich heute mit solchen Menschen, die heute 75-80 Jahre alt sind, dann spüre ich sehr oft die privat tief gläubige, aber in staatlichen Belangen doch laizistisch geprägte Denkweise. Deren Leitbild ist nicht Erdogan, sondern war Kemal Mustafa Ataturk. Ein alter Mann von 82 Jahren hatte letztens Tränen in den Augen, als ich ihn salopp mal auf die Auslands-Wahlmandate Erdogans ansprach - und sagte: "Ich habe mein Leben hier verbracht - ich will das nicht". Er gab mir ein Stück Ehrfurcht vor diesem freundlichen Volk wieder, das im Moment durch einen Hetzer, den Sahra Wagenknecht punktgenau bezeichnet hat, zu Nichte gemacht zu werden droht.
28.03.17
13:53
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