Europaweit verbuchen rechtspopulistische Parteien, wie die AfD, Front National und FPÖ beängstigende Erfolge. Prof. Reinhard Heinisch nennt im Interview unter anderem ihr Organisationstalent, die Ansprache von populären Ängsten und ihre Anpassungsfähigkeit zu den Gründen des Anstiegs rechtspopulistischer Wählerstimmen.
IslamiQ: „Das arme Volk gegen korrupte Eliten“. Auf dieser dichotomen Ideologie beruhte der Populismus. Angesichts der wachsenden islam- und fremdenfeindlichen Agenda rechtspopulistischen Parteien scheint sich diese Dichotomie geändert zu haben. Warum?
Prof. Reinhard Heinisch: Das sehe ich überhaupt nicht so. Der Populismus baut dichotome Gegensätze auf, wobei die betroffenen beiden Gruppen wandlungsfähig sind – die jeweilige Outgroup können politische Eliten, Medien, Brüsseler Bürokraten, Einwanderer und Nichtmuslime usw. sein. Im Gegensatz zu rechtsdogmatischen Parteien, sind populistische Parteien opportunistisch – sie greifen jene Themen auf, die populär sind und wo Stimmen zu holen sind und können dafür auch Feindbilder wechseln.
Die FPÖ was lange Zeit antisemitisch und eher pro-arabisch – Haider war mit Gaddafi befreundet, führende FPÖ-Funktionäre waren Vorsitzende der österreichisch-arabischen Gesellschaft. Haider flog ja sogar zu Saddam Hussein um 2002 zu vermitteln. Heute fliegt FPÖ-Chef Strache einmal im Jahr nach Jerusalem, um zu zeigen: Wir sind nicht mehr antisemitisch und der Islam ist der gemeinsame Gegner. Bis Anfang der 90er Jahre war die FPÖ betont antiklerikal, heute stilisiert sie sich als Verteidigerin des christlichen Abendlandes. Aufgrund verschiedener Faktoren ist Türkei/Islambashing heute populär (s. Sarrazin, Pegida). Das heißt nicht, dass die FPÖ als Rechtspartei jemals besonders islamophil wäre, aber die starke Islamkritik gibt es erst seit Mitte der 2000er Jahre, türkische und bosnische Immigranten seit Jahrzehnten. Vorher war die FPÖ natürlich auch gegen Ausländer, aber weniger wegen der Religion sondern aus ethnokratischen, rassistischen oder kulturellen Gründen.
IslamiQ: Die rechtspopulistischen Parteien profitieren von der Flüchtlingskrise, da sie durch Hetze gegen Flüchtlinge immer mehr Zuspruch erhalten. Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte nehmen zu, Islamfeindlichkeit wird salonfähiger. Aber auf der anderen Seite gibt es eine hilfsbereite Zivilgesellschaft, die sich für die Flüchtlinge einsetzt. Ist das ein Paradox?
Heinisch: Beides bedingt sich: Auf der einen Seite kommen viele Menschen mit den Veränderungen nicht klar, reagieren verunsichert und aggressiv, fühlen sich nicht verstanden während auf der anderen Seite die Menschen konträr reagieren, was bei den ersteren noch mehr Verunsicherung erzeugt usw. Daher sind die Gesellschaften polarisiert zwischen Stadt/Land, Männer/Frauen, Alt/Jung, Arbeiter/höhere Bildung. Die Veränderungen und vermeintlichen oder tatsächlichen Bedrohungen treffen Menschen unterschiedlich. Für viele Arbeiter und Personen geringer Bildung sind Flüchtlinge Jobkonkurrenten, Wohlfahrtsstaatskonkurrenten – für Universitätsprofessoren nicht. Andere sorgen sich um die Sicherheit (ältere Menschen), Eltern um die Qualität der Schulen.
Generell reagieren die meisten Menschen auf Veränderung nicht positiv, und Veränderungen in ihrem Lebensalltag müssen verarbeitet werden – Bildungsschichten und Städter die diversere Umgebungen gewohnt sind, haben Strategien wie sie mit Menschen umgehen, deren Kultur anders ist. Die Rational Choice Theorie geht z.B. davon aus, dass Menschen am ehesten anderen Menschen vertrauen, die einem sehr ähnlich sind – das scheint kulturell vorprogrammiert zu sein. Wenn jemand so scheint wie ich, agiert der auch so wie ich – daher ist das Vertrauensniveau etwa in einem Dorf größer als in der Stadt. Wenn nun Menschen zuziehen, die anders aussehen, sich anders kleiden, andere Sitten haben, anders sprechen, sinkt das Vertrauensniveau und Menschen mit schlechteren Coping Mechanismen reagieren mit Aggression oder Gewalt, es sei denn es gibt Möglichkeiten, Gegenstrategien zu entwickeln.
IslamiQ: Nicht nur „Verlierer“ der Gesellschaft neigen zu populistischen Parteien, sondern auch gut gebildete Menschen. Warum?
Heinisch: Es sind nicht wirklich die Verlierer, also nicht die Armen und an den Rand gedrängten, sondern sie die sich davor fürchten, irgendwann einmal absteigen zu können. Es sind Leute die noch „oben“ sind oder nicht ganz unten sind, aber Angst vor einem Abstieg haben, und zwar sind es genau die, die noch wissen, wie es „unten“ aussieht. Also eher die an sich privilegierten Facharbeiter, der untere Mittelstand, die kleinen Unternehmer und Geschäftsleute, die sich durch Globalisierung und Verteilungskämpfe bedroht sehen.
IslamiQ: Denken Sie, dass eine rechtspopulistische Partei in Westeuropa die absolute Mehrheit in den Wahlen erhalten kann?
Heinisch: Ja natürlich, da könnte z.B. in Frankreich im nächsten Jahr passieren – ich gehe jedoch davon aus, dass Marie Le Pen nur die erste, aber nicht die 2. Runde gewinnen wird. Dass absolute Mehrheiten schwierig zu erreichen sind, liegt jedoch an der Natur des Mehrparteiensystems und weniger um Unvermögen des Populismus.
IslamiQ: Europäische populistische Parteien haben länderübergreifend viele Gemeinsamkeiten. Wenn man die Diskurse dieser Parteien betrachtet, nimmt dort auch eine ziemlich problematische Türkeipolitik ihren Platz ein. Weshalb ist das so?
Heinisch: Weil die Türkei derzeit ein Regime hat, das man aus guten Gründen kritisieren kann, das aber dennoch populär zu sein scheint und Wahlen gewinnt. Das entspricht nicht dem üblichen Muster „böser Diktator – gutes/armes Volk“ und da dies nicht einleuchtet, müsste man sich mit den Hintergründen auseinandersetzen, und dabei sehen sich Europäer mit dem Umstand konfrontiert, dass andere die Dinge eben anders sehen als Europäer – tatsächlich meinen ja Europäer gerne, dass die Welt die Dinge so sieht wie Europa. Als Amerikaner belustigt mich das immer, wie Europäer davon überzeugt sind, sie würden quasi die typische Menschheit repräsentieren. Da die Türkei noch dazu vermag, Türken in Deutschland und Österreich so für sich zu mobilisieren, verstört erst recht – man kann dann ja nicht mehr sagen: „die dort unten wurden eben einer Gehirnwäsche unterzogen“. Aber bei Türken in Mitteleuropa passiert diese Solidarisierung eben aus Überzeugung, und die ist dann eben so ganz anders als die eigene deutsche oder österreichische Überzeugung.
IslamiQ: Wie wird eine Gesellschaft immun gegen Rechtspopulismus?
Heinisch: Patentrezepte kenne ich nicht. In Belgien hat Ausgrenzung (Cordon sanitaire) erfolgreich funktioniert. In Österreich, die Umarmung der FPÖ. Im Prinzip sind populistische Parteien erfolgreich, weil sie sich gut organisieren, überall präsent sind, auf Menschen zugehen, ihre Basis nicht ignorieren, in den sozialen Meiden präsent sind, Jugendarbeit machen – eben die klassische Parteiarbeit, die meisten anderen Parteien längst verlernt haben. Denen geht es oft nur darum Posten im Staat zu besetzen (Kartellparteientheorie). Bei den Sozialdemokraten sind die meisten Kader heute Kinder von früheren Funktionären, die jedoch inzwischen längst zur städtischen Bildungsschicht gehören. Ein Schlosser hat heute z.B. kaum eine Chance auf eine Parteikarriere. Politiker/Funktionäre müssen sich den Wählern stellen, immer wieder mit Leuten in Kontakt treten, auch zwischen den Wahlen, es bedarf authentischer und gut rekrutierter Kandidaten, die sowohl Kompetenz und Einfühlungsvermögen signalisieren können und anders wirken als Berufspolitiker.
IslamiQ: Ein populistischer Diskurs herrscht nicht nur in der Mehrheitsgesellschaft. Auch in den eigenen Reihen der Minderheiten in Europa kann man die Unterstützung populistischer Strömungen in ihren Herkunftsländern feststellen. Wieso ist das so?
Heinisch: Weil Populismus überall gut funktioniert und anpassungsfähig ist. Wie jede Ideologie liefert er mir eine Erklärung, warum was falsch läuft (meine Gruppe kommt zu kurz), dann wer schuld ist (böse Eliten, Ausländer…), und was zu tun ist (werft sie raus, Grenzen dicht, sperrt sie ein….). Außerdem lässt sich ein vereinfachtes gut-böse Script in den sozialen Medien leichter darstellen, somit bietet der populistische Diskurs auf dem Wählermarkt bestimmte Vorteile, deren sich auch Minderheiten bedienen.