Zivilcourage

Die „schweigende Masse“ ist aufgestanden

Bloggerin Mervy Kay wurde in einer Straßenbahn von einer unbekannten Frau verbal angegriffen. Doch zu ihrer Verwunderung stehen sieben fremde Menschen auf und nehmen sie in Schutz. Auf ihrem Blog berichtet sie darüber.

19
01
2017
Primamuslima © Bloggerin MervyKay

IslamiQ veröffentlicht im Wortlaut.

An einem normalen Tag hätte ich einfach weggehört, wenn jemand mich als Bombenlegerin bezeichnen würde. Ich hätte das ignoriert. Verdrängt.

Gerade in öffentlichen Verkehrsmitteln werde ich so oft von fremden Menschen angepöbelt, da kann man eben nicht jedes Mal drauf eingehen. Kämpfen. Alleine kämpfen. Denn so sieht es meistens aus. Wenn man sich wehrt, provoziert man den Pöbler und alle anderen Menschen sitzen da und schauen aus dem Fenster raus oder noch schlimmer: Glotzen!

Und im echten Leben, gibt es auch keine „Blockier“-Funktion, falls es einem so ganz alleine mit einem unbeirrbaren Islamhasser dann doch zu viel wird.

Gestern war aber alles anders als sonst. Ich stieg um 8 Uhr herum aus der S6 an der Haltestelle Schwabstraße in Stuttgart aus, um in meine nächste Bahn zur Uni umzusteigen. Wegen einer Streckensperrung in Feuerbach war ich sowieso schon verspätet.

Dann die Durchsage: Nochmal 15 min. Verspätung.

Dann diese Frau: „Bombenlegerin.“.

„Weghören!“, dachte ich erst und einen Moment später: „Nein, nicht heute!“ und schon waren die Worte aus meinem Mund: „Entschuldigung, sprechen Sie mit mir?“

Ich habe es sofort bereut. Die Frau hat meine Frage nämlich natürlich zum Anlass genommen zu glauben, ich würde gerne den Sündenbock für sie spielen.

Sie hat angefangen mir zu erklären, dass ich sehr wohl gemeint sei. Wer solle sonst gemeint sein. Ich wäre doch die Einzige dort, die ein Kopftuch trägt. Sie hat mich aufgefordert mein Kopftuch abzulegen. Sie hat mich gefragt, warum ich hier hergekommen bin. Warum wir alle hier herkämen. Mir unterstellt ich würde Deutschland zerstören wollen. Das wären meine Leute gewesen in Berlin. Wir würden Deutschland kaputt machen. 90 % der Muslime würden von Hartz IV leben. Die Deutschen würden die Muslime durchfüttern, nicht Allah. Sie wollte von mir wissen, wo mein Allah sei. Warum er mir nicht Hartz IV gibt. Und so weiter.

Mir tut das weh. Auch wenn ich so eine Person niemals ernst nehmen würde, taten mir ihre Worte sehr weh. Es tut weh, weil ich weiß, dass sehr, sehr viele Menschen so denken. Deutschland ist meine Heimat. Die Leute werden nie verstehen, dass ich keine andere Heimat habe. So lange ich dieses Kopftuch trage, bin ich eine Terroristenunterstützerin für sie. Mehr bin ich in den Augen solcher Menschen nicht.

Jedes Mal wenn irgendetwas Schlimmes passiert, dass auch nur annähernd etwas mit dem Islam zu tun hat, müssen wir muslimischen Frauen den Kopf dafür hinhalten. Unser Kopftuch ist für sie ein offenes islamisches Glaubensbekenntnis oder vielleicht sogar eine Kriegserklärung. Auf jeden Fall macht es uns immer wieder zur Zielscheibe für Hass und noch öfter für Ausgrenzung.

Aber diesmal ist etwas Unglaubliches passiert: Ich war nicht allein! Es ist etwas Unglaubliches passiert! Es haben sich wirklich Menschen eingemischt. Nicht eine Person, sondern alle. Alle Leute, die dort standen haben sich eingemischt. Soweit ich gesehen habe standen und saßen da sieben Menschen unmittelbar um uns herum und jeder von ihnen ist aktiv geworden.

Ich glaube nicht, dass diese Leute etwas miteinander zu tun hatten. Ich glaube, dass sie alle einfach auf die Bahn gewartet haben. Aber sie hatten alle eine Gemeinsamkeit, die sie verbunden hat. Jeder einzelne von ihnen hatte wahrscheinlich die Nase voll davon, das Feld solchen Leuten, wie dieser Frau zu überlassen. Sie sagten der Frau, sie könne jetzt doch nicht mich beschimpfen und verantwortlich machen für das alles. Sie verteidigten mich. Völlig fremde Menschen standen für mich ein!

Ein junger Mann, der vorher Kopfhörer an hatte, hat die sogar abgenommen, um zu verstehen was da gerade passiert. Er wirkte zuerst so, als wäre er genauso verwirrt, wie ich. Währenddessen versuchte die Frau, die anderen auf ihre Seite zu ziehen mit Argumenten wie „Aber die Muslime wollen uns doch alle töten!“

Doch es klappte nicht! Es klappte gar nicht. Und der Mann mit den Kopfhörern sagte für mich in diesem Moment genau den allerentscheidendsten Satz: „Nein, die Leute, die so etwas tun, sind genau solche Leute, wie Sie!“ und er zeigte auf die pöbelnde Frau, als er das sagte.

Dieser Satz ist so wahr. Es geht nicht um „uns“ und um „euch“, die Muslime und die Nichtmuslime. Es gibt dieses „uns“ und „ihr“ nicht. Es gibt nur die Menschen, die einteilen, die diese Mauern sehen und differenzieren, die hassen und die verallgemeinern. Und es gibt die, die keine Lust auf so etwas haben.

Heute ist für mich die „schweigende Masse“ aufgestanden. Das war unglaublich. Ich habe mich nicht einmal bedankt. Es ging alles so schnell, ich stand unter Schock und ich habe es einfach vergessen!

Wahrscheinlich werde ich diese Leute auch nie wieder sehen und wenn, würde ich sie nicht erkennen. Aber das ist nicht schlimm. Ich möchte mich nämlich hier allgemein an allen Menschen bedanken, die nicht zu den Hassenden gehören. Und ich möchte mich bei allen Menschen bedanken, die nicht mehr die „schweigende Masse“ sind. Ich merke einfach, dass sich derzeit etwas verändert. Wir sind in einer Umbruchphase: Menschen sind plötzlich bereit aufzustehen und den Mund aufzumachen.

Und das ist so großartig. Ich hatte das so sehr vermisst. Wo sind diese Leute die letzten Jahre nur gewesen?

Als ich gestern diesen Tweet geschrieben habe, weil mich das alles so berührt hat, habe ich gemerkt, dass ich nicht die einzige bin, die dieses Gefühl vermisst hat. Das Gefühl, dass wir nicht alleine sind. Wir, die sich den Hass einfach nicht aneignen wollen.

Der Tweet ist viral gegangen. Und natürlich kamen auch Trolle, die mich nerven und runterziehen wollten. Die mir dieses neue und großartige Gefühl, dass alles gut werden wird, wieder wegnehmen wollten. Trolle die einfach so behaupten dieses Erlebnis wäre gelogen, ich würde mich nur als Opfer darstellen wollen und nur PR für den Islam machen, die sogar bewirkt haben, dass ich kurzzeitig von Twitter gesperrt wurde usw. – ich weiß, das alles ergibt keinen Sinn. Glaubt mir, ich verstehe es auch nicht.

Aber das ist auch egal. Wichtig ist: Es war wieder so, wie an der S-Bahnhaltestelle. Es gab wieder unzählige Leute, die aufgestanden sind, die mich unterstützt und verteidigt haben auf Twitter. Völlig fremde Menschen, die mich überhaupt nicht kennen haben mich verteidigt, weil sie einfach keinen Lust mehr haben auf den Hass!

Danke an alle, die mir gestern so viel Mut geschenkt haben!

Ich bin so glücklich, über jeden Menschen, der das wesentliche noch nicht aus den Augen verloren hat und ich möchte dieses Gefühl hier weitergeben und ein bisschen Mut in die Welt streuen, öfter den Mund aufzumachen.

Wir sind nicht allein!

Leserkommentare

grege sagt:
Wie sieht es eigentlich aus mit der schweigenden Masse unter Muslimen gegen Extremismus?
27.01.17
23:40
Kritika sagt:
L.S. Sicher, die Bemerkung einer Frau "Bombenlegering" war erstens sachlich falsch und wohl als Kränkung gedacht also ohne Weiteres verwerflich. Allerdings: die Mervy Kay sagt "Unser Kopftuch ist für sie ein offenes islamisches Glaubensbekenntnis". Ja, was sonnst soll es denn sein, ein Schutz gegen den Zug im Zug? Natürlich soll es ein WerbeBanner für den von der übergrossen Mehrheit gefürchteten Islam sein. Das Mervy Kay viele Menschen belästigt, in dem die ihr gegenüber ständig auf eine Kopftuchfrau schauen müssen, weil kein freier Sitz zum Wechseln mehr da ist, das stört Mervy Kay offensichtlich nicht. Mervy Kay hat mit ihrem provokanten Kopftuch - obwohl sie über die breite Ablehnung von Kopftuch und Islam in Deutschland wissen musss - Wind gesäht, und Sturm geerntet. Vielleicht versucht sie es einmal normal gekleidet in der U-Bahn zu reisen. Sie wird dann keine der geschilderten negativen Erfahrungen mehr erleben, und kann sich immer noch als Moslim fühlen. Und sie kann auf dieser Weise die Deutsche Bevölkerung danken, die Mervy Kay und viele andere Fremden aufgenommen haben und als Dank dafür mit diesen 2% Moslims soviel trouble erleben, dass viele meinen, wir hätten bereits 20% Mohammedaner hier. "Being in Rome, do what the Romans do" Viel Erfolg beim Versuch, in dem Land, das Sie aufgenommen hat, nicht ständig zu provozieren und anzuecken, liebe Mervy Kay. Gruss, Kritika
28.01.17
2:00
Mohammad Al-Faruqi sagt:
@ Kritika Das von Ihnen in Ihrem Beitrag verwendete geflügelte Wort im korrekten, englischen Original lautet: “When in Rome, do as the Romans do!” und ist ein Ausspruch, der Ambrosius, den Bischof von Mailand im 4. Jh., zugeschrieben wird. Der Hintergrund zu dieser Aussage ist religiöser Natur und folgender: Als Augustinus als erfolgreicher Professor für Rhetorik nach Mailand kam, stellt er fest, dass die dortige Kirchengemeinschaft im Gegensatz zur Kirchengemeinschaft in Rom an den Samstagen in der Woche nicht fastete. Etwas verwirrt wendete sich Ambrosius an den Bischof von Mailand und fragte diesen um Rat. Dieser antwortete:"Wenn ich in Rom bin, faste ich am Samstag, und wenn ich in Mailand bin faste ich nicht. Folge an dem Ort, wo du bist, der Sitte der dortigen Kirchengemeinschaft". Bei der von Ihnen bemühten Aussage geht es eindeutig um das religiöse Verhalten von praktizierenden Christen in unterschiedlichen, örtlichen Kontexten. Insofern ist Ihre von historischen Zusammenhängen vollkommen losgelöste, und von großen Unwissen gekennzeichnete Aufforderung an Frau Kay, sich anzupassen, vollkommen sinnfrei und deplatziert. Bei Frau Kay handelt es sich ja eindeutig um eine Muslima und nicht um eine Christin, die den religiösen, in diesem Fall christlichen, Geboten ihrer Umgebung überhaupt nicht Folge leisten muss. Wie heißt es so schön: Aller Rätsel Lösung liegt im Kontext.
01.02.17
16:10
Johannes Disch sagt:
@grege Wie es mit der schweigenden Masse unter den Muslimen gegen Extremismus aussieht?? Die schweigen nicht, sondern erheben ihre Stimme gegen den Mißbrauch ihrer Religion. Wer das aber nicht mitbekommen will, der bekommt es eben auch nicht mit und pflegt damit das Stereotyp einer angeblich schweigenden muslimischen Masse zum Extremismus.
06.02.17
9:27
Johannes Disch sagt:
@Kritika Ihre Bemerkungen sind sachlich falsch. Und sie sind nicht nur fachlich falsch, sondern rassistisch. Eine Muslimin, die ein Kopftuch trägt, provoziert nicht. Sie darf das tragen. Unsere Rechts- und Werteordnung deckt das.
06.02.17
9:32
Catherine sagt:
@Kritika: Sie nutzen offensichtlich selten den ÖPNV. Sonst wüssten Sie, dass man dort täglich wesentlich schlimmeren optischen Zumutungen als einem muslimischem Kopftuch (wenn man dies denn so sehen möchte) ausgesetzt ist. @Muhammad Al-Faruqi: Vielen Dank für diese interessante Information.
07.02.17
15:20
Kritika sagt:
L.S. an Mohammad Al-Faruqi und alle andere Leser. OK, Herr Al-Faruqi, so wie Sie hat Kritika natürlich auch die entstehungs Überlieferung gelesen: Si fueris Rōmae, Rōmānō vīvitō mōre; si fueris alibī, vīvitō sīcut ibī ‎(“if you should be in Rome, live in the Roman manner; if you should be elsewhere, live as they do there”) Die Fransösische Version lautet so: à Rome, on fait comme les Romains Il faut se plier aux règles de l’endroit où l'on se trouve. Die Regel hat sich offensichtlich verselbständigt, sie ist eine generell empfelenswerte BenimmEmpfehlung für Fremde geworden. Falls Sie der Meinung sind, sie gilt nur für Christen, und nicht für Mosleme, die Erklärungen aus Wikipedia, Wiktionary könnten Sie aufklären. Die alte Weisheit gilt heute sehr wohl auch für Frau Mervy Kay. Kritika wünscht ihr dass sie sich noch eimal überlegt, ob nicht die Aversion gegen den Islam nicht auch vom provokanten Vorgehen der Koptuchfrauen gefördert wird. Gruss, Kritika
26.02.17
0:15
Kritika sagt:
An Herr Disch und alle andere Leser. Unsere Rechtsordnung deckt nicht nur das Tragen eines MoslimKoptuchs sondern - hoffentlich nicht mehr lange - sogar das Tragen von Burka und Burkini. Und, als vor einiger Zeit eine Parlamentarierin im Dresdner Landtag in Burka erschien war die Wertung Land auf und Land ab "das ist eine Provokation". Wieso eigentlich, wenn es doch gesezlich erlaubt war? Nicht nur Handlungen, die gesetzlich verboten sind, sind frei von Provokation. Mit der Akzeptanz der fremden Gruppe der Moslime in Deutschland und anderswo in Europa wäre es wesentlich besser gestellt, wenn die MoslimGruppe nicht ständig provozieren würde u.A. mit Kopftuch, mit Burkini. Kritika meint, ohne Islam wäre die Welt eine weitaus friedlichere. Gruss, Kritika
26.02.17
0:32
Kritika sagt:
An Catherine und alle andere Leser. Kritika besitzt eine ÖVP-Netzkarte, lässt das Auto stehen und fährt am Liebsten Srassenbahn. Alle Mitfahrer sitzen und stehen friedlich, auch die aufgenommenen Flüchtlinge, die sich durch ihre Hautfarbe als Fremde zu kennen geben. Diese Gruppe ist in unseren Strassenbahnen besonders höflich und steht als erste auf für Behinderte- oder alte Menschen. Kritika, besser Englisch als Deutsch sprechend, fängt gerne einen kurzen Smalltalk mit einen Fremden an, diese freuen sich immer über diese kleine Anerkennung. Sicher, diese Menschen sind meist nicht modisch gekleidet, tragen z.B. keine Nike Schuhe. Finden Sie das eine Zumutung, Catherine? Die Wenigen, die das Strassenbahn-Idyl masssiv stören sind die KopftuchFrauen. Diese werben für eine Religion, in deren Namen tausende Menschen ermordet wurden und noch viel mehr ihre Heimnat verloren. Nein, Catherine, abstossender als die KopftuchFrauen ist niemand in unserer ÖVP. Gruss, Kritika
26.02.17
1:07
Kritika sagt:
An Herrn Disch und andere Leser. So Ihre Aussage über Kritikas Beitrag. Als "MoslemFlüsterer" gefällt Ihnen der Beitrag natürlich nicht, die Wahrheit gefällt eben nicht allen Menschen. Aber warum erwähnen Sie nicht, was da sachlich falsch sein soll? Wieso halten Sie es für rassistisch, darauf hinzuweisen, dass mehr als die Hälfte der Deutschen das Koptuch ablehnt, von Burkini/Burka einmal zu schweigen, und Kritika deshalb den Kopftuchfrauen rät damit nicht zu provozieren? Bekommt Kritika von Ihnen nun auch das Siegel Masochist/in? Könnte es sein, dass Sie, Herr Disch, den ahnungslosen, oft ungebildeten, und analfabetischen, neu eingeströmten MoslemFrauen sogar ermutigen sich so zu verhalten, dass die Aversion gegen Moslems ehrer zunimmt, indem diese in der Öffentlichkeit für eine zurecht als Bedrohung empfundene Idiologie werben? Gruss, Kritika
27.02.17
23:07