Vergangene Woche demonstrierten über 4000 ÖsterreicherInnen für mehr Selbstbestimmung der Muslime, vor allem der muslimischen Frau. Vor Ort war auch die Initiative „Dokustelle Muslime“, die für IslamiQ die aktuelle Lage der Muslime in Österreich bewertet.
Am Montag den 30.01.2017 präsentierte die österreichische Regierung ihr Arbeitsprogramm für das Jahr 2017/18 unter dem Namen „Für Österreich“. Das Programm beinhaltet etliche Punkte über Arbeit, Bildung oder Integration. Unter dem Titel „Integration & Sicherheit“ werden Themen wie Vollverschleierung, die Neutralitätseinhaltung in bestimmten Berufen und Asyl-Angelegenheiten behandelt. Allein, dass Integration und Sicherheit unter einer gemeinsamen Überschrift abgehandelt werden, impliziert eine bestimmte Positionierung der Regierung gegenüber der „Integration“. Ebenfalls ist rational unerklärlich, warum Themen der Vollverschleierung und Neutralität zu einem Integrationsthema gemacht werden, da dieser Diskurs vom Vollverschleierungsverbot und Neutralitätsgebot folglich auch betroffene österreichische Mitbürgerinnen zu „noch-zu-integrierenden“ Menschen macht und Ihnen ihre Zugehörigkeit zu Österreich abschreibt.
Nach all den Jahren – der Islam ist bereits über 100 Jahren in Österreich anerkannt – über die religiöse Praxis in der Öffentlichkeit zu diskutieren, trifft Muslime wie ein Schlag ins Gesicht .“Der Staat ist verpflichtet, weltanschaulich und religiös neutral aufzutreten. In den jeweiligen Ressorts wird bei uniformierten ExekutivbeamtInnen sowie RichterInnen und StaatsanwältInnen darauf geachtet, dass bei Ausübung des Dienstes dieses Neutralitätsgebot gewahrt wird.“ So heißt der genaue Wortlaut und man stellt sich die Frage: Wie kann man weltanschaulich und religiös neutral auftreten? Was überhaupt heißt Neutralität? Warum wird durch den persönlichen Glauben einer Person die Neutralität eines Staates gefährdet, wenn dieser in der Berufsausübung sowieso jederzeit den Berufsanforderungen Folge leisten muss. Das Handeln einer Person wird allein durch das Tragen von religiös induzierten Merkmalen in Frage gestellt und von einer Befangenheit der Person ausgegangen, das nicht weiter als einer Bevormundung des Staates gegenüber Einzelpersonen gleich kommt.
Das veranlasste ca. 4000 Menschen vergangene Woche auf die Straße zu gehen. Die Veranstaltung wurde unter dem Motto #MuslimBanAustria, in Anlehnung an die Ereignisse in Amerika und die „Vertrumpisierung“ von jungen engagierten Frauen initiiert. Die Veranstalterinnen wie die Dokumentationsstelle für Muslime in Österreich, Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft und Jugendrat der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich brachten mithilfe freiwilliger Unterstützerinnen und Unterstützer binnen weniger Tage ein Großevent auf die Beine.
Die Botschaft war klar: Hier geht es um das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Dies inkludiert ihr individuelles Recht zu entscheiden, was sie anzieht oder auch nicht – ohne dafür diskriminiert und ausgegrenzt zu werden. Starke Frauen und Männer, unabhängig ihrer Herkunft, ihres Alters, ihrer Religion solidarisierten und versammelten sich. Bevor der Marsch losging, sprachen zum Auftakt die Organisatorinnen Elif Öztürk, Deniz Eroğlu Koc und Gözde Taşkaya über die Gründe, die Bedeutung und das Anliegen der Veranstaltung. Weitere Rednerinnen waren die Aktivistin Karin Wilflingseder, die amerikanisch-feministische Aktivistin Elizabeth Brezovich, die bekannte österreichische Feministin und Autorin Petra Unger. Ein künstlerisch starker Beitrag wurde von der Dr. Katrin Masume Brezansky-Günes vorgetragen. Dabei wurde deutlich, dass jene Frauen, die dort standen, es satt hatten von weißen Männern aus der Regierung bevormundet zu werden und dass über ihren Körper versucht wird Politik zu machen.
Gegen 15 Uhr ging der Marsch los. Die Frauen führten die Demonstration an, Männer konnten sich aus Solidarität hinten anschließen. Slogans wie ‚Hey Minister, Hands off my Sister’, ‚My Voice, My Choice‘ und ‘Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Freiheit raubt’ wurden laut. Die ganze Bewegung wurde unter dem Slogan ‚mein Körper, mein Recht, mein Recht auf Selbstbestimmung‘ tituliert und setzte ein deutliches Zeichen gegen die Koalition, die hauptsächlich von männlichen Politikern dominiert wird.
Gegen 16 Uhr versammelten sich die DemonstrantInnen vor dem Integrationsministerium am Minoritenplatz, wo dann die Abschlusskundgebung folgte. Dr. Ishrag Mustafa, eine Geflohene aus Afghanistan und die Frauenbeauftragte der Islamischen Gemeinschaft Österreich Amina Baghajati kamen zu Wort. Ein weiterer Spoken Word Beitrag folgte von der Artistin SueMi. Auch der Brief einer Niqab-Trägerin wurde vorgelesen. Die Konvertitin beklagte die Hetze und zeigte sich geschockt, dass „Österreich offensichtlich aus der Geschichte des Landes unbelehrt hervorgegangen ist.“
Gleich am selben Tag berichteten viele nationale Zeitungen über die Demo. Aber auch internationale Medien wurden darauf aufmerksam; England, Kanada, Russland, Türkei und Arabisch-sprachige Medien berichteten. Natürlich wurden auch manche Gemüter geheizt, nicht jeder konnte den Protest nachvollziehen. So wurden Stimmen laut, die meinten: „Man solle doch froh sein in Österreich zu leben, wo man doch viele Chancen hat. Im Gegensatz zu anderen Ländern geht es euch ja gut.“ Das sagen viele Menschen, das sagt aber auch vor allem „unser“ Integrationsminister Sebastian Kurz.
Die Artistin SueMi konterte jedoch: „Ich habe es satt, dass ich und meine muslimischen Geschwister in den Medien ausschließlich im Zusammenhang von mangelnder Partizipation, Geschlechtertrennung, fehlendem Zugang zur Öffentlichkeit, politischer und rechtlicher Unterdrückung und als Opfer von traditionell-muslimischer Gewalt portraitiert werden […] Gebt uns dem Raum für uns selbst zu sprechen! Gebt uns den Raum uns zu verwirklichen. Gebt uns den Platz um uns zu entfalten. Gebt uns eure Unterstützung, so zu leben, wie wir es wollen! Gebt uns die Stimme, die uns fehlt. Gebt uns die Würde, die uns genommen wurde.“
Jetzt folgt die Begutachtungsphase für den Entwurf des Integrationsgesetzes und die Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz bis zum 8.März 2017. Wird das Begehren der DemonstrantInnen ernst genommen? Ihnen der nötige Platz vergeben? Oder werden Fremdbestimmungen weiterhin das Bild der muslimischen Frau gestalten? Wir werden es sehen.