Am Dienstag (Morgen) urteilen die Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über zwei Fälle, in denen das Kopftuch ausschlaggebend für eine Kündigung war. Eine wegweisende Entscheidung für die Religionsfreiheit in der EU.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entscheidet am Dienstag erstmals, ob ein Kopftuchverbot in Unternehmen rechtens ist. Geklagt haben zwei Musliminnen aus Belgien und Frankreich. Die Projektingenieurin Asma Bougnaoui war 2009 von einem IT-Beratungsunternehmen in Frankreich gekündigt worden, weil sie sich weigerte, auf ihr Kopftuch beim Kontakt mit Kunden zu verzichten. Auch Samira Achbita, eine Rezeptionistin bei einer Sicherheitsfirma aus Belgien, hatte darauf bestanden bei der Arbeit ihr Kopftuch zu tragen, und war nach dreijähriger Beschäftigung ihren Job los.
Die Schlussfolgerungen der Justiz fielen unterschiedlich aus. Während EU-Generalanwältin Eleanor Sharpston im Juli 2016 das Kopftuchverbot für die Projektingenieurin für eine „rechtswidrige unmittelbare Diskriminierung“ hält, erklärte Generalanwältin Juliane Kokott im Fall der Rezeptionistin das Kopftuchverbot für zulässig. Dies macht deutlich, wie schwierig, die Beurteilung solcher Fälle ist. Im Urteil können die Richter den Schlussfolgerungen folgen, müssen es aber nicht.
Die Fälle unterscheiden sich in einem Punkt: Im belgischen Sicherheitsunternehmen, in dem Achbita als Rezeptionistin arbeitete, gab es ein Verbot von sichtbaren politischen, philosophischen und religiösen Zeichen für alle Arbeitnehmer. Das war nicht der Fall in der IT-Beratung der Projektingenieurin Bougnaoui. Sharpston argumentiert in diesem Fall, dass die Muslimin aufgrund ihrer Religion benachteiligt worden sei. Ein Projektingenieur, der seine Religion oder Weltanschauung nicht bekannt hätte, wäre nicht entlassen worden, so die Gutachterin. Die Ingenieurin hätte ihre Aufgaben nach Ansicht der Generalanwältin auch mit Kopftuch wahrnehmen können.
Im Kündigungsschreiben des Arbeitgebers werde ausdrücklich auf die fachliche Kompetenz der Klägerin hingewiesen. Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, sei integraler Bestandteil der Religionsfreiheit, so Sharpston. Neutrale Kleidung könne vom Arbeitgeber vorgeschrieben werden, wenn sie einem bestimmten Zweck diene. Dazu könnten auch die geschäftlichen Interessen eines Arbeitgebers gehören. Sharpston zufolge ist dies im Falle eines IT-Beratungsunternehmens aber nur schwer ersichtlich.
Kokott sieht im Fall der belgischen Rezeptionistin hingegen keine „unmittelbare Diskriminierung“ des religiösen Bekenntnisses, weil das Verbot auf einer allgemeinen Betriebsregelung beruhe und nicht eine oder mehrere Religionen besonders benachteilige. Generell müsse aber jeder Fall individuell bewertet werden, so die Generalanwältin.
Ausschlaggebend könnten Größe und Auffälligkeit des religiösen Zeichens, die Art der Tätigkeit und der Kontext der Arbeit sein, heißt es in ihrer Schlussfolgerung.
Der Europäische Menschengerichtshof (EMGR) entschied 2015, dass Staatsbedienstete in Frankreich kein Kopftuch bei der Arbeit tragen dürfen. In diesem Fall war es einer Sozialarbeiterin auf einer psychiatrischen Station untersagt worden. Allerdings ist die Beziehung von Religion und Staat in Frankreich anderes geregelt als in Deutschland. Staat und Kirche sind seit 1905 gesetzlich strikt getrennt. Die Richter bewerteten in diesem Fall die Neutralität des Staates höher als das Recht auf Religionsfreiheit.
In Deutschland gibt es in über der Hälfte der Bundesländer ein Kopftuchverbot für Lehrkräfte. Das Bundesverfassungsgericht urteilte im Januar 2015, dass ein pauschales Kopftuchverbot in Schulen nur dann gerechtfertigt sei, wenn durch das Tragen des Kopftuches eine „hinreichende konkrete Gefahr“ für den Schulfrieden drohe.
Für kirchliche Arbeitgeber in Deutschland gilt jedoch eine Sonderregelung. Sie dürfen Arbeitnehmern das Tragen von Symbolen anderer Religionen verbieten. Ein Kopftuchverbot in einem christlichen Krankenhaus ist daher nach dem kirchlichen Arbeitsrecht zulässig.
Besonders für Unternehmen in Deutschland ist das Urteil relevant. Je nachdem wie die Richter entscheiden, könnte es am Ende leichter für sie werden, religiöse und politische Symbole am Arbeitsplatz generell zu verbieten. (KNA, iQ)