Das Wahlverhalten der Deutsch-Türken während des Referendums missfiel vielen Politiker, vor allem der AfD. Seitdem wittern diese ein wahlkampftaugliches Thema: die doppelte Staatsbürgerschaft. Dieses Vorhaben stößt auf Kritik, auch von muslimischer Seite.
Die AfD nutzt das Abstimmungsverhalten der Türken in Deutschland als Argument gegen den Doppelpass. „Dieses Referendum zeigt ganz klar, dass die doppelte Staatsbürgerschaft eine schlechte Idee ist“, sagte der stellvertretende Parteivorsitzende Alexander Gauland. Wenn über 60 Prozent der türkischen Wähler in Deutschland für ein autokratisches System stimmten, dann beweise das, „sie gehören nicht hierher“. Das wolle seine Partei auch im Bundestagswahlkampf thematisieren.
Der Doppelpass führe automatisch zu „doppelten Loyalitäten“, sagte Gauland. Das sei bei EU-Bürgern im Regelfall kein großes Problem, bei Menschen, die einer ganz anderen politischen Kultur entstammten, aber schon. Die Fehler der Vergangenheit seien zwar kaum zu korrigieren. „Weiteres Unglück“ könne aber durch eine Gesetzesänderung verhindert werden.
Der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), Bekir Altaş, äußerte sich zu den Integrationsdebatten nach dem Referendum. „Die Diskussionen über das Wahlverhalten von türkischen Wählern beim Referendum schüren ein feindliches Klima“, erklärte Bekir Altaş.
Das Wahlverhalten bei der Volksabstimmung zur Änderung der türkischen Verfassung werde von einigen wenigen Politikern dazu genutzt, eine Integrationsdebatte loszutreten. Sie stellen ohne Grundlage die doppelte Staatsbürgerschaft infrage, „fordern Türkeistämmige auf, sich ein weiteres Mal zu den hiesigen Werten zu bekennen oder sogar das Land zu verlassen“, so Altaş.
„Seit Bekanntwerden der Wahlergebnisse ist die Zahl der Übergriffe auf türkische und muslimische Einrichtungen sprunghaft angestiegen.“ Nahezu täglich würden Einrichtungen mit Nazi-Parolen und Symbolen beschmiert, Personen auf offener Straße beleidigt und sogar tätlich angegriffen. „Die Sicherheitsbehörden sind aufgefordert, diese Taten schnellstmöglich aufzuklären“, sagte Altaş weiter.
Auch der Zentralrat der Muslime mahnt die etablierten Parteien in Deutschland, keine antidemokratischen und antimuslimischen Standpunkte der AfD zu übernehmen. Der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte der Zentralratsvorsitzende Aiman Mazyek, die Diskussion um das Wahlverhalten der in Deutschland lebenden Türken beim Verfassungsreferendum habe diese Entwicklung noch einmal verschärft. „Da werden plötzlich Dinge gesagt, die so auch von der AfD kommen könnten – und zwar leider vereinzelt auch von den etablierten Parteien“, kritisierte Mazyek.
Als Beispiel nannte er Forderungen nach einem speziellen Bekenntnis der Deutsch-Türken zum Grundgesetz. „Das Grundgesetz sieht nicht vor, dass sich Doppelstaatler oder hier geborene deutsche Muslime ausdrücklich zur Verfassung bekennen müssen. Warum wird nun ausgerechnet bei Deutsch-Türken Gesinnungsschnüffelei betrieben“, fragte Mazyek und ergänzte: „Das ist die verklausulierte Aufforderung, die sonst aus AfD-Kreisen stammt: „Wenn es euch hier nicht gefällt, dann geht doch.“
Der schleswig-holsteinische Zuwanderungsbeauftragte hat den kritisierten Doppelpass ebenfalls verteidigt. Das Votum dürfe nicht zu Lasten der in Deutschland geborenen Kinder gehen, forderte Stefan Schmidt. Junge Menschen mit zwei Staatsangehörigkeiten hierzulande, so Stefan Schmidt, hätten einen starken Bezug zu Deutschland und sollten „nicht gezwungen werden, sich für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden.“ Auch mit zwei Pässen könne man sich gegenüber dem deutschen Staat loyal verhalten.
Es sei „gar nicht bekannt und überprüfbar (…), ob die sogenannten Doppelstaatler überwiegend für die Entwicklung der Türkei hin zu einem autoritären Staat gestimmt haben oder dies überwiegend Menschen waren, die ausschließlich die türkische Staatsangehörigkeit haben“, argumentierte er. (dpa, KNA, iQ)