Arabische Dichtung

„Man kann sehr viel Pionierarbeit leisten“

Arabische Poesie ist nicht immer religiöse Poesie. Selbst zu Lebzeiten des Propheten handelte sie oft von weltlichen Themen. Vor allem die bislang kaum beachtete Dichtung ab dem 12. Jahrhundert hält kulturelle Schätze bereit, meint der Arabist Thomas Bauer im IslamiQ-Interview.

06
05
2017
Dichtung
Die Kufi-Schrift ist eine der ältesten arabischen Schriftformen. © by Will auf Flickr (CC BY-SA 2.0), bearbeitet islamiQ

IslamiQ: Sie interessieren sich für altarabische Dichtkunst. Vermutlich haben Sie jahrelang über schwierigen arabischen Texten gebrütet. Das ist nicht Jedermanns Sache. Wie kam es dazu?

Thomas Bauer: Mein Interesse galt von Anfang an der Sprache. Am Gymnasium wollte ich neben Englisch und Latein lieber noch eine weitere Sprache lernen anstatt Chemie. Ich stieß auf Arabisch, weil ich mich nach einer Sprache umgesehen habe, in der es eine alte Literatur gibt, die aber auch von einer stattlichen Zahl von Menschen gesprochen wird. Weil ich mir die Schriftzeichen des Chinesischen nicht hätte merken können, habe ich mich für Arabisch entschieden. Außerdem war mir der Kulturraum sympathisch.

Nach dem Abitur habe ich dann mit dem Studium in Erlangen begonnen. Ich hatte mich schon immer für Literatur interessiert, so habe ich angefangen, mich auch mit arabischer Literatur zu beschäftigen. Der Reiz dabei ist, dass es am Anfang relativ schwierig ist. Nach und nach habe ich mich dann in die verschiedensten Genren und Epochen eingearbeitet, daneben aber auch immer kulturgeschichtliche und mentalitätsgeschichtliche Themen bearbeitet. Ich habe mich dann mit Themen wie Tod, Liebe und Fremdheit beschäftigt, bin aber immer wieder zur Literatur zurückgekehrt, einfach aus Faszination. Je mehr man es versteht, desto faszinierender wird es.

Dazu kommt, dass man hier sehr viel Pionierarbeit leisten kann. Momentan erforsche ich zusammen mit Kollegen die Literatur des 12. bis 14. Jahrhunderts. Das meiste davon ist völlig unbekannt. Wir arbeiten meistens mit Handschriften und können nicht auf gedruckte Bücher zurückgreifen. Das ist eine reiche, blühende Epoche der arabischen Literaturgeschichte.

IslamiQ: Wieso dieses Interesse an der arabischen Literatur?

Bauer: Literatur dient zum besseren Verständnis der Menschen, denn es ist eines der wichtigsten Medien, mit dem sich Menschen ausdrücken. Gerade in der arabischen Sprache spielte und spielt Literatur teilweise immer noch eine ganz besondere Rolle. Im Deutschen gibt es den Ausdruck, wenn jemand etwas Sinnloses sagt: Rede keine Lyrik. Die Araber sagen es anders, denn wenn etwas wirklich wichtig ist, dann muss man es auch noch mal als Gedicht sagen.

In diesen sehr anspruchsvollen Gedichten kommt eigentlich alles zum Ausdruck. Ich glaube man kann die Geschichte islamischer Kulturen nicht verstehen, ohne die Dichtung zu berücksichtigen. Das gilt für das Arabische, aber auch mindestens genauso für das Persische und das Osmanisch-Türkische. Deshalb kritisiere ich Historiker, die Geschichtswerke lesen, aber die Gedichte überspringen. 

IslamiQ: Was glauben Sie, kann der heutige interessierte Leser arabischer Dichtung entnehmen?

Bauer: Zum einen sind arabische Gedichte historische Dokumente, die uns eine andere Mentalität und Wahrnehmung der Welt zeigen. Zum anderen sind es Texte, die den Leser auch heute noch emotional berühren. Das gilt u. a. für viele Liebesgedichte, für den Heroismus der altarabischen Dichtung oder die mystische Dichtung eines Ibn al-Farid oder eines Ibn al-Arabi, die ja heute noch rezitiert werden.

Das gilt in manchen Fällen auch für Übersetzungen aus dem Arabischen, allerdings mit der Einschränkung, dass diese Dichtung sehr voraussetzungsvoll ist. Ich kenne keine wirklich gelungenen Übersetzungen von einem meiner Lieblingsdichter, nämlich Mutanabbi. Aber um ihn zu verstehen, muss man so viel über die Kultur und die literarische Vorgeschichte von Mutanabbi wissen, dass es sehr schwer ist, dies dem Leser in Übersetzungen zu vermitteln. Vor allem von der Form her, dem Sprachklang, dem Metrum – all dem kann man nicht gerecht werden.

Es gibt einen Versuch von Hammer-Purgstall aus dem 19. Jahrhundert, der aber nicht gelungen ist, weshalb der heutige Leser sie nicht verstehen kann. Wenn Mutanabbi z. B. eine Kaside ganz anders anfängt als es üblich war, dann war das für die damaligen Hörer und die späteren Kenner natürlich überraschend. Da der deutsche Leser aber nicht weiß, wie man im 10. Jahrhundert eine Kaside normalerweise angefangen hat, bleibt natürlich verborgen, dass Mutanabbi das auf originelle Weise gemacht hat. Andererseits sind z. B. von Friedrich Rückert sehr viele arabische Liebesgedichte wirklich schön ins Deutsche übersetzt worden.  

Thomas Bauer ist Professor für Arabistik und Islamwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf der Erforschung der arabischen Dichtung ab dem 13. Jahrhundert. 2011 erschien sein vielbeachtetes Buch „Die Kultur der Ambiguität – Eine andere Geschichte des Islams“.

IslamiQ: Der Koran hat maßgeblich zur Herausbildung des Arabischen als Schrift beigetragen. Wie stark hat das Islamische die arabische Dichtkunst beeinflusst? Woran kann man das festmachen?

Bauer: Interessant ist, dass die europäischen Literaturen nach dem Mittelalter meistens religiös waren, wohingegen das Weltliche sich erst emanzipieren musste. Im Arabischen ist es umgekehrt. Als die Dichtung im 6. Jahrhundert anfing, war Religion überhaupt kein Thema, sondern das Lob des eigenen Stammes, heroisches Verhalten, Trauergedichte, heldenhafte Männer usw. Dann kommen Liebesgedichte hinzu, die in der Umayyadenzeit sehr populär wurden. In der Abbasidenzeit geht es weiter mit Weindichtung, also ein gar nicht religiöses Thema.

Islamische Kulturen werden, weil man sie islamische nennt, in erster Linie mit Religion in Verbindung gebracht. Das Problem ist, dass es keine eindeutige geografische Bezeichnung für diese islamischen Kulturen gibt, wie dies etwa bei Japan der Fall ist. Die Kultur innerhalb der japanischen Grenzen nennen wir japanisch. Was zwischen Mauretanien und Indonesien ist, nennt man islamisch, obwohl es sehr viel gibt, was gar nicht so viel mit Religion zu tun hat.

Die Dichtung ist erst mal der große weltliche Diskurs, was über alle Jahrhunderte bis in die Gegenwart so bleibt. Auch die Mehrzahl der heutigen Gedichte ist nicht religiös. Irgendwann hat man aber auch das Bedürfnis gehabt, auch religiöses Empfinden in Form von Gedichten auszudrücken, und damit meine ich in erster Linie die Dichtung der Sufis. Man fing an Elemente der Liebes- und Weindichtung zu übernehmen, um das Erleben Gottes auszudrücken. Bei den frühen Dichtern wie asch-Schibli gibt es viele Liebesgedichte, bei denen man gar nicht sagen kann, ob es weltlich ist oder ob er etwas Religiöses, Mystisches damit verbindet. Dasselbe gilt für den persischen Dichter Hafis, was den Vorteil hat, dass die Werke Hafis’ auch in den radikalsten Phasen der iranischen Revolution verschont geblieben sind, weil die Dichtung metaphorisch verstanden wurde. Dann kommen die großen Dichter wie Ibn al-Farid und relativ spät die Lobgedichte auf den Propheten, die im 11. und 12. Jahrhundert eine bedeutende Gattung waren.. Interessant ist aber, dass man nie aufgehört hat, komplett weltliche Dichtung zu machen, insbesondere solche, die mit islamischen Normen kollidieren, wie z. B. die Weindichtung oder das Herrscherlob, das auch nicht sonderlich religiös ist, sondern eher die Tüchtigkeit, Freigiebigkeit und den Mut des Herrschers lobt.

IslamiQ: Die Dichtung zur Zeit des Propheten war also gar nicht religiös?              

Bauer: Zu dieser Zeit gab es so gut wie keine religiöse Dichtung, bis auf wenige Trauergedichte über den Tod des Propheten, die aber auch nicht unbedingt religiös sind, weil sie sich kaum von Trauergedichten auf andere Persönlichkeiten unterscheiden. Zudem gab es politische Gelegenheitsdichtung oder Gedichte, die zum Beispiel bei den Haridschiten zu Propagandazwecken auftraten. Aber der Hauptstrom der arabischen Dichtung ist weltlich.

IslamiQ: Was würden Sie dem interessierten Leser als Einführung in die arabische Literatur empfehlen?

Bauer: Im Moment gibt es keine einzige Gesamtdarstellung der arabischen Literatur, und für die klassisch-arabische Literatur vom 6. bis zum 19. Jahrhundert kein Werk, das zu empfehlen wäre. Ein Grund dafür ist, was ich „Frühzeitversessenheit“ nenne. Man hat sich in der Forschung sowohl in der arabischen Welt selbst als auch weltweit ganz stark auf die frühen Jahre konzentriert. Ein Grund ist, dass Anfänge immer interessant sind, wie ja schon Hermann Hesse sagt: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.

Zudem merkte man im frühen 20. Jahrhundert in allen islamischen Ländern, dass man militärisch, technologisch und wirtschaftlich mit dem Westen nicht mehr mithalten konnte und fragte sich, woran das liegt. Schon der Kolonialismus hatte eine Erklärung dafür, nämlich die Dekadenzthese. Demnach waren die Araber ganz blühend und haben dem Abendland griechische Philosophie vermittelt, dann wäre aber der Niedergang eingetreten, was man z. B. mit dem Jahr 1000 oder mit dem Fall Bagdads 1258 datiert hat. Schuld seien natürlich die Ulama, die das freie Denken behindert hätten. Diese Denkweise, mit der die Kolonialherren ihre Handlungen gerechtfertigt haben, hat man in den islamischen Ländern übernommen. Schon Napoleon hat ja gesagt, dass man den Ägyptern zur alten Größe verhelfen wolle und sie von der Dekadenz, in die sie die Türken gestürzt hätten, befreien wolle. Das führte dazu, dass man sich mit der Literatur ab dem 12. Jahrhundert fast gar nicht mehr beschäftigt hat. Erst jetzt entdecken wir, wie großartig diese Zeit war.

Das 11. Jahrhundert war ein Krisenjahrhundert, aber danach ging es bergauf. Die Literatur wurde bürgerlicher, es nahmen viel mehr Schichten daran teil bis hin zu Handwerkern, die Gedichtbände verfassten. Wir sehen, dass es den Niedergang in diesen Jahrhunderten nicht gegeben hat. Die Ulama waren nicht am Niedergang schuld, sondern haben im Gegenteil selbst angefangen zu dichten. Das Jahr 1258 ist wichtig für die Geschichte des Irak, aber völlig unwichtig für die arabische Literaturgeschichte. Die Dichtung in Syrien und Ägypten zu dieser Zeit blühte. Dass die Mongolen den Kalifen ermorden, führt dazu, dass es keine Lobgedichte mehr auf den Kalifen gibt, aber weitere Folgen für die Literatur hatte es nicht. Das wird erst jetzt entdeckt, weshalb es weitestgehend unbekanntes Terrain gibt. Die Werke vieler Dichter sind überhaupt nicht veröffentlicht worden und wenn, dann nur in schlechten Editionen oder fehlerhaften Drucken. Allgemein ist aber das Bewusstsein für die Wichtigkeit dieser Literatur noch nicht vorhanden. Das gilt sowohl für die europäische als auch die arabische Literaturgeschichte. 

Das Interview führte Ali Mete.

 

Leserkommentare

Renox sagt:
Arabische Poesie und kulturelle Schätze: Gerne befasse ich mich auch mit den homoerotischen Schätzen der arabischen Poesie. Gibt es schon entsprechende Sammlungen dieser kulturellen Schätze?
18.05.17
16:34