Die mörderischen Anschläge in Spanien haben bislang nicht zu einer breiten Stimmung gegen Muslime geführt. Bis auf Einzelfälle blieb es friedlich. Die Gründe liegen in Spaniens Geschichte.
„Ihr werdet alle sterben, verdammte Moslems“, sprühten Unbekannte an die Tür der Moschee in der katalanischen Gemeinde Montblanc. Mit dem Schriftzug „Tod dem Islam“ wurde die Außenwand einer Moschee in der Madrider Vorstadt Fuenlabrada beschmiert. Auch im Internet kam es in den Tagen nach den islamistischen Anschlägen in Barcelona und Cambrils zu Hasskommentaren und Beleidigungen gegen Muslime. Bei den Anschlägen kamen vor zwei Wochen 16 Menschen ums Leben, 130 wurden verletzt. Doch eine Welle von Attacken auf Moscheen und islamische Kulturzentren gab es nicht. Selbst nach den Zuganschlägen 2004 in Madrid, bei denen 191 Menschen starben, war in Spanien keine Islamophobie ausgebrochen.
Experten sehen viele Gründe, dass dies auch so bleibt. „In Spanien konnten sich keine rechtspopulistischen Parteien durchsetzen, die Fremdenfeindlichkeit verbreiten“, erklärt der Wahlforscher Jose Pablo Ferrandiz. Rechtsradikale Parteien wie in anderen EU-Staaten hätten keine Chance – schon wegen der immer noch nahen faschistischen Franco-Diktatur“.
Der baskische Soziologe Felix Arrieta sieht einen weiteren Grund in den Erfahrungen mit dem Terror der ETA-Separatisten. Im Kampf für die Unabhängigkeit des Baskenlandes ermordete die Gruppe mehr als 830 Menschen; erst nach 40 Jahren legte sie 2012 ihre Waffen nieder. „Mit dem ETA-Terror haben die Spanier etwas sehr Wichtiges gelernt: nämlich die Unterscheidung zwischen separatistischen Nationalisten und Terroristen“, glaubt Arrieta. „So unterscheiden die Spanier auch heute klar zwischen muslimischen Einwanderern und radikalisierten Dschihadisten“.
Natürlich gibt es auch in Spanien Islamophobie und Integrationsprobleme. Rund zwei Millionen muslimische Immigranten leben hier. Doch muslimische Gemeinden wussten nach Anschlägen stets schnell zu reagieren. Eine der ersten Protestaktionen auf Barcelonas Flaniermeile Rambla, dem Anschlagsort, wurde von der muslimischen Gemeinde organisiert. „Die spanischen Muslime sprechen den Familien der Opfer ihr Beileid aus“, hieß es auch seitens der Islamischen Kommission im Land. Man erkläre sich solidarisch mit den Menschen in Barcelona und dem spanischen Volk, bekräftigt Riay Tatary, Vorsitzender des islamischen Repräsentativorgans in Madrid.
So sah man am vergangenen Samstag in Barcelona bei der Großdemonstration gegen Gewalt und Terror auch viele Plakate mit Aufschriften wie „Islam ist Frieden. Wir sind Muslime, keine Terroristen“ oder „Keine Chance der Islamophobie“. Fast eine halbe Million Menschen nahmen an der Solidaritätsveranstaltung teil, darunter auch König Felipe VI. und die gesamte spanische Regierung. Es kam zu unschönen Bildern, als katalanische Separatisten die Demo missbrauchten, um für ihre Unabhängigkeit zu protestieren.
Doch die zentrale Botschaft der Veranstaltung las Miriam Hatibi vor. Zusammen mit der katalanischen Schauspielerin Rosa Maria Sarda rief die Repräsentantin der muslimischen Stiftung Ibn Battutta zur Einheit gegen den Terror und für ein friedliches Zusammenleben auf.
Dass Spanien dazu in der Lage ist, spiegelt sich in seiner Geschichte. Im Mittelalter waren große Teile der Iberischen Halbinsel muslimisch. Auch danach blieben viele Muslime im Land. Die Kulturen und Religionen lebten lange friedlich nebeneinander. Dieser Umstand führt jedoch heute auch dazu, dass Spanien im Fadenkreuz islamistischer Terroristen steht. Der „Islamische Staat“ (IS) ruft immer wieder zur „Befreiung“ der ehemals muslimischen Gebiete auf.
Im Zuge der spanischen Wirtschaftskrise und fehlender Zukunftsperspektive haben sich in den vergangenen Jahren viele muslimische Jugendliche radikalisiert, vor allem in Katalonien und den Nordafrika-Enklaven Ceuta und Melilla. Viele Terrorismus-Verdächtige konnte man frühzeitig festnehmen. Spanien, durch die ETA-Abwehr im Anti-Terror-Kampf erprobt, verzeichnet in Europa die höchsten Verhaftungsquoten. Zudem verfügt man über ein Strafrecht, dass der Polizei im Kampf gegen terroristische Aktivitäten ein frühes Einschreiten erlaubt. Auch das hilft gegen ausufernde Islamophobie. (KNA/iQ)