Bertelsmann-Studie 2017

Religionszugehörigkeit hat keinen Einfluss auf Integration

Prof. Dirk Halm analysierte im Auftrag der Bertelsmann Stiftung die Sozialintegration der Muslime in Europa. Im Interview erklärt er wie Integration gemessen wird und vor welchen Herausforderungen die Gesellschaft steht.

06
09
2017
Copyright Prof. Dirk Halm, bearbeitet IslamiQ

IslamiQ: Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass Muslime gut in den Arbeitsmarkt integriert sind. Welche Gradmesser für die Integration gibt es?

Prof. Dirk Halm: Wir sehen neben der gesellschaftlichen Teilhabe auch die Kontakte mit der Aufnahmegesellschaft sowie die Aneignung von Sprache und Bildung als wesentlich für die Integration ins Sozialgefüge an. Darüber hinaus gilt es aber auch, die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt, nach politischer Partizipation, Engagement, Werten und Identität zu stellen. Auch hierzu gibt es ja bereits veröffentlichte Ergebnisse aus dem Religionsmonitor-Projekt.

Die Bertelsmann-Stiftung gab kürzlich den Religionsmonitor 2017 heraus. Darin geht es u.a. um die Integration von Muslimen in Deutschland im europäischen Vergleich.

IslamiQ: Sie unterscheiden Integration ganz klar von Assimilation. Warum wird der Begriff der Integration nach wie vor so ambivalent aufgenommen?

Prof. Halm: Der Begriff ist unbestimmt und stark von Politik und Alltagdiskursen besetzt. Deshalb bedarf er einer genaueren Fassung, wenn man ihn bemüht. Vom Wesen her ist er außerdem normativ, weil er beinhaltet, dass sich Gesellschaft in eine bestimmte Richtung verändern soll. Damit ist der Begriff tendenziell politisch und strittig.

IslamiQ: Bei der Studie wurden Flüchtlinge nicht beachtet. Wieso? Inwiefern ist es korrekt, von Muslimen zu sprechen, wenn ein Teil ausgeblendet wird?

Prof. Halm: Dies hat methodische, aber auch inhaltliche Gründe. Mit Standardverfahren der empirischen Sozialforschung ist es schwierig, Neuankömmlinge, die sich etwa in Aufnahmeeinrichtungen befinden, adäquat abzubilden. Zugleich hätte die Berücksichtigung von Geflüchteten aber auch den Ländervergleich verzerrt, da Deutschland ungleich mehr Neuankömmlinge aufgenommen hat als die anderen Länder in der Studie. Es ging uns ja darum, zu zeigen, wie die Sozialintegration langfristig funktioniert, insbesondere in den Nachfolgegenerationen.

Prof. Dr. Dirk Halm studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschafspolitik an der Universität Münster.1997 promovierte er zum Thema deutsche und europäische Entwicklungshilfepolitik. Seine Habilitation erfolgte 2008 mit der venia legendi für „Politische Soziologie“. Arbeitsschwerpunkte: Migration und Zivilgesellschaft, politische Integration des Islams, Sozialstrukturanalyse von Einwanderungsgesellschaften.

IslamiQ: In Medienberichten wurde kritisiert, dass „wenige Fragen“ zur Religiosität der Befragten gestellt wurden. Welche Beweggründe hatte diese Entscheidung?

Prof. Halm: Der Religionsmonitor stellt noch viel mehr Fragen zur Religiosität. Mir ist kein Forschungsprojekt bekannt, das hier differenzierter und ausführlicher vorgeht, und das länderübergreifend ist. Wir haben für unsere Studie diejenigen Fragen zur Religiosität ausgewertet, die für unsere Themenstellung von Belang waren. Der Religionsmonitor 2017 wird von unterschiedlichen Autoren mit  unterschiedlichen Fragestellungen ausgewertet, insgesamt mit Bezug auf eine Fülle von Daten, wie etwa im letzten Frühjahr zum Engagement für Geflüchtete.

IslamiQ: Muslime und Frömmigkeit werden als eine gefährliche Kombination gesehen, auch das ist ein Befund der Studie. Wie kann die Angst vor der muslimischen Religiosität abnehmen?

Prof. Halm: Gefährlich würde ich nicht sagen – nur fördert eine hohe Religiosität die Sozialintegration nicht. Dem kann die Gesellschaft durch größtmögliche Liberalität und interkulturelle Öffnung begegnen. Dies ist dann aber eben auch eine identitätspolitische, nicht nur eine teilhabepolitische Frage. Und ob größtmögliche interkulturelle Öffnung und Diskriminierungsfreiheit alle Teilhabehürden beseitigt, halte ich für diskussionswürdig. Unsere Ergebnisse für Großbritannien deuten aber zumindest an, dass man auf diese Weise viel an Gleichstellung  erreichen kann. Aber davon abgesehen: Die wesentliche Erkenntnis der Studie ist ja, wie wenig Einfluss die muslimische Religionszugehörigkeit eigentlich auf die Sozialintegration hat, ganz im Gegensatz zur verbreiteten öffentlichen Wahrnehmung.

IslamiQ: Im europäischen Vergleich schneidet die Integration der Muslime in Deutschland besser ab. Woran liegt das?

Prof. Halm: Das gute Abschneiden Deutschlands gilt ja insbesondere für Einkommen und Beschäftigung. Der inzwischen für Einwanderer auch mit kürzeren Aufenthaltsdauern offene Arbeitsmarkt, aktive Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung für Einwanderer sowie die verbesserte Anerkennung von Berufsabschlüssen sollten hier eine Rolle spielen.

IslamiQ: Welche Forderungen stellen Sie aufbauend auf die Ergebnisse als Folge der Studie auf?

Prof. Halm: Zunächst zeigt sich ja, dass eine aktive Gestaltung der Einwanderungswirklichkeit Früchte trägt. Diesen Weg werden wir aber nur weiter gehen können, wenn sich ein  gesellschaftlicher Konsens verfestigt, dass wir faktisch in superdiversen Gesellschaften leben und auf Dauer leben werden. Diese Gesellschaften  müssen wir gemeinsam gestalten und tatsächliche Missstände ehrlich und nüchtern angehen, anstatt über Wahrnehmungen und Deutungshoheiten zu streiten.

Das Interview führte Esra Ayari.

Leserkommentare

Manuel sagt:
"eine hohe Religiosität die Sozialintegration nicht", genau das ist der springende Punkt. Das ständig Beharren auf mittelalterliche Dogmen, wird kaum dazu beitragen!
07.09.17
19:05
Johannes Disch sagt:
Der Begriff Integration ist keineswegs "unbestimmt", wie Prof. Hein behauptet. Es zeigt sich mal wieder, dass die deutsche Migrations-und Integrationsforschung (zum Thema Islam) nicht auf internationalem Niveau ist. Integration im Sinne von "Citoyen" bedeutet Eingliederung eines Individuums (NICHT eines (Umma)Kollekivs) in ein Gemeinwesen. Erfolgreiche Integration ist dann gegeben, wenn sich ein Individuum mit den säkularen Werten des Gemeinwesens identifiziert, wobei Ethnizität und Religiosität keine Rolle spielen. Dass es damit aber grade bei Muslimen in Deutschland noch starke Defizite gibt, das haben vergangenes Jahr 40 000 Türken gezeigt-- viele mit deutscher Staatsbürgerschaft!--- die dem türkischen Präsidenten Erdogan zugejubelt haben und ebenfalls für die Todesstrafe für die Putschisten votierten. Das hat gezeigt, wo die Loyalität dieser "Passdeutschen" liegt: Bei Erdogan. Und nicht beim (damaligen) deutschen Präsidenten Gauck. -- "Eine hohe Religiosität fördert die Integration nicht" (Prof. Hein in diesem Interview). Richtig! Und damit widerspricht Prof. Hein sich selbst und dem Titel dieses Beitrags, von wegen Religioszugehörigkeit hätte keine Einfluß auf Integration. Wie gesagt: Die deutsche Wissenschaft ist hier nicht auf internationalem Niveau. Ein Blick in die Bücher von Bassam Tibi würde "Professor" Hein zeigen, wie konkret sich der Begriff "Integration" bestimmen lässt.
11.09.17
11:23
Ute Fabel sagt:
"Nur fördert eine hohe Religiosität die Sozialintegration nicht. Dem kann die Gesellschaft durch größtmögliche Liberalität und interkulturelle Öffnung begegnen." Das klingt so, als ob Herr Hahn die Anbiederung gegenüber religiöser Engstirnigkeit für den richtigen weg hält. Absolut falsch! Die Gesellschaft darf sich religiöser Kleingeistigkeit keinesfalls unterwerfen. Ich halte einen selbstbewussten Konfrontationskurs mit religiösen Dogmen für den weit besseren Weg. Null Toleranz, wenn ein Mann bei Schulveranstaltungen nur männlichen Lehrern die Hand schüttelt nicht aber weiblichen Lehrern. Kein Verzicht auf Schweinefleisch und Schul- und Betriebsküchen, nur weil ein selbst erklärter Prophet es im Frühmittelalter für verboten erklärt hat. So kann ein offenes Klima verteidigt werden.
11.09.17
13:01
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Da muss ich Ihnen absolut zustimmen! Klingt stark nach Anbiederung, was der Herr Prof. da ablässt. Klingt mir sehr stark nach links-grünem Multi-Kulti- Wertelrelativismus. Der ist in der deutschen Migrationsforschung nämlich leider stark verbreitet. Die deutsche Migrationsforschung ist leider keineswegs wertfrei, neutral oder ideologiefrei. -- "Ich halte einen selbstbewussten Konfrontationskurs mit religiösen Dogmen für den weit besseren Weg." (Ute Fabel) Auch da bin ich ganz ihrer Meinung. Es kommt nur darauf an, wie man die Konfrontation führt. Und da finde ich, dass Sie gelegentlich über das Ziel hinaus schießen, da Sie generell gegen Religion eingestellt sind. Aber im Prinzip haben Sie mit ihrer Aussage Recht. Es ist in Ordnung, wenn man in einer Kantine Schweinefleisch und Speisen, die nach islamischen Verständnis "halal" sind, anbietet. Es kann aber nicht angehen, dass wir aus falscher Rücksichtnahme kein Schweinefleisch mehr anbieten.
14.09.17
3:31