Muslime zu den Bundestagswahlen

„Muslime zur Wahl mobilisieren“

Die Bundestagswahlen stehen vor der Tür. Vor allem Muslime wissen nicht, wen sie wählen sollen. IslamiQ hat um die Einschätzung von Muslimen gebeten. Heute: Ali Baṣ.

14
09
2017
Ali Baṣ © Ali Baṣ facebook, bearbeitet iQ

IslamiQ: Werden die Bedürfnisse der Muslime von den hiesigen Parteien ausreichend beachtet?

Ali Baṣ: Sehr unterschiedlich, wenn man die islamfeindliche AfD mal außen vorlässt. Da muss man zwischen der von einigen politischen Kräften oft populistisch angeheizten Debatte auf Bundesebene und dem sachlich-politischen Handeln in den Ländern unterscheiden, welche hier die Handlungskompetenz in Sachen Religionspolitik haben.

So hat es in NRW unter einer rot-grün geführten Regierung u.a. den ersten islamischen Religionsunterricht in Deutschland gegeben, das erste Bestattungsgesetz, welches auch muslimischen Gemeinschaften eigene Friedhöfe ermöglicht, sowie die Abschaffung des Kopftuchverbots für muslimische Lehrerinnen.

Allerdings braucht es auch eine Lobbyarbeit von muslimischer Seite, die Muslime als Teil der deutschen Gesellschaft versteht und sich dabei den Herausforderungen stellt. Da ist bei einem Teil der islamischen Religionsgemeinschaften derzeit innerer Rückzug in die 80er Jahre angesagt, auch vor dem Hintergrund der Türkeidiskussion. Das halte ich für problematisch.

Interessanterweise entwickelt sich derzeit eine lebendige muslimische Zivilgesellschaft, die schon öfter gute Impulse gegeben hat, wie z.B. muslimische Fraueninitiativen bei der Diskussion um die Abschaffung des Kopftuchverbots.

Ali Baṣ ist 1976 in Ahlen geboren. Er studierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Lehramt. . Seit 2002 ist er Mitglied der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Seit 2007 ist er Sprecher des Arbeitskreises Grüne MuslimInnen in NRR. Der gelernte Pädagoge und Studienrat war bis Mai 2017 Mitglied des Landtags NRW.

IslamiQ: Oft wird den Parteien vorgeworfen, dass sie während des Wahlkampfes antimuslimische Ressentiments bedienen, um auf Stimmenfang zu gehen. Wie haben Sie die letzten Monate erlebt?

Baṣ: Die Debatte im Wahlkampf signalisiert größtenteils Misstrauen gegenüber Muslimen, besonders in Kombination mit der Flüchtlingsthematik und der inneren Sicherheit. Schaut man sich die letzten TV-Duelle an, scheint es derzeit kaum andere Themen zu geben. Ich selber erlebe als Politiker mit muslimischem Hintergrund übrigens nicht nur im Wahlkampf offene Anfeindungen und Verdächtigungen.

IslamiQ: Welche Partei wird Ihrer Meinung nach bei dieser Bundestagswahl erfolgreich werden und welche nicht?

Baṣ: Ich vermute, dass die Union stärkste Kraft vor der SPD werden wird. Für mich ist jedoch spannender wer Platz 3 holen wird. Da gibt es derzeit ein knappes Rennen zwischen Grünen, Linken, FDP und AfD.

IslamiQ: Wie schätzen Sie den Wahlausgang für die islamfeindliche AfD ein?

Baṣ: Die AfD-Strategie mit Rassismus und unsäglichen Tabubrüchen laufend in die Medien zu kommen, schien lange aufzugehen, wenn man sich die letzten Umfragen anschaut. Allerdings kommt  dabei auch immer mehr der harte rechtsextreme Kern dieser Partei zum Vorschein. Das könnte letztlich einige Wähler davon abhalten sie zu wählen. Um die AfD möglichst klein zu halten müssen wir verstärkt zur Wahl mobilisieren. Wer hier noch in der muslimischen Community aktiv zum Wahlboykott aufruft, handelt verantwortungslos.

IslamiQ: Was erhoffen Sie sich nach der Bundestagswahl im September?

Baṣ: Nach der Wahl müssen wir raus aus dem Wahlkampfmodus und ran an die Lösung der Probleme. Für mich sind das die Fragen nach der offenen und freien Gesellschaft, die Bekämpfung des Rassismus, soziale Gerechtigkeit, die Digitalisierung und der Klimaschutz.

Leserkommentare

serval sagt:
Als im Ausland lebender Bundesbürger ohne Wohnsitz in der BRD kann man zwar in Form von Briefwahl seine Stimme bei Bundestagswahlen abgeben, doch scheint mir das ein umständlicher Vorgang zu sein, den ich bisher vermieden habe. Jedesmal, wenn ich nicht an einer solchen Wahl teilgenommen hatte, war ich im Nachhinein erleichtert darüber, nicht meine Stimme abgegeben zu haben. Tatsächlich zieht sich die Islamfeindlichkeit mehr oder weniger wie ein roter Faden durch alle großen Parteien, und auch sonst kommen sie sich in ihren Standpunkten immer näher, so daß es kaum noch eine Alternative gibt, da sich alle so ähnlich sind, ganz abgesehen von der Verlogenheit der Politiker, oder besser: Politdarsteller. Laut Prof. Manfred Mausfeld ist die Demokratie bereits tot, und die Massen werden von den wirklichen Machthabern im Hintergrund manipuliert. Aus diesem Grunde ist der Freidenker Andreas Popp ein überzeugter Nichtwähler. Entschuldigend wendet er sich an die Wähler von alternativen Kleinparteien: auch ihre Stimmen stützen zumindest das System, was gefordert sei, ist völlige Wahlenthaltung, auch keine Abgabe von ungültigen Stimmen. Was Deutschland nach den Wahlen braucht, ist eine - möglichst von den Muslimen angeführte - außerparlamentarische Reformbewegung, die das überkommene und marode System in seinen Grundlagen erschüttert.
14.09.17
16:59
Charley sagt:
@serval: Bitteschön, woher sollten Moslems die ideelle Kraft/Motivation/Inhalt nehmen, um an die Demokratie, Pluralismus, Meinungsfreiheit, Säkularismus usw. anzuknüpfen, wenn sie selbst einer Kultur und Religion (das ist leider nicht klar zu unterscheiden und DAS sagt viel über den Islam aus!) entstammen, die genau diese Qualitäten nicht wirklich grundsätzlich achtet??
20.09.17
10:30