AfD im Bundestag

„AfD-Wähler nicht aufgeben“

Mit der AfD sitzt nun auch eine islamfeindliche Position im Bundestag. Wie mit der AfD fortan umgegangen werden soll und warum der Islam zur Zielscheibe der Rechten wurde, erklärt der Religionswissenschaftler Christian Röther im Interview.

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2017
Der Religionswissenschaftler und Buchautor Christian Rother © privat
Der Religionswissenschaftler und Buchautor Christian Röther © privat

IslamiQ: Die AfD wurde in fast alle Landesparlamente gewählt. Nun auch in den Bundestag. War der Erfolg überraschend?

Christian Röther: Nein und Ja. Nein, weil Deutschland in gewisser Weise eine Entwicklung nachholt, die es in fast allen Nachbarstaaten schon seit Jahren gibt. Rechte Parteien sind dort mit ganz ähnlichen Positionen und Anti-Islam-Kampagnen politisch erfolgreich. Dass viele Menschen in Deutschland „geschlossene rechte Weltbilder“ aufweisen, ist aus Studien ebenfalls seit Jahren bekannt. Trotzdem sah es lange so aus, als könnte keine rechte Partei dieses Wählerpotential abrufen. Die AfD hat es nun doch geschafft, und das trotz all ihrer internen Streitigkeiten und Zerwürfnisse. Insofern kann der Erfolg schon überraschen.

IslamiQ: Mit der AfD ist eine offen islamfeindliche Partei in den Bundestag eingezogen. Worauf müssen Muslime in Deutschland vorbereitet sein?

Röther: Wenn die Maßnahmen, die von der AfD in ihren Programmen und Reden gefordert werden, tatsächlich umgesetzt werden, würde das massive Einschränkungen für Muslime in Deutschland bedeuten. Wenn man nur mal den Bildungsbereich betrachtet: Schülerinnen sollen nach Willen der AfD an staatlichen Schulen keine Kopftücher mehr tragen dürfen. Der islamische Religionsunterricht an Schulen und die islamische Theologie an Hochschulen sollen wieder abgeschafft werden. Die Religionsfreiheit soll für Muslime nicht gelten, was aus der Behauptung vieler Vertreterinnen und Vertreter der AfD folgt, dass der Islam keine Religion sei.

IslamiQ: Sie haben für Ihr Buch „Wenn die Wahrheit Kopf steht“ Interviews mit antiislamischen Aktivisten der Pegida, AfD etc. geführt. Wie haben Sie diese Begegnungen erlebt?

Röther: Nicht so unangenehm wie erwartet. Es ging mir darum, Beweggründe und Islambilder der Aktivistinnen und Aktivisten zu erfahren. Die meisten haben das bereitwillig erzählt und traten viel höflicher auf, als ich sie zuvor in Medien wahrgenommen hatte. Aus Gründen der Logistik oder der Anonymität habe ich die Interviews übrigens per Telefon und per E-Mail geführt – und das noch bevor einige der Interviewten bei Pegida oder AfD aktiv geworden sind. So habe ich bereits einen Einblick in die Szene bekommen, bevor sie ihren politischen Durchbruch hatte.

Im Übrigen hat die Mehrzahl der Personen, die ich angefragt habe, ein Interview abgelehnt bzw. nicht auf die Anfrage reagiert. Am kuriosesten war die Antwort einer älteren Frau, die mir das Interview unter der Bedingung geben wollte, dass ich das Programm ihrer Partei „bejahe“. Das habe ich natürlich ablehnt.

Ist der Islam das neue Hassobjekt?

 

Christian Röther, geboren 1984, studierte von 2005 bis 2010 Religionswissenschaft, Ethnologie und Geschichte in Göttingen und der Türkei. Er promovierte über die islamfeindliche Szene in Deutschland. Dafür recherchierte er mehrere Jahre über die Szene und führte ausführliche Interviews mit antiislamischen Aktivistinnen und Aktivisten. Seit 2009 arbeitet er als Hörfunkjournalist, u. a. für den Deutschlandfunk. 2016 wurde Röther mit dem Niedersächsischen Medienpreis ausgezeichnet.

IslamiQ: Warum wurde der Islam und somit die Muslime zum Hassobjekt der rechten Bewegungen in Deutschland?

Röther: Dazu gibt es verschiedene Thesen. Zum einen könnte man vermuten, dass es leider zur menschlichen Gruppenbildung gehört, sich von anderen Gruppen abzugrenzen. So hat das „Feindbild Islam“ im Westen vor zwei, drei Jahrzehnten das „Feindbild Kommunismus“ abgelöst. Die Islamische Revolution im Iran 1979 und vor allem der 11. September 2001 haben den westlichen Blick auf „den Islam“ extrem ins Negative verschoben. Viele Aktivistinnen und Aktivisten mit denen ich gesprochen habe, nannten 9/11 und ähnliche Ereignisse als Ausgangspunkte ihrer „Islamkritik“. Dieses negative Islambild wurde und wird durch Politik und Medien genährt und ist schon seit Jahren – das zeigen Studien – in den Köpfen vieler Menschen in Mitteleuropa verankert. Insofern überrascht es leider nicht, dass rechte Parteien dieses antiislamische Potential abzurufen versuchen.

Manche Aktivistinnen und Aktivisten handeln dabei strategisch, andere aus der tiefen Überzeugung, dass es sich beim Islam um „das Böse an sich“ handle. Das sind Weltbilder, die sich zum einen aus islamkritischen und islamfeindlichen Narrativen in Büchern und vor allem im Internet speisen. Zum anderen aber auch direkt aus dem dschihadistischen Diskurs: Islamfeinde lesen Texte und schauen Videos von Dschihadisten. Sie meinen, in den dschihadistischen Ansichten den „wahren Islam“ zu erkennen und übernehmen dieses Islamverständnis – allerdings mit umgekehrten Vorzeichen.

Hinzu kommt, dass antiislamische Stereotype in Europa eine lange Tradition haben und schon mit den ersten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen „Christentum“ und „Islam“ im Mittelalter aufkommen. Bilder vom „betrügerischen Muhammad“ oder dem „kriegerischen Islam“ finden sich damals wie heute.

Ein neuer Umgang mit der AfD?

IslamiQ: Welchen Umgang mit der AfD würden Sie fortan empfehlen? Braucht es nun ein Umdenken?

Röther: Der Erfolg der AfD ist Ausdruck eines Weltbildes, das offenbar bei 10-20 Prozent der Menschen in Deutschland vorherrscht. Das eigentliche gesellschaftliche Problem ist also nicht die AfD, sondern dass Menschen keine „Ausländer“ in ihrer Nähe haben wollen, dass sie „Angst vorm Islam“ haben und ähnliches. Solche Weltbilder werden leider nicht von heute auf morgen verschwinden. Sie können nur allmählich von anderen Gesellschaftsentwürfen verdrängt werden. Daher finde ich es wichtig, sich zwar klar gegen das Gedankengut von AfD und Co. zu positionieren, deren Wählerinnen und Wähler aber nicht aufzugeben, sondern sie etwa durch Gesprächsangebote und gelebte Gegenentwürfe zur Angst- und Hassgesellschaft der AfD zurückzugewinnen.

IslamiQ: Ausgehend von dieser Frage, haben Politiker und Medienvertreter im Umgang mit der AfD „falsch“ gehandelt?

Röther: Derzeit heißt es oft, dass Politik und Medien nicht auf jede Provokation der AfD hätten reagieren sollen, um ihr nicht noch mehr Aufmerksamkeit und die Möglichkeit zu geben, sich als Opfer darzustellen. Andererseits könnte man genauso sagen, dass man bestimmte Äußerungen nicht einfach unwidersprochen stehen lassen kann. Es ist also gewissermaßen eine lose-lose-Situation, für die ich auch keinen Ausweg weiß. Allerdings gebieten schon die Wahlergebnisse, die AfD politisch ernst zu nehmen und sich kritisch mit ihren Positionen auseinanderzusetzen, anstatt sie ausschließlich zu verteufeln.

IslamiQ: Oft wird die AfD als alleinige politische Verfechterin des Rechtspopulismus gesehen. Ist diese klare Abgrenzung haltbar?

Röther: Zumindest hat die AfD alle anderen Kleinparteien, die sich am Rechtspopulismus versuchen, in den Schatten gestellt. Allerdings scheinen leider auch Vertreterinnen und Vertreter von CDU und CSU nicht dagegen immun zu sein, antiislamische Positionen der AfD zu übernehmen, um damit vermeintlich Wählerstimmen zurückzugewinnen.

In meinen Recherchen in der islamfeindlichen Szene bin ich übrigens auf einen sehr heterogenen Personenkreis getroffen, etwa ehemalige Mitglieder von FDP, Grünen, SPD oder auch Antifa-Gruppen. Auch ehemalige Muslime sind dabei. Daher ist es wichtig, Islamfeindlichkeit nicht als ein rein rechtes Phänomen zu betrachten, sondern als gesamtgesellschaftliches. Auch viele Wählerinnen und Wähler der AfD haben zuvor ja die „Volksparteien“ oder sogar links gewählt.

Das Interview führte Esra Ayari.

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
Ich muss Herrn Röther widersprechen: Die AfD ist rassistisch und fremdenfeindlich und besonders islamfeindlich. Man muss von jedem deutschen Wähler, der nicht grade grenzdebil ist, voraussetzen, dass er die deutsche Geschichte kennt, vor allem die der Jahre 1933 bis 1945. Für AfD-Wähler gibt es keine Entschuldigung! Folglich braucht man auch keinen wie immer gearteten "Dialog" mit AfD-Wählern.
23.10.17
1:02
Frederic Voss sagt:
Kann der Religionswissenschaftler vielleicht erklären, weshalb der Zentralrat der Exmuslime e.V. sich so engagiert für Humanismus und Aufklärung einsetzt und einen islamischen Religionsunterricht ablehnt, weil nur so sich eine gefährliche religiöse Gettoisierung verhindern lässt? Die Exmuslime im Zentralrat stellen auch fest, daß der Islam nicht den vollen Schutz des Grundgesetzes für sich in Anspruch nehmen kann, da er in seiner konsequenten Form mit diversen Artikeln des Grundgesetzes kollidiert.Die demokratische Öffentlichkeit wird dazu aufgerufen, der Islamisierungsstrategie auf allen Ebenen offensiv entgegenzutreten und die Errungenschaften der Moderne zu verteidigen. Sind diese Exmuslime nun auch islamfeindlich oder islamkritisch? Und was ist mit der AfD-Partei? Ist sie islamfeindlich, islamkritisch oder besorgt um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ohne Scharia?
23.10.17
5:12
Johannes Disch sagt:
@Frederic Voss (Ihr Post vom 23.10.17, 5:12) So, der "konsequente Islam" (welcher ist das denn??) kollidiert mit dem Grundgesetz?? Diesen Nonsens behaupten gewisse einfach gestrickte "Islamkritiker" nun schon seit Jahren. Und wenn Sie auf die Scharia hinauswollen: Die Scharia -- verstanden als islamisches Recht--ist postkoranisch, und somit kein Teil der islamischen Offenbarung und kann natürlich nichgt die Religionsfreiheit nach dem GG beanspruchen. -- "Scharia und Demokratie vertragen sich wie Feuer und Wasser" (Bassam Tibi) Kein Grundrecht-- ausgenommen Art. 1 GG-- gilt schrankenlos. Die Religionsausübung muss natürlich mit dem GG vereinbar sein. Die Glaubenspraxis und NICHT der Text! -- "Kein Glaube muss mit dem Grundgesetz vereinbar sein. Das verlangt das Grundgesetz nicht. Die Glaubenspraxis muss verfassungskonform sein." (Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm. Deshalb laufen auch Hinweise auf gewisse angeblich oder tatsächlich grundgesetzwidrige Koranpassagen ins Leere. Diese würden sich nämlich auch problemlos in der Bibel finden lassen. Und in den Upanishaden. Und und und... Und die Glaubenspraxis der meisten Muslime ist völlig okay und grundgesetzkonform. Sie leben die "5 Säulen" des Islam. Und diese sind absolut grundgesetzkonform. Der "Zentralrat der Ex-Muslime" ist nicht das fünfte Evangelium der Islamkritik. Und neutral und ohne Eigeninteressen ist dieser Verband auch nicht. Viele dieser Leute verabsolutieren ihre eigenen negativen Erfahrungen und übertragen sie pauschal auf "Den Islam." Sachlichkeit und Rationalität gehen anders.
23.10.17
12:46
Manuel sagt:
Das Problem ist auch, dass die heutigen Linken keine Religionskritik mehr üben, dies besetzen dann die Rechten. Und nicht jeder der die mittelalterlichen Dogmen des Islams kritisiert, ist ein Rassist oder Rechtsextremer. Oder ist ein Atheist etwa ein Rechtsextremer?
23.10.17
18:17
Frederic Voss sagt:
Ich habe lediglich Formulierungen und Forderungen vom Zentralrat der Ex-Muslime verwendet, denn die dort angeschlossenen Menschen verfügen über viel mehr Erkenntnisse & Erfahrungen als nur endlos debattierende und theoretisierende Islamsympathisanten. Alle ordentlichen Mitglieder haben sich aus guten Gründen vom muslimischen Glauben abgewandt oder diesem niemals angehört, obwohl sie einem sog. "muslimischen Herkunftsland" entstammten. Viele von ihnen waren gezwungen, den islamischen Machthabern in ihren Herkunftsländern zu entfliehen. Daher wollen sie es auch nicht hinnehmen, daß nun in Deutschland ausgerechnet muslimische Funktionäre in ihrem Namen sprechen sollen, indem man sie einfach der "Gruppe der Muslime" zurechnet. Auf der Internetseite des Zentralrats der Ex-Muslime e.V. kann man ihre Sichtweise sehr konkret und anschaulich nachlesen. Ihr Motto lautet: "Aufklären statt verschleiern! Wider die falsche Toleranz!" Das heißt u.a.: Ex-Muslime fordern, daß das Tragen des Koipftuchs, das Erkennungszeichen für den politischen Islam und auch für die patriarchale Unterdrückung der Frau (auch wenn es von diesen aufgrund entsprechender Erziehungspropaganda mitunter nicht mehr so wahrgenommen wird), sollte im öffentlichen Dienst konsequent untersagt werden. Wollte man jetzt den Ex-Muslimen vorhalten, sie verstünden den "richtigen" Islam nicht, dann könnten diese Menschen jedem Islam-Anhimmler oder Islam-Verteidiger genügend Islam-Aufklärungs-Zündstoff vom allerfeinsten anbieten. Diese Leute wissen sehr genau, wovon sie reden und warum sie vom Islam als autoritär-faschistoides Lebensregel-Werk nichts mehr wissen wollen.
24.10.17
0:47
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: Der polnische Parlamentsabgeordnete Janusz Palikot verfolgte eine pauschal feindliche Politik gegenüber dem Katholizismus. Er äffte sogar öffentlich katholische Gebetsriten nach, um sie zu verspotten. Das ist ein einer pluralistischen Demokratie völlig legitim. Jeder deutschen Partei steht es daher frei jeder Religion pauschal ablehnend eingestellt zu sein. Wenn in einem Vereinsstatut verfassungswidrige Klauseln enthalten sind, wird er in Österreich vom Innenministerium zu Recht aufgelöst, selbst dann wenn die Vereinsmitglieder diese verfassungswidrigen Inhalten nicht praktizieren. Warum soll für Religionsgemeinschaften anderes geltenL?
24.10.17
9:57
gregek sagt:
@ Herr Disch, Ihre Haltung gegenüber den AFD Wählern in Ehren. Diese gilt es auf muslimische Extremisten, Haßprediger sowie Anhängern udnd Wählern der AKP zu übertragen.
25.10.17
20:02
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Religion kritisch zu sehen, das ist einer Demokratie völlig legitim. Die Gläubigen und ihre Religion in einer abwertenden Weise zu verspotten, das ist es nicht. Der polnische Parlamentarier hätte in Deutschland seinen kindischen Veitstanz in Deutschland Reichstag nicht aufführen dürfen und hätte mit dem Strafgesetz größte Probleme bekommen. Es steht natürlich jeder Partei zu, Religion abzulehnen. Es steht aber keiner Partei und auch keinem Abgeordneten zu, einer Religion das Grundrecht auf Glaubensfreiheit zu verweigern. Und genau das hat der AfD-Glaser. Ihnen ist es offenbar wurscht, was die Neo-Nazis der FPÖ und die Neo-Nazis der AfD treiben. Hauptsache, es geht gegen den Islam. Manche Atheisten glauben inzwischen offenbar, sie könnten sich gegenüber religiösen Menschen und ihrem Glauben alles erlauben, und deklarieren ihr respektloses und kindisches Verhalten als "Religionskritik" oder gar als "Aufklärung."
26.10.17
10:28
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Da wurde vom System offenbar was verschluckt. Es steht keiner Partei und keinem Parlamentarier zu, einer anerkannten Religionsgemeinschaft das Grundrecht auf Religionsfreiheit zu verweigern oder es in Frage zu stellen. Tut eine Partei das, dann verhält sie sich verfassungswidrig. Tut ein Abgeordneter das, dann steht er nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Und genau das hat der AfD-Glaser getan.
26.10.17
10:33
Johannes Disch sagt:
@grégek (Ihr Post vom 25.10.17, 20:02) Ich bin ganz ihrer Meinung. Und ich hab mich nie anders geäußert, sondern immer gegen jeglichen Extremismus gewandt; sei es national-völkisch motivierter a la AfD & Konsorten oder fundamentalistisch-religiöser Extremismus a la IS.
26.10.17
11:43
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