Mit der AfD sitzt nun auch eine islamfeindliche Position im Bundestag. Wie mit der AfD fortan umgegangen werden soll und warum der Islam zur Zielscheibe der Rechten wurde, erklärt der Religionswissenschaftler Christian Röther im Interview.
IslamiQ: Die AfD wurde in fast alle Landesparlamente gewählt. Nun auch in den Bundestag. War der Erfolg überraschend?
Christian Röther: Nein und Ja. Nein, weil Deutschland in gewisser Weise eine Entwicklung nachholt, die es in fast allen Nachbarstaaten schon seit Jahren gibt. Rechte Parteien sind dort mit ganz ähnlichen Positionen und Anti-Islam-Kampagnen politisch erfolgreich. Dass viele Menschen in Deutschland „geschlossene rechte Weltbilder“ aufweisen, ist aus Studien ebenfalls seit Jahren bekannt. Trotzdem sah es lange so aus, als könnte keine rechte Partei dieses Wählerpotential abrufen. Die AfD hat es nun doch geschafft, und das trotz all ihrer internen Streitigkeiten und Zerwürfnisse. Insofern kann der Erfolg schon überraschen.
IslamiQ: Mit der AfD ist eine offen islamfeindliche Partei in den Bundestag eingezogen. Worauf müssen Muslime in Deutschland vorbereitet sein?
Röther: Wenn die Maßnahmen, die von der AfD in ihren Programmen und Reden gefordert werden, tatsächlich umgesetzt werden, würde das massive Einschränkungen für Muslime in Deutschland bedeuten. Wenn man nur mal den Bildungsbereich betrachtet: Schülerinnen sollen nach Willen der AfD an staatlichen Schulen keine Kopftücher mehr tragen dürfen. Der islamische Religionsunterricht an Schulen und die islamische Theologie an Hochschulen sollen wieder abgeschafft werden. Die Religionsfreiheit soll für Muslime nicht gelten, was aus der Behauptung vieler Vertreterinnen und Vertreter der AfD folgt, dass der Islam keine Religion sei.
IslamiQ: Sie haben für Ihr Buch „Wenn die Wahrheit Kopf steht“ Interviews mit antiislamischen Aktivisten der Pegida, AfD etc. geführt. Wie haben Sie diese Begegnungen erlebt?
Röther: Nicht so unangenehm wie erwartet. Es ging mir darum, Beweggründe und Islambilder der Aktivistinnen und Aktivisten zu erfahren. Die meisten haben das bereitwillig erzählt und traten viel höflicher auf, als ich sie zuvor in Medien wahrgenommen hatte. Aus Gründen der Logistik oder der Anonymität habe ich die Interviews übrigens per Telefon und per E-Mail geführt – und das noch bevor einige der Interviewten bei Pegida oder AfD aktiv geworden sind. So habe ich bereits einen Einblick in die Szene bekommen, bevor sie ihren politischen Durchbruch hatte.
Im Übrigen hat die Mehrzahl der Personen, die ich angefragt habe, ein Interview abgelehnt bzw. nicht auf die Anfrage reagiert. Am kuriosesten war die Antwort einer älteren Frau, die mir das Interview unter der Bedingung geben wollte, dass ich das Programm ihrer Partei „bejahe“. Das habe ich natürlich ablehnt.
IslamiQ: Warum wurde der Islam und somit die Muslime zum Hassobjekt der rechten Bewegungen in Deutschland?
Röther: Dazu gibt es verschiedene Thesen. Zum einen könnte man vermuten, dass es leider zur menschlichen Gruppenbildung gehört, sich von anderen Gruppen abzugrenzen. So hat das „Feindbild Islam“ im Westen vor zwei, drei Jahrzehnten das „Feindbild Kommunismus“ abgelöst. Die Islamische Revolution im Iran 1979 und vor allem der 11. September 2001 haben den westlichen Blick auf „den Islam“ extrem ins Negative verschoben. Viele Aktivistinnen und Aktivisten mit denen ich gesprochen habe, nannten 9/11 und ähnliche Ereignisse als Ausgangspunkte ihrer „Islamkritik“. Dieses negative Islambild wurde und wird durch Politik und Medien genährt und ist schon seit Jahren – das zeigen Studien – in den Köpfen vieler Menschen in Mitteleuropa verankert. Insofern überrascht es leider nicht, dass rechte Parteien dieses antiislamische Potential abzurufen versuchen.
Manche Aktivistinnen und Aktivisten handeln dabei strategisch, andere aus der tiefen Überzeugung, dass es sich beim Islam um „das Böse an sich“ handle. Das sind Weltbilder, die sich zum einen aus islamkritischen und islamfeindlichen Narrativen in Büchern und vor allem im Internet speisen. Zum anderen aber auch direkt aus dem dschihadistischen Diskurs: Islamfeinde lesen Texte und schauen Videos von Dschihadisten. Sie meinen, in den dschihadistischen Ansichten den „wahren Islam“ zu erkennen und übernehmen dieses Islamverständnis – allerdings mit umgekehrten Vorzeichen.
Hinzu kommt, dass antiislamische Stereotype in Europa eine lange Tradition haben und schon mit den ersten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen „Christentum“ und „Islam“ im Mittelalter aufkommen. Bilder vom „betrügerischen Muhammad“ oder dem „kriegerischen Islam“ finden sich damals wie heute.
IslamiQ: Welchen Umgang mit der AfD würden Sie fortan empfehlen? Braucht es nun ein Umdenken?
Röther: Der Erfolg der AfD ist Ausdruck eines Weltbildes, das offenbar bei 10-20 Prozent der Menschen in Deutschland vorherrscht. Das eigentliche gesellschaftliche Problem ist also nicht die AfD, sondern dass Menschen keine „Ausländer“ in ihrer Nähe haben wollen, dass sie „Angst vorm Islam“ haben und ähnliches. Solche Weltbilder werden leider nicht von heute auf morgen verschwinden. Sie können nur allmählich von anderen Gesellschaftsentwürfen verdrängt werden. Daher finde ich es wichtig, sich zwar klar gegen das Gedankengut von AfD und Co. zu positionieren, deren Wählerinnen und Wähler aber nicht aufzugeben, sondern sie etwa durch Gesprächsangebote und gelebte Gegenentwürfe zur Angst- und Hassgesellschaft der AfD zurückzugewinnen.
IslamiQ: Ausgehend von dieser Frage, haben Politiker und Medienvertreter im Umgang mit der AfD „falsch“ gehandelt?
Röther: Derzeit heißt es oft, dass Politik und Medien nicht auf jede Provokation der AfD hätten reagieren sollen, um ihr nicht noch mehr Aufmerksamkeit und die Möglichkeit zu geben, sich als Opfer darzustellen. Andererseits könnte man genauso sagen, dass man bestimmte Äußerungen nicht einfach unwidersprochen stehen lassen kann. Es ist also gewissermaßen eine lose-lose-Situation, für die ich auch keinen Ausweg weiß. Allerdings gebieten schon die Wahlergebnisse, die AfD politisch ernst zu nehmen und sich kritisch mit ihren Positionen auseinanderzusetzen, anstatt sie ausschließlich zu verteufeln.
IslamiQ: Oft wird die AfD als alleinige politische Verfechterin des Rechtspopulismus gesehen. Ist diese klare Abgrenzung haltbar?
Röther: Zumindest hat die AfD alle anderen Kleinparteien, die sich am Rechtspopulismus versuchen, in den Schatten gestellt. Allerdings scheinen leider auch Vertreterinnen und Vertreter von CDU und CSU nicht dagegen immun zu sein, antiislamische Positionen der AfD zu übernehmen, um damit vermeintlich Wählerstimmen zurückzugewinnen.
In meinen Recherchen in der islamfeindlichen Szene bin ich übrigens auf einen sehr heterogenen Personenkreis getroffen, etwa ehemalige Mitglieder von FDP, Grünen, SPD oder auch Antifa-Gruppen. Auch ehemalige Muslime sind dabei. Daher ist es wichtig, Islamfeindlichkeit nicht als ein rein rechtes Phänomen zu betrachten, sondern als gesamtgesellschaftliches. Auch viele Wählerinnen und Wähler der AfD haben zuvor ja die „Volksparteien“ oder sogar links gewählt.
Das Interview führte Esra Ayari.