MUSLIMISCHE AKADEMIKER

Was bedeutet religiöse Bildung für Jugendliche?

Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen der Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute Özlem Nas über die religiöse Bildung muslimischer Jugendlicher.

04
11
2017
Heute die muslimische Akademikerin Özlem Nas über religiöse Bildung © privat
Heute die muslimische Akademikerin Özlem Nas über religiöse Bildung © privat

IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?

Özlem Nas: Wissen und Weiterbildung spielen eine wichtige Rolle im Islam und in meinem Leben. Ich habe die Fachbereiche Erziehungswissenschaft, Turkologie und Psychologie studiert und promoviere derzeit am Fachbereich Erziehungswissenschaft zum Thema „Religiöse Bildung muslimischer Jugendlicher in Schule und Gemeinde“. Meine intrinsische Motivation speist sich unter anderem aus dem Koranvers 49:13. In diesem Vers geht es darum, dass Gott die Menschen unterschiedlich erschaffen hat, auf dass sie einander kennenlernen. Das steht meines Erachtens für Austausch und Dialog, aber auch für Ambiguitätstoleranz. Menschen sind gleichwertige Geschöpfe, die dazu angehalten sind, verantwortungsbewusst in und mit ihrem Leben umzugehen. Das Forschen mit der Intention Gutes zu bewirken, sehe ich als Teil meiner Verantwortung als Muslimin.

IslamiQ: Können Sie uns Ihre Arbeit kurz vorstellen?

Nas: Den Gegenstand meiner Arbeit bildet die religiöse Bildung muslimischer Jugendlicher in Schule und Gemeinde in Hamburg. Der Fokus der Untersuchung ist auf die subjektive Sicht von muslimischen Jugendlichen auf die religiöse Bildung in den Feldern Schule und Gemeinde und auf die vergleichende Untersuchung der beiden Lernorte aus ihrer Perspektive gerichtet. Intendiert ist, durch diese qualitativ empirische Studie einen differenzierten und tiefen Einblick in die subjektive Sicht über die Bedeutung zu erhalten, die religiöse Bildung in Schule und Gemeinde als Orte lebensweltlicher Erfahrungen und als Sozialisationsinstanzen für die muslimischen Jugendlichen hat. Es soll aufgezeigt werden, welchen Stellenwert sie der religiösen Bildung beimessen und welche Erwartungen sie an die religiöse Bildung knüpfen.

Den positiven und negativen Erfahrungen hinsichtlich der religiösen Bildung in Gemeinde und Schule soll Raum gegeben werden. Es soll exploriert werden, wie die Einstellung von Jugendlichen über die besondere Form des dialogischen Religionsunterrichtes im Vergleich zur religiösen Bildung in der Gemeinde sowie zu islamischem Religionsunterricht in anderen Bundesländern ist. Es soll herausgefunden werden, ob sie mit der jeweiligen religiösen Bildung zufrieden sind und welche Veränderungs- und Verbesserungsvorschläge sie für die Praxis der religiösen Bildung haben. Die Ergebnisse werden interpretiert und zusammenfassend diskutiert. Abschließend sollen Empfehlungen für die pädagogische Praxis auf beiden Feldern und Konsequenzen für die Forschung formuliert werden.

IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?

Nas: Die religiöse Pluralität ist ein zentrales und kontrovers diskutiertes Thema in der deutschen Öffentlichkeit. Religiöse Bildung kann einen wichtigen Beitrag für wechselseitige Verständigung und friedliche Koexistenz leisten. In einer pluralen Gesellschaft gibt es vielfältige Orte religiöser Bildung. Diese Lernorte wurden bisher nicht hinreichend erforscht, was Raum bietet für Spekulationen und Vorurteile.

Die Schule und die Gemeinde gehören zu den wichtigsten religiösen Sozialisationsinstanzen für viele muslimische Jugendliche in Deutschland. Die Schule ist ein zentraler Ort, an dem sich die wachsende Heterogenität der Gesellschaft abbildet. Während alle Jugendlichen, die Schule durchlaufen und dort anderen Jugendlichen unterschiedlichen Glaubens in Koedukation begegnen, besucht ein Teil der muslimischen Jugendlichen die Institution Moschee, in der die religiöse Bildung in einem religiös homogenen Umfeld meist gleichgeschlechtlich erfolgt. Die religiöse Bildung auf diesen beiden Feldern ist Teil ihrer Lebenswelt.

Durch die Studie soll ihrer Sicht eine Stimme verliehen werden. Diese Stimme soll interpretiert, die Ergebnisse zusammenfassend diskutiert und als Empfehlung an die pädagogische Praxis in Schule und Gemeinde gespiegelt werden und einen Anstoß für weitere Forschung bilden.

IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie voran?

Nas: Im Verlauf der Forschung gibt es immer mal wieder Hindernisse, die bewältigt werden müssen, genauso wie erfreuliche Aha-Erlebnisse. Zwei entscheidende Faktoren, die mich antreiben, sind mein Interesse an der Lebenswelt von Jugendlichen und mein Bedürfnis, dass die subjektive Sicht von Jugendlichen auch wissenschaftlich sichtbar wird. Durch Machthierarchien werden viele Entscheidungen von Erwachsenen für Jugendliche gefällt, ohne dass ihre Stimme gehört und berücksichtigt wird. Entspricht das, was wir für sie entscheiden ihren Bedürfnissen und Wünschen? Wie nah sind wir an ihrer Lebenswelt dran? Gibt es ein Monitoring in Schule und Gemeinde, welches als Instrument für die Optimierung der Lernangebote genutzt werden kann, um einer Schülerorientierung gerecht zu werden? Motivierend finde ich, dass es durch Forschung die Möglichkeit gibt, ein Feld transparenter zu machen und Verantwortliche zum Nachdenken anzuregen und somit im besten Falle eine Veränderung zum Positiven herbeizuführen.

IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?

Nas: Durch die Arbeit wird die subjektive Sicht der Jugendlichen von 16-18 Jahren auf die religiöse Bildung in Schule und Gemeinde dargestellt. Die Ergebnisse können zu einer Optimierung der pädagogischen Praxis in der Schule sowie in der Gemeinde genutzt werden und verdeutlichen, ob der Unterricht den Erwartungen und Bedürfnissen der Jugendlichen entspricht. Durch diesen Einblick in ihre Lebenswelt könnte eine Veränderung des Unterrichts bewirkt werden, die dem didaktischen Prinzip der Schülerorientierung entspräche. Die Arbeit kann aber auch dazu beitragen, dass die zum Teil aufgeheizten Debatten um „Koranschulen“ versachlicht werden und dies zu einem entspannteren Miteinander in unserer von Diversität geprägten Gesellschaft führt.

Das Interview führte Muhammed Suiçmez.

Leserkommentare

Frederic Voss sagt:
Muß denn religiöse Bildung meist gleichgeschlechtlich erfolgen? Wird in den "Koranschulen" das Koran-Buch als fundamental und normgebend mit einzig richtigen Lebensgestaltungs-Richtlinien als verbindlich vorgegeben und vermittelnd als höchste Autorität gelehrt? Die Erziehungswissenschaften müssen sich diesen Themen ernsthaft stellen. Nur so kann eine sinnvolle Weiterentwicklung des Bildungswesens stattfinden.
05.11.17
20:59
Ute Fabel sagt:
Die Schule soll Wissen und nicht Glauben vermitteln, Aufklären statt Verklären. Ein Unterrichtsfach "Ethik und Religionskunde", in welchem alle Kinder und Jugendlichen gemeinsam unterrichtet werden und diskutieren, egal in welche Religion sie zufällig hineingeboren wurden, kann diese Aufgabe viel besser erfüllen als konfessioneller Religionsunterricht. Bei Frau Nas habe ich schon stark den Eindruck, dass es ihr nur um Lobbyinteressen ihrer eigenen Religionsgemeinschaft geht. Konfessioneller Religionsunterricht bedeutet in Wahrheit einseitige religiöse Beeinflussung in öffentlichen Schulen auf Staatskosten.
06.11.17
13:57