In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? In dieser IslamiQ-Serie stellen wir querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma Deutschlands. Heute Nahla Osman.
Nahla Osman ist vor 38 Jahren in Rüsselsheim geboren und wohnt und arbeitet dort mit ihren drei Kindern. Sie ist Juristin und setzt sich als Fachanwältin für Migrationsrecht unter anderem für die Rechte der Flüchtlinge ein. Ihre Eltern emigrierten aus Syrien und sie musste hautnah erleben, was es bedeutet, eine krisengebeutelte Heimat zu haben. Auch neben ihrer Arbeit ist die dreifache Mutter aktiv, steht bei Demonstrationen in erster Reihe und nutzt die sozialen Medien, um über Menschenrechtsverletzungen aus Syrien zu berichten. Die Alleinerziehende schafft es in allen Lebensbereichen ein Vorbild zu sein und bricht mit den Klischees über die muslimische Frau. Im Interview lernt Ihr sie kennen: Nahla Osman.
IslamiQ: Sie sind Rechtsanwältin. Warum haben Sie sich für diesen Beruf entschieden?
Nahla Osman: Seitdem ich von dem Leid in Syrien erfahren habe: Meine Cousins wurden 1981 grundlos verhaftet und Jahre lang gefoltert, zu dieser Zeit war ich circa 6 Jahre alt, und erlebte, wie mein Vater grundlos seine Heimat nicht besuchen konnte. Deshalb wollte ich mich für Menschenrechte einsetzen und Jura studieren.
IslamiQ: Haben Sie es je bereut diesen Berufsweg zu gehen?
Osman: Nein, es ist genau das, was ich immer machen wollte.
IslamiQ: Können Sie sich an eine Situation aus Ihrer Kindheit erinnern, in der Sie erstmals mit der Identitätsfrage konfrontiert waren?
Osman: Es gibt viele Erinnerungen, aber eine hat mich sehr geprägt: Ich besuchte die 11. Klasse und teilte meiner Politiklehrerin mit, dass ich Rechtsanwältin werden möchte. Sie stutzte und sagte dann: „Meine Tochter studiert Jura und das ist sehr schwer, machen Sie lieber eine Ausbildung als Rechtsanwaltsgehilfin…“. Ich verstand die Welt nicht mehr. Ihre Tochter, weil sie Deutsche ist, studierte Jura, und ich, was war ich? Es war eine schwere Zeit, aber ich habe gelernt, damit zu leben, dass ich beides bin: Syrerin und Deutsche. Man muss sich nicht entscheiden und vor allem niemanden erlauben, einen auszugrenzen – warum auch immer.
IslamiQ: Welche Hobbies haben Sie, wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?
Osman: Ich reise sehr gerne, da ich viele verschiedene Kulturen, Länder und Menschen „erleben“ möchte, und ich fahre gerne Fahrrad. Mit drei Kindern bleibt mir neben dem Beruf nicht sehr viel Zeit, aber ich versuche sie so gut wie möglich zu nutzen. Auch für Syrien versuche ich mich humanitär zu engagieren.
IslamiQ: Lieblingsbuch? Lieblingsfilm?
Osman: Malcolm X. Die Weißhelme.
IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?
Osman: Sie ist für mich das Wichtigste im Leben. Meine Eltern und Kinder geben mir immer wieder Halt und unterstützen mich soweit sie können.
IslamiQ: Ihr Lebensmotto?
Osman: Mach das Beste aus der Situation. Es gibt immer schlimmere Schicksale, Ereignisse neben den eigenen Problemen. Probleme sind dazu da, um gemeistert zu werden und daraus zu lernen.
IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben? Was tun Sie um es zu erreichen?
Osman: Mein größtes Ziel ist es, Allahs Wohlgefallen zu erlangen, eine gute Mutter zu sein, meine Kinder auf beste Art und Weise zu erziehen und dem Leid ein wenig entgegen zu wirken.
IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland.
Osman: Ich wünsche mir Akzeptanz, Präsenz, Erfolg und Vorbildfunktion von mir, meiner Familie und allen Muslimen. Ich wünsche mir, dass mehr Muslime die Politik mitgestalten, z. B. als gewissenhafte Lehrer.
IslamiQ: Sie setzen sich stark für die Flüchtlinge ein, warum und wie fühlen Sie sich dabei?
Osman: Die Geflüchteten kommen zum größten Teil aus Syrien. Meine Eltern stammen aus Aleppo. Einer der ersten Geflüchteten in Deutschland war ein Verwandter von mir. Ich erfahre das Leid per „Liveübertragung“ aus Syrien, deswegen nimmt es mich sehr mit. Ich habe mich von Beginn an der Revolution in Syrien angeschlossen, denn jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und Menschenwürde. Das habe ich aus der Ewigkeitsgarantie gelernt und ich bin der Meinung, dass diese Grundrechte allen Menschen gebühren, auch den Arabern, auch den Muslimen.
IslamiQ: Was ist Ihr Wunsch?
Osman: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist seit 2011 auf der Flucht. Viele Kinder haben seit sechs Jahren keine Schule besucht und kennen kein unbeschwertes Leben. Ich wünsche mir endlich eine Flugverbotszone, denn es werden Waffen aller Art – auch Chemiewaffen – eingesetzt.
Die Untätigkeit der Weltgemeinschaft ist unerträglich. In der Tat macht sich die Welt durch ihr tatenloses Zusehen aktiv mitschuldig. Ich hoffe sehr, dass Assad und seine Mitstreiter angeklagt werden und damit ein Zeichen gesetzt wird.