Berliner Martin-Gropius-Bau

Ausstellung: „Auch von fremden Völkern lernen“

Nicht nur Konflikte haben die Beziehungen von Juden, Christen und Muslimen geprägt. Dass es auch anders ging, zeigt eine Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau.

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2017
Ausstellung: Interkulturelle Forscherkontakte im Mittelalter © Facebook Martin-Gropius-Bau
Ausstellung: Interkulturelle Forscherkontakte im Mittelalter © Facebook Martin-Gropius-Bau

„Wir sollten keine Scham empfinden, die Wahrheit anzuerkennen und sie zu verarbeiten“. Es sei unwichtig, aus welcher Quelle sie komme, selbst wenn sie „von früheren Geschlechtern und fremden Völkern“ stamme. Die frappierend aktuell klingenden Worte sind über 1.150 Jahre alt. Sie gehen auf den arabischen Philosophen al-Kindi aus Bagdad zurück, der sie um das Jahr 850 zu Papier brachte.

Wie ein Motto ist al-Kindis Zitat, in dem er interkulturelle Offenheit einfordert, einer Ausstellung der Berliner Festspiele vorausgestellt: „Juden, Christen und Muslime. Im Dialog der Wissenschaften 500-1500“. Leihgeber ist die Österreichische Nationalbibliothek Wien, von der die Ausstellung auch kuratiert ist. Im Martin-Gropius-Bau ist die Schau bis zum 4. März 2018 zu sehen.

Ausstellung besteht aus drei Kapitel

Den Besucher erwartet ein umfassender Streifzug durch die jüdische, christliche und islamische Geistes-, Wissenschafts- und Religionsgeschichte. Vor allem ist es eine Ausstellung, die von den Schnittmengen und gegenseitigen Beeinflussungen der drei Kulturen erzählt, von Übersetzungen, die weit mehr sind als nur der Transfer von einer Sprache in die andere. Dabei fanden die Begegnungen in erster Linie an den Höfen der Kalifen im Nahen Osten und der Fürsten in Europa statt, aber auch an Schulen und Universitäten. Dabei entwickelte sich vor allem das im Herzen Spaniens gelegene Toledo zum wichtigen Zentrum des wissenschaftlichen Austauschs.

Kurator Andreas Fingernagel hat die Ausstellung in drei Kapitel unterteilt. Das erste stellt die griechische, arabische, hebräische und abendländische Schriftkultur vor. Ein zweiter Abschnitt widmet sich der Medizin und die dritte Einheit der Astronomie und Astrologie.

Dabei ist Fingernagel ein Spagat zwischen der notwendigen Vermittlung der kulturellen Zusammenhänge und einer ansprechenden Präsentation gelungen. Trotz langer Wandtexte mit ausführlichen Informationen zu den einzelnen Exponaten fühlt sich der Besucher nicht erschlagen; die Exponate selber erhalten großzügig Raum, sich zu entfalten.

Kulturübergreifende Wissensvermittlung

So etwa der Wiener Dioskurides. Der Codex – ein zentrales Werk der spätantiken Wissenskultur und eines der Glanzstücke der Ausstellung – ist eine in Griechisch geschriebene Sammelhandschrift. Das ausgestellte Werk, das seit 1997 zum Unesco-Weltdokumentenerbe zählt, entstand zu Beginn des 6. Jahrhunderts in Konstantinopel und geht auf den griechischen Arzt Dioskurides Pedanius zurück. Die in der Vitrine aufgeschlagene Seite zeigt eine Koralle, die Dioskurides als Heil- und Abwehrmittel gegen alles Böse verstand. So sollte sie den ungeborenen Embryo schützen und sich warnend öffnen, wenn neidische Menschen sich nähern.

Von der Kultur übergreifenden Wissensvermittlung erzählen auch Schriften des schon zu Lebzeiten auch in Europa berühmten persischen Universalgelehrten und Arztes Avicenna (973/80-1037). In Spanien, Italien und Südfrankreich wurden sie nicht nur ins Lateinische, sondern auch ins Hebräische übersetzt. Ein in Italien entstandenes Herbarium aus dem 15. Jahrhundert zeigt ihn als König im Kreis lebhaft diskutierender Ärzte.

Dem Thema angemessen ist das Konzept interdisziplinärer Vermittlung, das die Berliner Festspiele hier erstmals erproben. Kunsthistoriker, Judaisten, Islamwissenschaftler, zu Museumsführern ausgebildete Flüchtlinge sowie Experten der Astronomie und Medizin werden Besucher gemeinsam durch die Ausstellung führen – im Geiste interkultureller Offenheit und ganz im Sinne von al-Kindi. (KNA, iQ)

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
Ich habe die Befürchtung, dass bei dieser Ausstellung unter den Tisch fällt, wie massiv Wissenschaftler von Juden, Christen und Muslimen gerade im Mittelalter bei ihrer Forschungstätigkeit behindert wurden. Im alten Griechenland hat Demokrit bereits ein atomisches Weltbild entwickelt. Dieses Wissen ist durch die Glaubensdogmen der abrahamitschen Religionen wieder verloren gegangen. Jesus geht in den Evangelien ständig davon aus, dass Krankheiten von Dämonen ausgelöst werden, was im Mittelalter zur christlichen Glaubenswahrheit hochstilisiert wurde. Warum ein Koralle aus dem 6. Jahrhundert, die Embryonen nach der falschen Meinung von damaligen Scharlatanen vor allem Bösen schützen sollte, als positives Sinnbild für kulturübergreifende Wissensvermittlung dargestellt wird, kann ich nicht nachvollziehen.
27.12.17
14:44