In der religiösen Beschneidung von Jungen sehen Gegner „eine Botschaft der Gewalt“. Juden und Muslime verteidigen dagegen die rituelle Praxis, die seit fünf Jahren per Gesetz erlaubt ist.
Seit fünf Jahren herrscht für Juden und Muslime Rechtssicherheit: Das am 28. Dezember 2012 in Kraft getretene Beschneidungsgesetz erlaubt ihnen die Jungenbeschneidung aus religiösen Gründen. Doch trotz dieser rechtlichen Klarstellung geht der Streit darüber weiter. Kindermediziner und -schutzorganisationen sehen in der nicht-therapeutischen Vorhautentfernung eine irreversible Schädigung des Körpers und eine Menschenrechtsverletzung.
Ähnlich hatte es das Kölner Landgericht gesehen, das die Debatte über die Beschneidung ausgelöst hatte. In einem Urteil vom 7. Mai 2012 hielt es fest, dass die religiöse Jungenbeschneidung die körperliche Unversehrtheit verletze und damit strafbar sei.
Dieses Votum gegen eine jahrtausendealte Tradition stieß bei Juden und Muslimen auf völliges Unverständnis. Nach einer hitzigen Debatte über religiöse Freiheit kippte der Bundestag wenige Monate später den Richterspruch und beschloss mit breiter Mehrheit ein Gesetz, wonach die rituelle Beschneidung in Deutschland weiter zulässig ist – wenn sie den Regeln der ärztlichen Kunst entspricht. In den ersten sechs Monaten können allerdings wie in Israel eigens ausgebildete Beschneider den Eingriff vornehmen.
Bei der Beschneidungspraxis geht es Juden und Muslime nicht nur um Tradition, sondern um ihr Selbstverständnis. Deshalb sahen sie nach dem Kölner Urteil sogar ihre Beheimatung in Deutschland infrage gestellt. Der damalige Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, sprach gar von einer antisemitisch geprägten Debatte. Liberale wie orthodoxe Vertreter des Judentums verteidigten mit Vehemenz die Beschneidung, in der sie ein Bundeszeichen zwischen Gott und Menschen sehen.
Auch die beiden großen christlichen Kirchen verurteilten das Urteil als „äußerst befremdlich“, weil es den Grundrechten der Religionsfreiheit und dem Erziehungsrecht der Eltern nicht gerecht werde. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki erklärte auch mit Blick auf Speisevorschriften oder die Lebensform von Priestern: „Es fehlt die Einsicht, dass Menschen aus religiösen Gründen Dinge tun, die nichtreligiöse Menschen nicht tun würden.“
In der Bundestagsdebatte über das Thema warnte der damalige SPD-Fraktionschef und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier davor, dass ausgerechnet Deutschland als erstes Land der Welt die Beschneidung nach jüdischer Tradition verbieten könnte. Dem Beschneidungsgesetz stimmten schließlich 434 von 580 Abgeordneten zu. Ein alternativer Entwurf, der Beschneidungen erst ab 14 Jahren mit Einwilligung des Betroffenen vorsah, erhielt nur 91 Stimmen.
Die Gegner der rituellen Beschneidung finden sich mit der Regelung nicht ab. Der Düsseldorfer Psychotherapeut Matthias Franz sieht einen Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung. „Erwachsene haben an den Genitalien von Kindern nichts zu suchen“, so der Experte der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin (DGPM). Jedes Jahr würden rund 400 Jungen nach einer Beschneidung schwer verletzt in Kliniken aufgenommen. Der Eingriff enthalte „eine Botschaft der Gewalt“ und bewirke bei vielen Jungen bleibende Ängste um ihre Männlichkeit.
Ähnlich äußert sich die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ). Gerade wenn Nicht-Ärzte Beschneidungen vornehmen, erlitten Kinder oft wegen unzureichender Betäubung Schmerzen. Notwendig sei ein „breiter nationaler Dialog“.
Diesen Einwänden können Vertreter des Judentums nicht folgen. Die frühere Programmdirektorin des Jüdischen Museums in Berlin, Cilly Kugelmann, initiierte vor drei Jahren eigens eine Ausstellung zum Thema Beschneidung und konfrontierte die Besucher mit Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO: Danach sind weltweit 30 Prozent der Männer beschnitten, 10 Prozent aus religiösen Gründen. Die Theorie, wonach beschnittene Männer traumatisiert seien, sei angesichts dieser hohen Zahl sehr unrealistisch, meint Kugelmann.