MUSLIMISCHE AKADEMIKER

„Der Mensch als Schöpfer seiner selbst?“

Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen der Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute Fatma Aydınlı über die Vorstellungen der islamischen Theologie von Mensch und Natur.

21
01
2018
Fatma Aydınlı © privat, bearbeitet by IslamiQ.
Fatma Aydınlı © privat, bearbeitet by IslamiQ.

IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?

Fatma Aydınlı: Ich habe Biologie und islamische Religionswissenschaft mit den Nebenfächern jüdisch-christliche Religionswissenschaft und Pädagogik in Kassel und Frankfurt am Main studiert. Meine Dissertation „Der Mensch als Schöpfer seiner selbst?“, schreibe ich im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Theologie als Wissenschaft“ am Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam der Goethe-Universität Frankfurt.

Zudem erwies sich meine interdisziplinäre Studie, die einen Schnittpunkt zwischen den Fachdisziplinen der Theologie, Philosophie und Medizin bildet, als ein wichtiges Desideratum für die zukünftige, zeitgerechte islamische Theologie in Deutschland. Mein hauptsächliches Interessensgebiet bildet der Bereich „Medizinethik in der Klinikseelsorge“, zu dem ich eine universitäre Weiterbildung abgeschlossen habe. Neben meiner Dissertation versuche ich weiterhin Weiterbildungen zu absolvieren, um zukünftig KlinikseelsorgerInnen selbst auszubilden, die zu medizinethischen Problemen Kompetenzen erweisen können.

IslamiQ: Können Sie uns Ihre Dissertation kurz vorstellen?

Aydınlı: Das Dissertationsvorhaben „Der Mensch als Schöpfer seiner selbst?“ soll einen zentralen Forschungsgegenstand für das moderne muslimische Denken in den Mittelpunkt rücken. Hierbei soll das Vorhaben für die intellektuelle Kontinuität des geistigen Erbes beitragen, indem es ein „reflexives Verhältnis“ seiner „Glaubenstradition“ leistet, um Lösungen für die Moderne im Anspruch der Zukunft zu finden.

Neue Handlungsmöglichkeiten, die bedingt durch die Biotechnologien entstanden sind, formen die Lebenshaltung des Menschen fundamental. In Anbetracht dieser Entwicklungen steht die islamische Theologie in ihrer zeitgemäßen Ausrichtung sowohl vor der Herausforderung einer neuen gesellschaftlichen als auch einer wissenschaftlich-inter- sowie -transdisziplinären Verantwortung.

Auch durch die zunehmende gesellschaftliche Bejahung der Biotechnologien stellt sich in der islamischen Welt die Frage, in welcher Weise die islamische Urteilsbildung in diesem Diskurs unter Wahrung ihrer „eigenen Tradition“ Problemlösungen bietet. Beispielsweise ist das islamische Recht nicht mehr im Gegensatz zum Historischen auf einzelne Problemfelder direkt übertragbar, sondern es vollstreckt seinen prospektiven Impetus im Schnittfeld von theologischen Grundannahmen, Wissenschaft, Politik, öffentlicher Moral und Kultur der Moderne.

Jedoch erwachen letztlich wesentliche ethische Probleme schon mit der Frage nach dem Lebensbeginn und dem Versuch, aus naturwissenschaftlich gesichertem Wissen moralisch relevante Handlungsgebote oder -verbote abzuleiten. Die neueren Entwicklungen, die uns in der Gegenwart durch biowissenschaftliche Fortschritte, wie die Gentechnik und Embryonenforschung begegnen, bedürfen der Verständigung des Menschenbildes. Diesbezüglich bildet das Menschenbild eine fundamentale Basis theologischer Auseinandersetzungen in bioethischen Diskursen im gesellschaftlichen Wandlungsprozess.

In diesem Sinne verfolgt das Dissertationsvorhaben das Ziel, die fruchtbar ausgelegten bzw. reflektierten Vorstellungen der islamischen Theologie von Natur und Mensch durch Extension auf Gegenwart und Zukunft im wissenschaftlichen Rahmen zu reflektieren.

IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?

Aydınlı: Die Pluralität der Muslime bringt eine Wertevielfalt mit sich, aber auch eine gewisse Ambivalenz. Denn sowohl Ablehnung als auch Akzeptanz der Technisierung, die am Menschen hantiert, setzen eine ethische Auseinandersetzung mit ihnen voraus, da hierfür Begründungen und damit Entscheidungskriterien erforderlich sind.

Stellen sie sich vor, dass eine Frau nach einer Fruchtwasserpunktion erfahren muss, dass ihr zweites Kind mit Down-Syndrom auf die Welt kommen wird. Ihr erstes Kind hat schon ein Down-Syndrom. Nach der Entbindung hätte die Familie ein weiteres „krankes“ Kind in der Familie. Hiernach liegt sie vor der schwierigen Entscheidung ihre Schwangerschaft weiterzuführen oder diese zu beenden. Genau hier scheint die entscheidende Herausforderung darin zu liegen, in wieweit sich eine autonome zugleich aber auch verantwortungsbewusste reflektierte Entscheidungsfindung sich gestalten lässt.

In diesem Sinne sollte die religiöse Jurisprudenz als Kompass dienen, jedoch nicht die Entscheidungen der Menschen abnehmen. Denn eine unreflektierte Übernahme einer Urteilsbildung kann nur zum absurdum führen, falls sie blind übernommen wird.

IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie voran?

Aydınlı: Die Interreligiosität und Interdisziplinarität, das Lernen miteinander und voneinander im Graduiertenkolleg war für mich eine sehr große Bereicherung für meine Dissertation gewesen. Mittlerweile ist gerade diese Begegnung zu einer Kultur an der Universität Frankfurt geworden, die unbedingt, wir Theologen für die Zukunft im universitären Rahmen als Tradition weiterführen möchten.

IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimische Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?

Aydınlı: In modernen Gesellschaften sind Religionen herausgefordert sich mit Multikulturalität und Multireligiosität zu beschäftigen und Möglichkeiten für das Zusammenleben der unterschiedlichen Menschen zu entwickeln. Dies gilt auch für das Tätigkeitsfeld Medizinethik in der Klinikseelsorge. Meine Dissertation ist der muslimischen Gemeinschaft dahingehend nützlich, in dem sie den Blick für die Entwicklung einer systematischen islamischen Ethik bezüglich der bioethischen Themen, sowohl für die Wissenschaft fruchtbar macht als auch im Sinne eines Angebots an religiöser Handlungsorientierung weiterentwickelt. Ich hoffe für die Zukunft, dass sich die Arbeit im Bereich der Medizinethik in der Klinikseelsorge bewähren wird.

Das Interview führte Muhammed Suiçmez.

 

 

Leserkommentare

Wolf D. Ahmed Aries sagt:
So wichtig und notwendig ein solcher Forschungsansatz ist, das Besondere an ihm scheint mir der Versuch einer Systematik, denn es gibt bereits in den unterschiedlichen Rechtsschulen einschließlich der djafaritischen einzelne Stellungnahmen zu bestimmten Fragen in Form einer fatwa, die jedoch nicht gesammelt worden sind.. Hinzu kommt, daß nicht nur durch die sich differenzierenden Bio-Wissenschaften das Denken herausgefordert ist, sondern auch der Fortschritt in der gerontologischen Therapie bzw. den "neuen" altersbedingten Erkrankungen gleich den Formen der Demenz.
22.01.18
15:23
Frederic Voss sagt:
"Der Mensch als Schöpfer seiner selbst?" - so heißt es hier als tiefgehendes Selbsterforschungs-Dissertations-Thema. Und dann ist das Endergebnis eine muslimisch lebende Frau mit Kopfverhüllungs-Tuch, die sich selber als Schöpferin ihrer selbst betrachtet? Und das ist dann die höchste Form einer akademischen und religionswissenschaftlichen Selbsterkennung...quasi als korankonformer Non-plus-ultra-Mensch
22.01.18
21:36
Ute Fabel sagt:
Die bessere Lebensqualität und die höhere Lebenserwartung für uns Menschen im 21. Jahrhundert wurde gerade durch den unermüdlichen Forschergeist von Menschen möglich, denen einfach zu glauben zu wenig war, was in alten Büchern unklarer Autorenschaft stand. Die Einhaltung der islamischen Grundsäulen - fünf Mal täglich Beten, Fasten im Ramadan und Pilgerfahrt nach Mekka - durch Millionen Gläubige hat dazu rein gar nichts beigetragen. Religion ist genauso wie die Astrologie reine Scharlatanerie, die daher keine Schnittstellen zur Medizin als seriöser Disziplinaufweisen kann.
23.01.18
13:32
Gustavsson sagt:
Da hat man ein lebenlang studiert und da kommt ein Frederic Voss daher folgert anhand des Erscheinungsbildes einer Frau "Non-plus-ultra-Mensch", macht dabei alles zunichte! Also das mit Non-plus-ultra-Mensch müssen Sie allen lesern nochmal deutlich machen was das bedeuten soll, oder vielleicht eine Dissertation darüber schreiben!
23.01.18
18:42
Johannes Disch sagt:
@Frederic Voss Völlig richtig: Was Frau Aydinh versucht, das ist die Quadratur des Kreises. Der Islam ist vor allem völlig Allah-zentriert. Da bleibt für das autonome schöpferische Individuum kein Platz.
24.01.18
11:22
Charley sagt:
Ich habe den Artikel mit großem Interesse gelesen. (Anfrage an die Reaktion: Die "Anführungszeichen" bei bestimmten Ausdrücken, stammen diese von Frau Fatma Aydınlı oder sind diese von der Redaktion gesetzt worden???) Es ist beeindruckend, wie sehr sich Frau Fatma Aydınlı um echte Erkenntnis bemüht. Dass sie dabei 2 Bereiche verbindet, die sich ideell absolut fremd sind, ist achtungsgebietend. Die Naturwissenschaft kennt kein "Wesen", sondern nur Bedingungen und Wechselbedingtheiten. Die Religion kennt allein Wesen und versteht alles als Äußerung von Wesen. Die wechselseitigen Zuordnungen von Religion und Naturwissenschaft wirken immer gewollt, im Leben findet es ständig statt und wird auch so von den Menschen gelebt, ja als eigentlicher menschlicher Lebensbereich gesehen. Den "kategorischen Imperativ", der da von allen (!) Religionen versucht wird in der Abtreibungsdebatte (siehe oben "Down syndrom"), überwindet Frau Fatma Aydınlı fast in einem Nebensatz! "...hier scheint die entscheidende Herausforderung darin zu liegen, in wieweit sich eine autonome zugleich aber auch verantwortungsbewusste reflektierte Entscheidungsfindung sich gestalten lässt". Das verstehe ich so, dass Sie also keine normative ethische Entscheidung gefällt wissen will ("autonom"), sondern diese letztlich frei lässt. Damit geht sie weit, weit über den traditionellen Islam hinaus, der ständig keine Verantwortung übernimmt, sondern stattdessen immer nach "Allah" lugt, um nicht vielleicht aus dem Koran einen "Fingerzeig" heraus lesen zu können. Es ist ein schönes Beispiel, wie die aufrichtige Begegnung mit der Moderne objektiv geradezu zwingend verlangt, dass man aus einer selbstverantworteten Position heraus sich als Moslem zur Gegenwart zu stellen hat. Zu der Frage der "Menschwerdung" stellen sich natürlich viel Fragen, die weit über den naturwissenschaftlichen Diskurs hinaus gehen, z.B. ob nicht die Seele des Menschen schon längst eine Existenz hat vor der Empfängnis! Das sind Fragen, vor denen auch die ev. und kath. Kirche kneift. Spirituell ist die Selbsterkenntnis eine Selbstschöpfung, weil die Selbsterkenntnis eine eigene Leistung ist, in deren Ergebnis sich der dieses Leistende auch erst selbst erschafft. Das ist eine spirituelle Leistung der Befreiung, die dann auch den Inhalt der Individualität aus macht. Wenn die Individualität sich so erkannt und damit auch real verwirklicht hat (denn das ist ihre potentielle Begabung), dann kennt sie sich in ihrem Ewigen. Dass sie damit den Blick auf das Vorgeburtliche (vor der Zeugnung eben auch!) und das Nachtodliche weitet, ist in der Sache gegeben. Als Zeuge für die Präexistenz wäre der Zen-Meister Bankei zu nennen (neben anderen), als Zeuge für die ewige Existenz z.B. Maharshi (Hindu-Meister) und für das Nachtodliche gibt es vielerlei "Zeugen". (Mohammed hatte da allerdings nur einen sehr beschränkten Horizont, wie ich in einem Posting an anderer Stelle schrieb). Als Schatten dieses geistigen Vorgangs ist allein das Rätsel der Selbstorganisation des Organismus zu sehen, der im Bilde eben dieses Muster zeigt!
26.01.18
15:54
Charley sagt:
ich möchte meine Anfrage an islamiq noch einmal wiederholen: Die "Anführungszeichen" bei bestimmten Ausdrücken, stammen diese von Frau Fatma Aydınlı oder sind diese von der Redaktion gesetzt worden??? Ich bitte um Antwort!
01.02.18
18:27
Esra Lale sagt:
Sie stammen von Frau Aydinli. Gruß, IslamiQ.
11.02.18
13:22