Beschneidungsdebatte und Verfassungsschutz

Vertrauensverlust bei Juden und Muslimen

Eine neue Studie zeigt, wie das Vertrauen von Juden und Muslimen in die Mehrheitsgesellschaft durch die Beschneidungsdebatte beschädigt wurde. Ebenso wird die lang anhaltende Observierung von Muslimen durch die Sicherheitsorgane des Staates kritisch beleuchtet.

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2013
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Dr. Kerem Öktem aus der Oxford University hat die Forschungsarbeit „Signale aus der Mehrheitsgesellschaft“ am 12.11.2013 im Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen vorgestellt. Darin geht er mit zwei Fallstudien der Frage nach, inwieweit Verwaltungen in Deutschland gegenüber Minderheiten und Migranten diskriminierend sein können und wie öffentliche Debatten ausgrenzend wirken können.

Beschneidungsdebatte in Deutschland

In der ersten Fallstudie werden die Auswirkungen der sog. Beschneidungsdebatte in Deutschland und ihre Wahrnehmung durch Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens dargestellt. So werde die Beschneidungsdebatte bei vielen Juden als Wendepunkt wahrgenommen. Stigmatisierende Bilder von Juden als „schlechte Eltern, als Kindesschänder, aber auch als prä-rationale Religionsgemeinschaft, die sich anzupassen hat“ hätten das Verhältnis stark beschädigt.

Von den Muslimen hingegen wird die Debatte laut Forschungsergebnissen als ein ausgrenzendes Erlebnis unter vielen anderen wahrgenommen. Nach „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin, sei die Beschneidungsdebatte nur eine weitere polemische Fortführung des islamfeindlichen Diskurses. Insgesamt werde die „Beschneidungsdebatte von Juden wie Muslimen als ein ausgrenzendes Erlebnis wahrgenommen, in dem die eigenen Traditionen von der Mehrheitsgesellschaft als fremdartig und primitiv abgewertet werden.“

Überwachung muslimischer Organisationen

In der zweiten Fallstudie geht es um die Auswirkungen der lang anhaltenden Überwachung von muslimischen Organisationen durch staatliche Sicherheitsorgane. Viele der überwachten Organisationen aus diesem Bereich „können nicht nachvollziehen, warum gerade sie, die Gewalt und Radikalität ablehnen und sich in die Mehrheitsgesellschaft als Muslime einbringen wollen, durch die Observierung stigmatisiert werden.“ Auch scheint das Verhältnis und Vertrauen in den Rechtsstaat aufgrund der Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verloren gegangen zu sein.

Die muslimischen Gemeinden erlebten die „anhaltende Observierung von Gemeinden als eine Zermürbungsstrategie“ in deren Folge sich „einige Mitglieder aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen“, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Fast alle Gesprächspartner schätzen zudem die Arbeit des Verfassungsschutzes aufgrund der Deutungsmacht der Behörde als problematisch ein. Die Unterteilung in „gute“ und „schlechte“ Muslime belaste den innerislamischen Dialog. Trotz der anhaltenden Stigmatisierungen bemühten sich die betroffenen muslimischen Organisationen jedoch um eine stärkere Öffnung und Transparenz.

Handlungsempfehlungen an Politik

Die Forschungsarbeit sieht sich selbst als Momentaufnahme der Situation in Deutschland und gibt Handlungsempfehlungen an die Politik und politischen Organisationen heraus. So sollte die Debattenkultur in Deutschland neu bewertet und ihre Wirkung bei polarisierenden Debatten auf das Zusammenleben untersucht werden. Es solle auch untersucht werden, wie man künftig Debatten so führen kann, dass sie „aufklärerisch statt polarisierend geführt“ werden.

Deutschland müsse zudem seine Observierungsstrategie in Bezug auf muslimische Organisationen überdenken, wenn diese lang anhaltend seien. Es sei zu klären inwieweit eine „langanhaltende und öffentlich gemachte Überwachung, die nicht zu einem Verbot führt, in einem liberalen Rechtsstaat prinzipiell vertreten werden“ könne.

Und es müsse über einen Ausgleich zwischen den Sicherheitsbedürfnissen der Mehrheitsgesellschaft und dem Sicherheitsbedürfnis von Migranten und Angehörigen religiöser Minderheiten nachgedacht werden. „Ohne (Selbst-)Sicherheit und ein gewisses Maß an „Willkommenskultur“ ist Integration weder nachhaltig für das Individuum noch bereichernd für die Gesamtgesellschaft“, konstatiert die Studie.

Das Forschungsprojekt „Signale der Mehrheitsgesellschaft“ wurde von Network Turkey in Kooperation mit dem Zentrum für Europastudien der Universität Oxford (ESC) durchgeführt. Unterstützt wurde die Forschungsarbeit von der Open Society Stiftung. Die Forschungsleitung hatte Dr. Kerem Öktem.