Die Verhandlungen um das geplante Zentrum für islamische Theologie verliefen zäh. Die islamischen Gemeinschaften sind gespalten: DITIB hält das Modell für rechtswidrig, ZMD macht trotzdem mit, die IFB hatte Bedenken, unterzeichnet nun aber doch. IslamiQ sprach mit dem Geschäftsführer der IFB, Mustafa Özdemir, der seit Anfang an die Verhandlungen miterlebt hat. Ein Hintergrundgespräch.
IslamiQ: In Deutschland gibt es schon fünf Zentren für islamische Theologie. Was sind die Argumente für ein weiteres Institut in Berlin?
Mustafa Özdemir: Offiziell begründet wird die Gründung eines Instituts in Berlin vom Senat mit dem Bedarf an Theologen, Imamen und Religionspädagogen. Das Prestige eines Instituts in der multikulturellen Hauptstadt Berlin dürfte dabei jedoch auch eine gewichtige Rolle spielen. Das war sowohl in der medialen Berichterstattung als auch während der Verhandlungen mehrmals heraus zu hören.
Wir als Islamische Föderation in Berlin (IFB) sahen eine Gründung von Anfang an skeptisch. Der bundesweite Bedarf an religiösem Personal wird von den bestehenden fünf Zentren gedeckt. Außerdem ist es muslimischen Gemeinden, die sich nach wie vor selbst finanzieren, nicht ohne Weiteres möglich, einen studierten Theologen anzustellen. Nicht jede Gemeinde wird sich einen Absolventen der Zentren leisten können.
IslamiQ: Dennoch hat die IFB bekannt gegeben, dass sie den Vertrag unterschreiben wird.
Özdemir: Ja, wir haben uns trotz der bestehenden Bedenken dennoch entschieden, in dem Beirat vertreten zu sein. Dies, weil wir unserer gesellschaftlichen Verantwortung und vor allem unserer Verantwortung gegenüber den Berliner Muslimen nachzukommen möchten. Auch ist die IFB Träger des islamischen Religionsunterrichts in Berlin und somit verantwortlich für die Ausbildung von Religionslehrern. Außerdem haben wir in den Nachverhandlungen eine vertretbare Vereinbarungsfassung aushandeln können.
IslamiQ: Sie haben die Verhandlungen im Namen der IFB von Anfang an begleitet. Wie verliefen die Verhandlungen?
Özdemir: Zuerst fanden Gespräche unter der Regie des Senats statt. Hieraus ist ein Eckpunktepapier zur Gründung des Instituts für islamische Theologie entstanden. Anzumerken ist, dass das Gesprächsklima mit dem Senat angenehmer war als das mit der Humboldt-Universität (HU). Die Verhandlungen um das Eckpunktepapier, an dem neben Vertretern islamischer Gemeinschaften und Universität auch diverse Lehrbeauftragte anderer Institute für islamische Theologie teilnahmen, waren von Transparenz und Respekt geprägt. Das mag wohl auch daran liegen, dass von Anfang an klar war, dass das Eckpunktepapier unverbindlich ist. Themen mit Konfliktpotenzial konnten und wurden für die späteren Verhandlungen offen gelassen.
Das Klima bei den Verhandlungen mit der HU, die vom Gründungsbeauftragten Michael Borgolte moderiert werden sollten, war dagegen von Anfang an von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Vertreter der HU fühlten sich regelmäßig genötigt, auf die Wissenschaftsfreiheit der Universität zu verweisen. Dabei ist das gar nicht nötig gewesen, denn der Beirat soll ja bekanntermaßen die Verfassungsrechte der islamischen Religionsgemeinschaft wahrnehmen und nicht die Wissenschaftsfreiheit garantieren oder einschränken. Das sind zwei verschiedene Bereiche.
Hinzu kam die in den Medien regelmäßig geforderte Beteiligung sogenannten „liberaler Muslime“ und die offen kommunizierte Hoffnung der HU-Vertreter, mit weiteren stimmberechtigten Mitgliedern einen Gegenpol zu den islamischen Religionsgemeinschaften zu haben. Beides sind mindestens religionsverfassungsrechtlich problematische Forderungen. Belastend für die Verhandlungen war dann auch, dass der Gründungsbeauftragte, der die Verhandlungen lediglich moderieren sollte, zeitlichen Druck aufzubauen versuchte und darauf drängte, schwerpunktmäßig die Themen zu besprechen, die der HU wichtig waren.
IslamiQ: Die Verhandlungen mit der Universität sind also schwierig verlaufen. Der Gründungsdirektor, Prof. Michael Borgolte, warf den muslimischen Vertretern vor, nicht „politikfähig“ zu sein und die Entscheidung aus taktischen Gründen hinauszuzögern. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe der langen Verhandlungszeit?
Özdemir: Die Gemeinschaften, allen voran die IFB, haben aus meiner Sicht auch nie beansprucht, „politikfähig“ zu sein. Der Gründungsbeauftragte vergisst bei seiner Bemerkung, dass wir Religionsgemeinschaften sind und keine politische Interessenvertretung.
Auch den Vorwurf der langen Verhandlungszeit kann ich nicht nachvollziehen. Schaut man mal, wie lange vergleichbare Verhandlungen zur Gründung evangelischer bzw. katholischer Standorte dauern, wird man zahlreiche Fälle finden, wo es wesentlich länger gedauert hat. Man muss auch bedenken, dass wir in Berlin eine neue Situation haben: Zum ersten Mal war auch eine schiitische Landesreligionsgemeinschaft mit am Tisch. Das hatten wir so bundesweit vorher noch nie. Dass dann sowohl Schiiten wie auch Sunniten neben den Verhandlungen mit der Universität auch einen Austauschbedarf untereinander über die Kooperationsmodi haben, dürfte auch für Außenstehende und insbesondere für die Universität nachvollziehbar sein. Deshalb kann ich die Aufregung von Herrn Borgolte nicht verstehen.
Ein anderer Grund für Gesprächsbedarf waren auch die unverhältnismäßigen Forderungen seitens der Universitätsvertretung, z. B. was die Zusammensetzung des Beirates und seiner Verantwortungsbereiche angeht. Die Universität wollte dabei Einflussmöglichkeiten im Beirat, die religionsverfassungsrechtlich nicht tragbar waren und von unserer Seite abgelehnt wurden. Nicht selten führte das zu längeren Erörterungen zum Religionsverfassungsrecht.
Die Verhandlungsdauer war meiner Meinung nach sogar zu kurz. Viele Themen, die die Religionsgemeinschaften besprechen wollten, kamen erst gar nicht auf den Tisch. Im Gegensatz dazu wurden selbstverständliche Grundlagen zum Thema gemacht. So wurde den Religionsgemeinschaften aberkannt, sich in der Vereinbarung als „islamische Religionsgemeinschaften“ zu bezeichnen. Daher war es für den Verhandlungsverlauf auch symbolisch, dass die HU die Verhandlungen trotz ausdrücklichem weiteren Redebedarfs einseitig beendete.
IslamiQ: Einer der Streitthemen ist die Besetzung des Beirats. Die muslimischen Vertreter fordern eine Sperrminorität. Wieso beharren Sie so sehr darauf?
Özdemir: Bezogen auf die Kooperation zwischen dem Land und den Religionsgemeinschaften sind drei Elemente des Religionsverfassungsrechts von besonderer Bedeutung: die Trennung zwischen Staat und Religion, das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und die Neutralität des Staates.
Aufgrund des Selbstbestimmungsrechts entscheiden die Religionsgemeinschaften selbst über die Modalitäten ihrer Zusammenarbeit im Beirat. Mithin darf der Staat keine Einflussmöglichkeiten in Hinblick auf die gemeinsame Einrichtung der Religionsgemeinschaften ausüben. Im aktuellen Fall wäre es der Beirat. Weder darf die staatliche Seite z. B. über die Zusammensetzung des Gremiums (mit)bestimmen noch ihnen Vorgaben bzgl. der Modalitäten ihrer Zusammenarbeit machen. Dies würde sowohl dem Selbstbestimmungsrecht, dem Neutralitäts- als auch dem Trennungsgebot widersprechen.
IslamiQ: Wenn das so eindeutig ist, wieso dann der Disput?
Özdemir: Die Streitigkeiten bzgl. der Beiratszusammensetzung und der Beschlussfassungsmodi des Beirates resultieren aus einer sehr eigensinnigen und verfassungswidrigen Auslegung des Religionsverfassungsrechts durch die Universität. Sie wollte von Anfang an Einfluss auf sowohl die Zusammensetzung des Beirates als auch auf ihre Zuständigkeiten ausüben. Das betrifft sowohl die Berufung von theologisch-wissenschaftlichem Personal wie auch die inhaltliche Ausrichtung des Institutes. Zum letzteren gab es in der Vergangenheit deutliche Worte von Vertretern der Universität. Wir sind bzgl. der Zusammensetzung des Beirates auf die HU zugegangen und waren bereit, zwei Personen aus der Hochschulverwaltung mit beratender Stimme in den Beirat aufzunehmen. Wir waren auch bereit, die von der Universität forcierte Einbindung von einer bestimmten Anzahl von Akademikern mit erfüllten hochschulischen Einstellungsvoraussetzungen in den Beirat aufzunehmen. Unsere Voraussetzung dabei war jedoch die Einführung eines Stimmenverhältnisses, also einer Sperrminorität, die das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften im Beirat wahrt und Einzelpersonen keine unverhältnismäßigen Rechte einräumt.
Die Mitwirkung im Beirat ist Ausübung der verfassungsrechtlichen Religionsfreiheit. Es muss gewährleistet sein, dass die Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaft das letzte Wort im Beirat haben. In der vorherigen Fassung hatten die vier stimmberechtigten Beiratsmitglieder der HU die Möglichkeit, über die Köpfe der islamischen Gemeinschaften Beschlüsse zu fassen. Dabei sind diese zumeist Universitätsprofessoren und nicht dazu befugt, für die islamischen Religionsgemeinschaften zu sprechen. Ihre Mitgliedschaft beruht auf ihrer fachlichen Expertise, was an sich rechtlich schon bedenklich. In der aktuellen Fassung hat der Beirat weniger Mitglieder und die Rechte der Religionsgemeinschaften wurden gestärkt. Die sunnitischen Vertreter haben jetzt eine Sperrminorität.
IslamiQ: Die Universität akzeptiert das nicht…
Özdemir: … und beharrt weiterhin auf ihrer Forderung, die rechtlich nicht tragbar ist. Sie möchte anscheinend so ihren Einfluss im Zuständigkeitsbereich der Religionsgemeinschaften geltend machen. Es ist selbstverständlich, dass wir da nicht mitmachen. Wenn denn die Absolventen in unseren Moscheen und Bildungseinrichtungen eingestellt werden sollen, dann haben wir natürlich ein Interesse daran, dass unsere Glaubensgrundsätze Grundlage der theologischen Ausbildung sind und entsprechendes Personal an de Universität berufen wird. Die Universität sieht das anscheinend anders.
IslamiQ: Die Humboldt-Universität möchte das Institut auf jeden Fall einrichten, notfalls ohne die vier islamischen Gemeinschaften IFB, DITIB, ZMD und VIKZ. Wer soll dann im Beirat sitzen und die verfassungsmäßig geforderte theologische Legitimität gewährleisten?
Özdemir: Hier und da hört und liest man, dass man sich Gedanken über Alternativen mache. Fraglich ist, ob es in Berlin noch andere islamischen Religionsgemeinschaften gibt, die dafür in Frage kämen. Die relevanten Akteure sind die, die am Tisch sitzen und die notwendige theologische Legitimität gewährleisten können.
Es wurde gemunkelt, dass der Senat und die HU beabsichtigen, einzelne Berliner Moscheegemeinden direkt anzuschreiben und diese aufzufordern, drei Vertreter zu ernennen. Vorher wurde bereits auch schon einmal artikuliert, dass den Forderungen aus der Politik entsprechend Vertreter des sogenannten „liberalen Islams“ für die nicht unterzeichnenden Gemeinschaften mit am Tisch sitzen sollen. All das wäre rechtlich natürlich höchst zweifelhaft, da diese Personen im Grund nur sich selbst vertreten und keine eigene Basis haben.
IslamiQ: Angenommen, das Institut wird ohne die islamischen Religionsgemeinschaften oder nur mit einigen von ihnen gegründet. Was würde das für Konsequenzen für den Lehrbetrieb und für die Absolventen haben?
Özdemir: Für uns wäre klar: Wenn kein von uns im religionsverfassungsrechtlich gebotenen Umfang verantwortbarer islamisch-theologischer Studiengang zustande kommt, dann hätte das Konsequenzen für die Einbindung der Absolventen dieses Studienganges in unseren Moscheen und Bildungseinrichtungen. Es wäre eine gesunde Skepsis gegenüber den Absolventen des Instituts geboten, die im Einzelfall geprüft werden müsste.
Das Interview führte Ali Mete.