In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? In dieser IslamiQ-Serie stellen wir querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma Deutschlands. Heute Ibrahim Aslandur.
Ibrahim Aslandur ist 1992 in Karlsruhe geboren, und bezeichnet die süddeutsche Stadt als seine Heimat. Aktuell studiert er an der Marmara Universität in Istanbul Islamische Theologie. Er ist verheiratet und betreibt seit sieben Jahren den Blog „Gedankenkarawane“. Der angehende Theologe thematisiert darin diverse politische, religiöse und gesellschaftliche Sachverhalte und versucht dabei Brücken zwischen Muslimen und Nichtmuslimen zu bauen. Er verarbeitet darin seine Erlebnisse und Erfahrungen aus Gesprächen mit fremden Menschen, seinen Reisen an ferne Orte und Kulturen und seinen Inspirationen aus Büchern. Aslandur zeigt, wie junge Muslime ihre Religiosität, Identität und Werte deutschsprachig leben und vermitteln können und dabei einen Mehrwert für die muslimische Gemeinschaft sowie die Mehrheitsgesellschaft schaffen.
Was hat Sie dazu bewogen, Ihren Blog „Gedankenkarawane“ ins Leben zu rufen?
Nach meinem Abitur im Jahre 2011 entschied ich mich in Kairo, die Sprache des Korans zu lernen. Um meine Erfahrungen und Emotionen mit Familie und Freunden in Deutschland zu teilen, erstellte ich eine Website und postete immer Mal wieder Texte und Berichte auf diesem Blog. Zu meinem Überraschen gab es stetig mehr Interesse an meinen Beiträgen, auch von Leuten außerhalb meines Freundeskreises. Dies erfuhr ich jedoch etwas später, als ich nach meiner Rückkehr in Deutschland auf meinen Blog angesprochen wurde. In dieser Zeit entdeckte ich eine Leidenschaft für das Schreiben. Diese Leidenschaft hat sich über die Jahre verstärkt. Die Zielgruppe war zu Beginn lediglich mein engerer Bekanntenkreis, heute ist die Website für jeden gedacht, der meine Gedanken zu verschiedenen gesellschaftlichen, politischen oder theologischen Themen erfahren will.
Wie ist die Resonanz auf Ihren Blog, sowohl von Muslimen als auch von Nichtmuslimen?
Ich versuche in meinen Texten eine Sprache zu verwenden, die sowohl Muslime als auch Menschen anderer (religiöser) Überzeugungen anspricht. Daher verzichte ich bewusst auf eine inflationäre Verwendung islam-theologischer Begriffe. Das wirkt für manche wohl etwas eigenartig, da ich Theologe bin und man meinen könnte, dass ich vor allem mit religiösen Argumenten überzeuge. Aber durch diese „universellere“ Sprache erreiche ich Menschen verschiedener Couleur. Die Reaktionen sind in den meisten Fällen positiv. Schön ist es zu hören, wenn jemand sagt: „Ibrahim dein Text – zu diesem und jenem Thema – hat mich inspiriert. Ich schaue auf diese Sache nun etwas anders.“ Wird konstruktive Kritik geäußert, dann nehme ich diese dankend an. Ich würde auch niemals beanspruchen „die absolute Wahrheit“ darzulegen, denn der Wahrheitsanspruch geziemt nur Allah. Wir Menschen versuchen uns dieser zu nähern. Manchmal gelingt es und das andere Mal scheitern wir.
Was sind Ihre Hobbies und wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?
Ich verbringe sehr gerne Zeit mit Menschen, höre ihnen zu und versuche von ihren Erfahrungen zu lernen. Außerdem liebe ich Bücher. Wenn ich freie Tage und die Möglichkeit habe, unternehme ich gemeinsam mit meiner Frau Reisen zu den verschiedensten Orten. Menschen, Bücher und Reisen entspannen und inspirieren mich am meisten.
Was bedeutet Familie für Sie?
Rückzugsort, Verständnis, Schutz und Liebe.
Lieblingsbuch? Lieblingsfilm?
Der Koran. Auch wenn ich den Koran nicht als „Buch“ im engeren Sinne betrachte. Meine Lieblingsfilme sind die aus der Harry Potter-Reihe. Dabei ist mir durchaus die Eigenart der Kombination von Koran und Harry Potter bewusst.
Der schönste Moment in Ihrem Berufsleben?
Schwierig zu sagen. Aber grundsätzlich sind die Momente sehr schön, in denen ich erkenne, wie Menschen sich persönlich und intellektuell entwickeln. Wenn ich zu dieser Entwicklung etwas beitragen durfte, dann macht mich das besonders glücklich.
Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?
Wenn ich Freunde fragen würde, die mir eine hohe Sympathie entgegenbringen, würden diese wahrscheinlich sagen, ich sei ein Idealist, redegewandt und nachdenklich.
Ihr Lebensmotto?
Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst (siehe Sure 13, Vers 11).
Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben und was tun Sie um dieses Ziel zu erreichen?
Ich meine, ich bin ein ambitionierter Mensch, daher setze ich mir in vielen Bereichen die Messlatte hoch. Ob ich alle Ziele erreiche ist eine Frage der Möglichkeiten, die mir Allah schenkt. Im beruflichen Feld ist es mein Ziel eine Korankommentierung auf Deutsch zu verfassen und den Zugang zum Koran für Menschen mit deutschsprachigem Background zu ebnen. Dafür wird meine akademische Spezialisierung ab nächstem Semester inschallah im Fach Tafsir liegen.
Können Sie sich an eine Situation erinnern, in der Sie erstmals mit der Identitätsfrage (Islam und Deutschland) konfrontiert waren?
Das war bei mir – ähnlich wie bei anderen Muslimen in Deutschland – schon sehr früh ein Thema. Aber ich gehe seit jeher mit meiner Identität sehr selbstbewusst um. Schon im jungen Alter konnte ich meine Gedanken und religiösen Überzeugungen auf Deutsch artikulieren. Das liegt daran, dass mein Vater mir den Islam auf Deutsch beigebracht hat und ich auch in einer deutschsprachigen Gemeinde groß geworden bin. Für mich ist die Frage nach der Identität daher klar: Ich bin deutscher Muslim. Dabei sehe ich meine türkischen Wurzeln als eine große Bereicherung und keineswegs als Gegensatz oder gar als Hindernis. Eine große Bereicherung deshalb, weil ich durch meine sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von beiden Lebenswelten profitieren und eine Brückenfunktion übernehmen kann. Und Hindernis oder Gegensatz deshalb nicht, da ich denke, dass die Identität einer Person viele verschieden Facetten in sich vereint. Es gibt meiner Meinung nach keine „Identitätsschablonen“, denen man sich fügen muss.
Was muss passieren, damit Muslime hier als selbstverständlicher Teil Deutschlands angesehen werden?
Erstmal müssen Muslime sich selbst als selbstverständlicher Teil Deutschlands begreifen. Es muss ganz selbstverständlich für Muslime hierzulande sein, zu sagen: „Ich bin deutscher Muslim“. Das ist die Grundlage. Damit geht natürlich einher, dass Moscheen voll auf die Deutschsprachigkeit setzen, unabhängig von Ausland agieren und sich der Mehrheitsgesellschaft öffnen. Wir müssen zeigen, dass uns dieses Land am Herzen liegt und wir uns für die Entwicklung Deutschlands aufrichtig einsetzen.
Auf der anderen Seite sollte die deutsche Mehrheitsgesellschaft akzeptieren, dass Muslime nun ein Teil dieses Landes sind. Das bedeutet, dass Muslime Bedürfnisse haben, die berücksichtigt werden sollten. Im Grunde ist es geboten, dass wir viel mehr miteinander reden – Muslime untereinander und Muslime mit Nichtmuslimen. Zugegeben machen mich die derzeitigen Entwicklungen traurig, wie beispielsweise der Aufstieg von dezidiert islamfeindlichen Parteien in Europa und zunehmende Radikalisierung auf islamischer sowie nichtislamischer Seite – aber ich bin nichtsdestotrotz optimistisch und setze bewusst auf die besonnenen Köpfe in unserer Gesellschaft, also die überwältigende Mehrheit in unserem Land.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland.
Ich wünsche mir für mich, meine Familie und den Muslimen, dasselbe, was ich allen anderen Menschen dieser Erde auch wünsche: Die Möglichkeit im Diesseits und im Jenseits ein glückliches Dasein zu führen.