Vor 25 Jahren starben fünf Menschen bei einem fremdenfeindlich motivierten Brandanschlag in Solingen. Das Verbrechen ist bis heute präsent in der Stadt – auch wenn das nicht jedem gefällt.
Noch ist es ruhig an der Unteren Wernerstraße in Solingen. In der großen Lücke zwischen den Hausnummern 79 und 83 strahlen fünf Kastanien in kräftigem Grün. Kaum ein Auto, kaum ein Fußgänger verirrt sich hierher. In wenigen Tagen wird das ganz anders sein: Medienvertreter, Würdenträger und Bürger werden an diesem Ort der Opfer des Verbrechens gedenken, das nicht nur eine Baulücke, sondern auch fünf junge Menschen aus dem Leben riss: Der Brandanschlag von Solingen jährt sich am 29. Mai zum 25. Mal.
Vier Männer, zwischen 16 und 23 Jahren alt, legten damals in der Nacht Feuer, aus Fremdenhass. Zwei junge Frauen und drei Mädchen starben in den Flammen oder beim Versuch, sich davor zu retten. Jede der Kastanien, die heute dort wachsen, wo sich einmal das Haus mit der Nummer 81 befand, steht für ein getötetes Mitglied der Familie Genc. Die Bäume wurden zu ihrem Gedenken gepflanzt. Das Gelände ist mittlerweile im Besitz der Stadt Solingen. Im Tausch bekamen die Hinterbliebenen ein anderes Grundstück in der Stadt – trotz allem wollten sie in dem Ort bleiben, der ihre Heimat geworden war.
Mevlüde Genc, die bei dem Brandanschlag zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verlor, ist zum Gesicht ihrer Familie geworden. Seit 25 Jahren ist die Botschaft der 75-Jährigen immer gleich: Integration statt Abgrenzung, Versöhnung statt Hass, Vertrauen statt Angst. Selbst die vier jungen Männer, die ihre Haftstrafen längst verbüßt haben, betrachtet Genc gütig: „Ich wünsche mir, dass Gott den Tätern vergibt. Wenn Gott vergibt, dann werden die Menschen auch vergeben“, sagte sie.
Vergeben, aber nicht vergessen: Dafür sorgen Stadt und Zivilgesellschaft in Solingen gemeinsam. Bündnisse gegen Rechts und für Toleranz engagieren sich, ein Mahnmal und Gedenktafeln halten die Erinnerung wach. Nach dem türkischen Heimatort der Familie Genc ist der Mercimek-Platz am Solinger Rathaus benannt. Der „Silberne Schuh“ wird jährlich als Ehrenpreis für mutiges Eintreten gegen Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung verliehen. Manchen Solingern geht das Gedenken zu weit. Sie meinen, man solle die Geschichte ruhen lassen, einen Schlussstrich ziehen.
Einer, der entschieden die Gegenposition vertritt, ist der Solinger SPD-Oberbürgermeister Tim Kurzbach. „Einen Punkt oder Schlussstrich darf es niemals geben“, sagt er. „Eine Mahnung soll aus Solingen ins Land strahlen, sich zu engagieren.“ Kurzbach war 15, als aus der „Klingenstadt“ Solingen auch die Stadt eines rechtsextremen Verbrechens wurde. Die verkohlte Ruine des Hauses habe sich in seinem Gedächtnis „im traurigen Sinne eingebrannt“, sagt Kurzbach: „Ich war damals besonders erschrocken, dass einige der Ermordeten in meinem Alter waren.“ Kurzbach fühlte sich berufen, politisch aktiv zu werden – bis heute.
Stolz ist der Politiker auf das Engagement seiner Bürger bei der Integration – gerade vor dem Hintergrund des Brandanschlags. In Solingen erinnern sich viele Menschen aber besonders an die Folgen, die sie persönlich betrafen: In den Tagen nach dem Brand wurde die Stadt im Bergischen Land in ganz Deutschland zu einem Symbol für offenen Rechtsextremismus. Die Bestürzung war groß, der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, dachte an Rücktritt. Bei Demonstrationen kam es zu Ausschreitungen: In der Innenstadt wurden Schaufenster eingeworfen und Läden geplündert.
Kurzbach ist wichtig, dass auch die Erinnerung an den rechtsextremen Anschlag wach bleibt. „Es gibt traumatisierte Menschen von den Tagen damals“, sagt er. Das Verdrängen sei eine normale psychische Reaktion. Trotzdem müssten die Leute damit leben lernen, dass man den Brandanschlag nicht einfach aus der Geschichte streichen könne: „Alle Demokratinnen und Demokraten sind dafür verantwortlich, gegen Fremdenhass einzutreten!“ Das Gedenken will die Stadt in diesem Jahr als stillen Trauertag begehen.
Ganz ruhig wird es mit Blick auf die engagierten Bündnisse und die erwarteten Medien nicht werden. Das öffentliche Interesse über Solingen hinaus steigt verlässlich mit den Jahrestagen des Verbrechens. Oft kamen hochrangige türkische Politiker, in diesem Jahr haben sich der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) und sein türkischer Amtskollege Mevlüt Cavusoglu angekündigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt an der Gedenkveranstaltung der NRW-Landesregierung in Düsseldorf teil.
In den vergangenen Jahren berichteten manche Medien von Brandspuren, die an der Stätte des Verbrechens noch zu sehen seien. Dabei sind die Spuren des Anschlages längst mit den Resten des ausgebrannten Hauses verschwunden. Nur das Gedenken hält die Erinnerung an den Brandanschlag von Solingen wach. (KNA/iQ)